Europäischer Gerichtshof: Betteln ist Menschenrecht!

23. Januar 2021
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat faktisch ein Menschenrecht auf Betteln geschaffen. Für schutzbedürftige Menschen, die nur so ihre Grundbedürfnisse befriedigen können, kann das Betteln ein „der Menschenwürde innewohnendes Recht" sein, urteilte der EGMR am 19. Januar 2021 in Straßburg (Az.: 14065/15). Er gab damit einer in der Schweiz lebenden Roma aus Rumänien recht und sprach ihr eine Entschädigung von 922 Euro zu. In großer Not ist Betteln ein Menschenrecht Die Beschwerdeführerin lebt in Genf. Sie ist Analphabetin und war arbeitslos. Weil sie keinerlei soziale Unterstützung erhielt, war sie für ihren Lebensunterhalt auf Betteln angewiesen. Wie in gut der Hälfte der Schweizer Kantone ist dies allerdings auch in Genf verboten. Mehrfach wurde sie kontrolliert und musste auf die Polizeiwache. Bei einer Leibesvisitation gefundene 16,75 Franken (15,50 Euro) wurden eingezogen. Insgesamt brummten die Behörden ihr Geldbußen von zuletzt insgesamt 500 Schweizer Franken (464 Euro) auf. Weil sie nicht zahlen konnte, musste sie für fünf Tage ins Gefängnis. Wie nun der EGMR entschied, hat die Schweiz dadurch das Recht der Frau auf Privat- und Familienleben verletzt. Dabei rügten die Straßburger Richter insbesondere, dass die Regelung in Genf bettelnde Personen „pauschal" bestrafe. Ein solches „völliges Verbot einer bestimmten Art von Verhalten" sei eine „radikale Maßnahme". Es bedürfe daher einer „starken Rechtfertigung" und unterliege „einer besonders strengen Prüfung durch die Gerichte". Die Beschwerdeführerin stamme aus einer extrem armen Familie und habe keine Sozialleistungen erhalten. Insgesamt habe sie sich „in einer eindeutig schutzbedürftigen Situation" befunden. Daher, so der EGMR, habe sie „das der Menschenwürde innewohnende Recht (gehabt), ihre Notlage zu vermitteln und zu versuchen, ihre Grundbedürfnisse durch Betteln zu befriedigen". Für ihre Verstöße gegen das Bettelverbot seien ihr formal zwar Geldstrafen aufgebrummt worden, die sich nur bei Nichtzahlung in Haft umwandelt. Vor dem Hintergrund ihrer Situation sei dies faktisch aber von vornherein eine Gefängnisstrafe gewesen. Ein ausreichendes öffentliches Interesse für eine derart harte Sanktion habe nicht bestanden, stellte der EGMR fest. EGMR: Betteln kann letzter Ausweg zur Wahrung der Menschenwürde sein Dem Argument der Schweizer Gerichte, weniger strikte Regelungen würden unwirksam bleiben, folgten die Straßburger Richter nicht. So gebe es auch in zahlreichen anderen Mitgliedsstaaten des Europarats Regelungen gegen das Betteln. Meist seien dies aber „nuanciertere Beschränkungen als das pauschale Verbot" in der Schweiz. Zwar hätten die Zeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention auch hier „einen gewissen Ermessensspielraum". Dennoch erfordere die Einhaltung der Konvention, „dass die innerstaatlichen Gerichte die besondere Situation in dem ihnen vorliegenden Fall gründlich prüfen". Im konkreten Fall habe die Schweiz ihren Ermessensspielraum überschritten. „Die Klägerin war eine äußerst schutzbedürftige Person", so zusammenfassend der EGMR. „Sie wurde für ihre Handlungen in einer Situation bestraft, in der sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine andere Wahl hatte, als zu betteln, um zu überleben." Dies habe ihre Menschenwürde und den Kern ihres Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt. mwo
Aktuelles
