Hartz IV: Kein Mehrbedarf bei Hypertonie

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Hartz IV Bezieher haben keinen Anspruch auf Krankenkostzulage bei Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (AZ: L 19 AS 41/08) urteilte: ALG II Empfänger haben keinen Anspruch auf Krankenkostzulage bei Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie. Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs die hierzu vom Deutschen Verein für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen (im Folgenden: Mehrbedarfsempfehlungen) herangezogen werden (BT-Drucks. 15/1516 S 57). Dies entspricht der generellen Anknüpfung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an das Referenzsystem der Sozialhilfe (vgl. BT-Drucks. 15/1516 S 46,56). Bei der Erstellung dieser Mehrbedarfsempfehlungen, die schon im früheren Recht der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Anwendung fanden (vgl. BSG Urt. v. 27 Feb 2008 – B 14/7b AS 64/06 R – Rn 25 – = SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn 25), haben Wissenschaftler aus medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachbereichen zusammengearbeitet, die medizinisch notwendigen Ernährungsformen bei verschiedenen Krankheiten festgestellt und die Kostenunterschiede zur "Normalernährung" ermittelt. Die Pauschalbeträge für die krankheitsbedingten Mehrbedarfe wurden mit Hilfe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung auf der Basis eines Schemas der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin entwickelt. Die Mehrbedarfsempfehlungen wurden erstmals 1974 und 1997 in überarbeiteter Form ausgegeben und liegen nunmehr in dritter, völlig neu bearbeiteter Auflage 2008 vor.

Ob die Mehrbedarfsempfehlungen, die keine Rechtsnormen sind (BSG a.a.O. Rn 26), in ihrer nunmehr vorliegenden Form die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens haben, kann dahinstehen. Für die 1997 in überarbeiteter Form herausgegebenen Mehrbedarfsempfehlungen hat die Rechtsprechung dies abgelehnt, weil seit 1996 erfolgte Entwicklungen nicht berücksichtigt und abweichende Auffassungen, die ebenfalls von Ärzten begründet worden waren und daher auf medizinischer Sachkunde beruhten, nicht berücksichtigt worden seien (BSG a.a.O.; BSG Urt. v. 27 Feb 2008 – B 14 / 7b AS 32/06 R und Urt. v. 15 April 2008 – B 14 / 11 AS 3/07 R). Für die nunmehr vorliegende dritte, völlig neu bearbeitete Fassung der Mehrbedarfsemfpehlungen gelten diese Vorbehalte nicht mehr, weil sie in Zusammenarbeit mit den Ärzten der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, die den Begutachtungsleitfaden (Herausgeber Landschaftsverband Westfalen Lippe, Stand Januar 2002) erstellt haben, und unter Zugrundelegung des "Rationalisierungsschema 2004" des Bundesverbandes deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände (www.daem.de/docs/rationalisierungsschema2004.pdf) sowie einer wissenschaftlichen Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu den Lebensmittelkosten bei einer vollwertigen Ernährung vom April 2008 (www.dge.de/pdf/ws/lebensmittelkosten-vollwertige- ernaehrung.pdf) entwickelt worden sind (vgl. Mehrbedarfsempfehlungen unter II. 1. und 2.). Für die nunmehr geltenden Empfehlungen wird daher die Annahme eines antizipierten Sachverständigengutachtens befürwortet (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03 Feb 2009 – L 9 B 339/08 AS; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 19 Dez 2008 – L 8 B 386/08).

Aber auch wenn ihnen diese Bedeutung nicht zukommt, ist auf ihrer Grundlage unter Berücksichtigung der bisherigen medizinischen Erkenntnisse des vorliegenden Sachverhalts der Rechtsstreit entscheidungsreif. Auch für die früheren Mehrbedarfsempfehlungen war anerkannt, dass sie als Orientierungshilfe dienen können und weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich waren, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Mehrbedarfsempfehlungen abweichende Bedarfe geltend gemacht wurden (BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2. Rn 28). Dies muß für die nunmehr vorliegende Fassung erst recht gelten,weil sie die einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft in diesen Fragen wiedergibt und die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt hat.

Nach dieser Fassung der Mehrbedarfsempfehlungen erfordern aber die beim Kläger bestehenden Erkrankungen – Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Hypertonie – sämtlich lediglich eine Vollkost, deren Beschaffung keine erhöhten Kosten verursacht. Da sämtliche Erkrankungen dieselbe Ernährungsart – Vollkost – erforderlich machen, kann auch aus der Kumulierung dieser Krankheiten nicht die Notwendigkeit einer Krankenkostzulage resultieren. Zu diesem Ergebnis ist auch der von der Beklagten gehörte Mediziner Schnee gelangt, dessen Darlegungen der Senats urkundsbeweislich würdigt. Auch der behandelnde Arzt des Klägers hat keine Umstände dargelegt, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen könnten. Ebensowenig ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers Hinweise auf Besonderheiten, die die Notwendigkeit einer weiteren, insbesondere medizinischen Klärung des Sachverhalts begründen könnten. (19.08.2009)