23. Januar 2021
Seit dem ersten Lockdown vor einem Jahr fordern Sozialverbände, Gewerkschaften und Parteien einen pandemiebedingten Aufschlag von mindestens 100 Euro auf die Hartz IV-Regelsätze, damit Betroffene die Mehrkosten durch Preissteigerungen, höheren Energieverbrauch und für medizinische Hygienartikel aufbringen können. Kürzlich wurde dies anlässlich der Einführung einer Pflicht zum tragen medizinischer oder teurer FFP2-Masken erneut diskutiert. Die Bundesregierung hatte bisher keinen zusätzlichen Bedarf gesehen. Jetzt macht Bundesarbeitsminister Huberts Heil (SPD) einen Vorstoß. Bundesarbeitsminister kündigt Hartz IV-Zuschuss an Gegenüber der Rheinischen Post erklärte Heil, dass angesichts der verlängerten Corona-Maßnahmen wie der Schließung von Kitas, Schulen und sozialen Einrichtungen und den zusätzlichen Bedarf an Hygiene-Artikeln das Bundesarbeitsministerium ein Konzept für einen Hartz IV-Zuschlag erarbeite. „Auch für hilfsbedürftige Menschen in den Grundsicherungssystemen bedeuten die verlängerten Corona-Maßnahmen zusätzliche soziale Sorgen im Alltag“, sagte der Bundesminister der Zeitung. Insbesondere seien Kinder, Alleinerziehende, ältere Menschen, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderung von den sozialen Auswirkungen der Pandemie besonders betroffen. Die Einführung des Zuschlags wäre eine drastische Änderung zur bisherigen Politik der Bundesregierung gegenüber betroffenen Menschen. Wie hoch der Zuschlag ausfallen könnte und wie lange er in Aussicht steht, darüber gibt es bisher keine Informationen. Gutscheine für Masken sollen flächendeckend ausgegeben werden Außerdem solle die Versorgung mit OP- und FFP2-Masken für Betroffene von Hartz IV flächendeckend über Gutscheine ermöglicht werden, wie dies bereits für Risikogruppen umgesetzt wurde. Heil sieht hier Bund und Länder in der Pflicht. Bild: Alexander / AdobeStock
23. Januar 2021
Hartz-IV-Bezieher können bei einer Leberzirrhose Anspruch auf einen Mehrbedarf für eine kostenaufwendige Ernährung haben. Macht die Erkrankung eine eiweißreiche und fettarme Ernährung erforderlich und liegt bereits eine Mangelernährung bei dem Betroffenen vor, kann ein Mehrbedarf in Höhe von zehn Prozent der Regelbedarfs für Alleinstehende gerechtfertigt sein, entschied das Sozialgericht Cottbus in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 19. November 2020 (Az.: S 29 AS 1164/18). Mangelernährung durch Erkrankung Im konkreten Fall ging es um eine Hartz-IV-Bezieherin, die an einer Leberzirrhose und dadurch auch an einer Mangelernährung leidet. Ihr Body Mass Index (BMI) betrug 18 und gilt damit als untergewichtig. Bei ihrem Jobcenter machte sie nun einen Mehrbedarf für eine kostenaufwendige Ernährung geltend. Sie benötige eiweißreiche und fettarme Kost wie Schweine-Filets, Rindfleisch, Eiweißpulver oder ausgewählte Öle. Die Ernährung sei teuer und könne aus den regulären Hartz-IV-Leistungen nicht finanziert werden. Sie verwies auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, der bei einer Leberschwäche einen Mehrbedarf von 30,68 Euro monatlich annehme. Das Jobcenter lehnte den Mehrbedarf für eine kostenaufwendige Ernährung ab und meinte, dass eine „gesunde Mischkost" vom Regelbedarf finanziert werden könne. Sozialgericht Cottbus verweist auf kostenaufwendige Ernährung Das Sozialgericht Cottbus sprach der Frau einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von zehn Prozent der Regelbedarfsstufe 1 zu. Das ist der Satz für Alleinstehende, derzeit (2021) 446 Euro, der Mehrbedarf heute also 44,60 Euro. Der Anspruch bestehe, wenn eine Leberzirrhose und eine damit einhergehende Mangelernährung vorliegen, so das Sozialgericht. Dies sei hier der Fall. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge habe als Kriterium für eine Mangelernährung einen BMI von weniger als 20 angeführt. Bei der Klägerin sei zusammen mit der Leberzirrhose damit aus medizinischen Gründen eine kostenaufwendige Ernährung erforderlich, die nicht mehr vom Regelbedarf gedeckt werden könne. fle/mwo
22. Januar 2021
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie halten die Welt in Atem. Die Zahl der Arbeitnehmer in Kurzarbeit steigt im Lockdown drastisch. Viele Unternehmen fürchten die Insolvenz. Arbeitnehmer machen sich daher Sorge um ihre Arbeitsplätze. Doch ein Verweis auf die Corona-Pandemie ist kein ausreichender Grund für eine Kündigung! Wann ist eine Kündigung wegen Corona möglich? Eine Kündigung aufgrund der wirtschaftlichen Lage, die aus den Lockdown-Maßnahmen rund um die Welt resultiert, ist nicht einfach so möglich. Das Arbeitsrecht sieht spezifische Gründe vor, die für eine rechtskräftige Kündigung erfüllt sein müssen. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen betriebsbedingen, personenbedingten und verhaltensbedingten Kündigungsgründen. Im Zweifelsfall können Angebote wie Arbeitnehmer.Support unkomplizierte juristische Hilfe für Arbeitnehmer bieten. Betriebsbedingte Kündigung in der Corona-Krise Eine betriebsbedingte Kündigung aufgrund der wirtschaftlichen Einbrüche durch die Pandemie ist das wahrscheinlichste Szenario. Doch auch hier reicht ein einfacher Verweis des Arbeitgebers auf die aktuelle Lage keineswegs aus! Um eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen zu können, müssen dringende betriebliche Gründe vorliegen, beispielsweise eine langfristige Betriebsstillegung aufgrund einer Insolvenz, die dauerhafte Schließung von Unternehmensabteilungen oder eine Betriebsverkleinerung, die zum Erhalt des Unternehmens zwingend erforderlich ist. Der Arbeitsplatz muss also wirklich dauerhaft wegfallen und eine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung darf nicht bestehen. Ein vorübergehender Umsatzeinbruch ist kein hinreichender Kündigungsgrund. Wie lange die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung noch anhalten werden, ist jedoch völlig ungewiss. Zudem gibt es mit der staatlich finanzierten Kurzarbeit für beeinträchtigte Unternahmen die Möglichkeit, Arbeitsplätze dauerhaft zu erhalten. Sollte auch dies nicht mehr ausreichen, muss der Arbeitgeber bei der Aussprache von betriebsbedingten Kündigungen eine sogenannte Sozialauswahl vornehmen. Das heißt, bei der Kündigung sind Personen „zu bevorzugen“, die weniger Arbeitserfahrung, keine langfristigen sozialen oder finanziellen Verpflichtungen haben oder aufgrund ihres Alters wahrscheinlich weniger Schwierigkeiten hätten, eine neue Anstellung zu finden. Darüber hinaus gibt es noch besonderen Kündigungsschutz unter anderem für Behinderte, Frauen in Mutterschutz, Eltern in Elternzeit, Arbeitnehmer, die Angehörige häuslich pflegen. Eine Kündigung kann in diesen Fällen nur in besonderen Ausnahmefällen erfolgen. Zwei Drittel der Arbeitgeber geben an, Probleme mit betriebsbedingten Kündigungen zu haben. Arbeitnehmer sollten darum immer sehr genau prüfen, ob eine Kündigung rechtns ist. Um Ärger aus dem Weg zu gehen, versuchen Arbeitgeber auch, Arbeitnehmer mit einer Abfindung zu einem Aufhebungsvertrag zu überreden. Doch dabei ist ebenfalls Vorsicht geboten. Die Angebote fallen meist zu niedrig aus und führen zu einer Sperre vom Arbeitslosengeld! https://www.gegen-hartz.de/news/abfindungen-bei-corona-kuendigung-oft-zu-niedrig-hierauf-muessen-arbeitnehmer-unbedingt-achten Personenbedingte Kündigung wegen Corona sind nicht möglich Bei personenbedingten Kündigungsgründen geht es um generelle Sachverhalte, die den Arbeitnehmer aus Sicht des Arbeitgebers an der Ausübung der Arbeit hindern. Dies bezieht sich in der Regel auf eine fehlende Eignung des Arbeitnehmers, dessen Inhaftierung oder gar Straftaten, die Auswirkungen auf das Unternehmen haben. Lesen Sie auch: - Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnen – Sperre beim Arbeitslosengeld und Hartz IV Eine personenbedingte Kündigung wegen einer vorübergehenden Viruserkrankung oder einer (unverschuldeten) Quarantänepflicht sind jedenfalls nicht möglich. Verhaltensbedingte Kündigungen wegen Corona nur in Härtefällen möglich Verhaltensbedingte Kündigungsgründe können Alkohol- oder Drogenkonsum, sexuelle Belästigung, Beleidigungen und diskriminierende Äußerungen auf der Arbeit, Diebstahl, ungenehmigte Internetnutzung oder Arbeitsverweigerung sein. In der Regel muss vor einer Kündigung jedoch zuerst eine Abmahnung durch den Arbeitgeber erfolgen. Im Kontext der Corona-Pandemie könnte eine verhaltensbedingte Kündigung höchstens gegen Arbeitnehmer ausgesprochen werden, wenn diese beispielsweise mit dem Virus infiziert sind, wissentlich trotzdem zur Arbeit erscheinen und damit ihre Kollegen gefährden. Kündigungsgründe sind immer Auslegungssache und müssen genau geprüft werden! Kündigungsgründe sind immer Auslegungssache und können vor Gericht verhandelt werden. Prüfen Sie Ihre Kündigung gründlich! Im Zweifelsfall können Sie Ihr Recht mit einer Kündigungsschutzklage erkämpfen. Lassen Sie sich nicht durch Aufhebungsverträge und Abfindungen locken! Rechtsdienstleister wie Arbeitnehmer.Support bieten schnelle und kostenfreie Hilfe und vertreten Ihre Arbeitnehmerrechte, im Zweifelsfall auch vor Gericht! Bild: Christian Schwier / AdobeStock
21. Januar 2021
Der Corona-Lockdown im März und April 2020 hat zu einem drastischen Wirtschaftseinbruch geführt. Zulieferengpässe, Betriebsstilllegungen und Millionen gefährdeter Arbeitsplätze waren die Folge. Mit Kurzarbeit und dem Sozialpaket, das eine vorläufige Bewilligung von Hartz IV-Leistungen ohne Prüfung der Vermögensverhältnisse ermöglicht, versuchte die Bundesregierung das Schlimmste abzuwenden. Laut Detlef Scheele hat das System standgehalten. Drastischer Anstieg der Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf 2,7 Millionen Arbeitslose gestiegen. Ein Anstieg um etwa 429.000 (zwischenzeitig um 640.000), der durch sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit abgefedert wurde. Nach Ansicht von Detlef Scheele hat sich der Arbeitsmarkt mittlerweile jedoch stabilisiert. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit sagte mit Blick auf die Statistik in einem Interview gegenüber t-online, dass die Verlängerung des Lockdowns nur geringe Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen habe. Bis zum Lockdown im Winter sei die Zahl der Arbeitnehmer in Kurzarbeit wieder gesunken, ohne dass gleichzeitig ein entsprechender Anstieg der Arbeitslosigkeit stattgefunden habe. Bundesagentur rechnet nicht mit hoher Anzahl an Insolvenzen Obwohl die Hälfte der kleineren und mittleren Unternehmen eine Insolvenz fürchten, die durch den anhaltend notwendigen Lockdown für viele immer unausweichlicher wird, geht die Bundesagentur nicht davon aus, dass es insolvenzbedingt zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt. Allerdings fürchtet Scheel einen dauerhaften Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit, die aktuell um 30 Prozent auf 930.000 Fälle gestiegen ist. Hier müsse nach der Pandemie eine noch bessere Qualifizierung stattfinden, so der BA-Chef weiter: „Die Instrumente dafür haben wir, auch am Geld mangelt es nicht.“ Das betreffe unter anderem auch Zuwanderer und Geflüchtete. Gerade da durch den Lockdown eine starker Rückgang an Ausbildungsstellen zu beobachten sei. Scheele rechnet trotzdem nicht mit einem verschärften Fachkräftemangel. Es sei trotz der Corona-Folgen weiterhin eine konstante Zuwanderung von etwa 400.000 Arbeitskräften jährlich notwendig, um die Leerstellen auf dem Arbeitsmarkt zu füllen, insbesondere in Pflege, IT und Logistik. Scheele bedauert schlechtes Image von Hartz IV Er fühle sich zwar falsch zitiert, dass der Regelsatz „großzügig“ sei. Dennoch hält er die Grundsicherung für solide. Zu etwaigen Reformen nahm er keine Stellung – dies müssten andere entscheiden. Unberücksichtig gelassen haben die t-online-Interviewer und Scheele jedoch den Umstand, dass in Deutschland derzeit 13 Millionen Menschen in Armut leben, denen das System Hartz IV kein Leben über dem Existenzminimum ermöglicht. Dies liegt unter anderem daran, dass gerade die finanziell Schwächsten und schon vor der Krise von Hartz IV Betroffenen von den Maßnahmen der Regierung quasi unberücksichtigt geblieben sind. Bild: Sonja Birkelbach / AdobeStock
21. Januar 2021
Von Hartz IV Betroffene müssen für die Bedarfsberechnung ihre Vermögenswerte offenlegen. Da es sich um eine Grundsicherung des Existenzminimums handelt, dürfen die Hartz IV-Leistungen nicht aufgewandt werden, um Vermögenswerte anzuhäufen. Doch es gibt begründete Ausnahmen. Tilgung von Immobilienkosten in Ausnahmefällen möglich Grundsätzlich ist eine Übernahme der Tilgungskosten von Darlehen zum Kauf von Immobilien nicht als Teil der Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II (tatsächlicher Bedarf, sofern angemessen) vorgesehen. Das Bundessozialgericht hat jedoch geurteilt, dass eine bereits weitgehend abgeschlossene Immobilienfinanzierung bei der Bedarfermittlung berücksichtigt werden kann. So soll der Verlust des beinahe erworbenen Wohneigentums verhindert werden (z.B.: B 4 AS 49/14 R). Auch gesundheitliche Gründe können Grund für Kostenübernahme von Immobilienraten sein Doch auch schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines Umzugs aus der bewohnten Immobilie, die noch nicht abbezahlt ist, kann ein Ausnahmegrund sein. Sofern derartige Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen jedenfalls per medizinischem Gutachten nachweislich zu erwarten sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Ratenzahlungen durch das Jobcenter übernommen werden müssen. Denn ein Anspruch auf Tilgungsleistung besteht weiterhin grundsätzlich nicht. Jedoch kann auf Grundlage von § 22 Abs. 8 SGB II eine Übernahme der Schulden durch das Jobcenter erfolgen, um die Unterkunft der Betroffenen zu sichern. Diese Übernahme erfolgt dann in Form von Darlehen. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 13 AS 261/19) entschieden.
21. Januar 2021
Nur weil behinderte Menschen wegen eines höheren COVID-19-Erkrankungsrisikos jegliche öffentliche Veranstaltung meiden, können sie sich deshalb nicht von dem Rundfunkbeitrag befreien lassen, urteilte das Sozialgericht Osnabrück. Befreiung nur dann wenn Behinderung von Veranstaltungen ausschließt Die für die Befreiung vom Rundfunkbeitrag erforderliche Zuerkennung des Merkzeichens RF stehe behinderten Menschen nur zu, wenn sie aufgrund ihrer Behinderung allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sind, entschied das Sozialgericht Osnabrück in einem am Dienstag, 19. Januar 2021, bekanntgegebenen Gerichtsbescheid (Az.: S 30 SB 245/18). Vor Gericht war ein 1948 geborener gehbehinderter Mann mit einem Grad der Behinderung von 90 gezogen. Er beantragte die Zuteilung des Merkzeichens RF, damit er keine Rundfunkbeiträge mehr zahlen muss. Als Begründung führte er an, dass er aufgrund seiner Muskelerkrankungen unter unkontrollierbaren Hustenanfällen und starken Schleimabsonderungen leide und wegen seiner Vorerkrankung und seines Alters zur Risikogruppe gehöre, schwer an COVID 19 zu erkranken. Sozialgericht Osnabrück lehnt RF-Merkzeichen für behinderten Rentner ab Doch das Sozialgericht lehnte die Zuerkennung des Merkzeichens RF in seinem Gerichtsbescheid vom 7. Dezember 2020 ab. Das Merkzeichen könne behinderten Menschen gewährt werden, denen wegen ihres Leidens öffentliche Veranstaltungen nicht zugänglich sind und sie stattdessen Rundfunk hören und fernsehen. Hier sei der Kläger aber nicht wegen seiner Behinderung allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen. Er habe zudem angegeben, selbst mit dem Auto zum Bäcker zu fahren und sonntags regelmäßig Gottesdienste zu besuchen. Eine praktische Bindung des Klägers an das Haus bestehe nicht. Corona-Pandemie nicht ausreichend Finden aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Gesundheitsgefahr Veranstaltung nicht oder nur eingeschränkt statt, seien davon nichtbehinderte Menschen gleichermaßen betroffen. Ein behinderungsbedingter Nachteil liege daher nicht vor. Gegen den Gerichtsbescheid wurde Berufung beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingelegt. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen L 13 SB 4/21 anhängig. fle/mwo
20. Januar 2021
Ab heute gilt in Bayern die FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Handel und im Nahverkehr. Laut Informationen des Tagesspiegels, soll die Maskenpflicht aller Vorraussicht nach bald auch bundesweit gelten. Das jedenfalls ergeht aus internen Kreisen der Bundesregierung. Ein Ergebnis des Bund-Länder-Gipfels steht allerdings noch aus. Gewerkschaften und Sozialverbände fordern in diesem Zusammenhang eine Übernahme der Kosten für Sozialhilfe und Hartz IV Beziehende. FFP2-Masken im öffentlichen Raum Die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie reichen nicht aus, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Im Gegensatz zu dem normalen "Mund-Nasen-Schutz" können die FFP2-Masken auch den Träger effektiv vor einer Infektion schützen. Doch wie sollen Hartz IV Beziehende die Mehrkosten stemmen? Denn die FFP2-Masken sind wesentlich teurer. „Die Bezieher von Grundsicherung und Hartz IV müssen die FFP2-Masken kostenlos erhalten, da sie sich die teuren Masken finanziell nicht leisten können“, fordert Awo-Sprecher Holger Scharff. Nur 17 Euro für Hygieneartikel in den Hartz IV-Regelleistungen Denn der Regelsatz sieht nur 17 Euro im Monat inklusive dem alltäglichen Bedarf für Seife, Duschgel oder Zahnpasta vor. Eine Packung (10 Stck) FFP2-Masken kostet bereits 25 Euro. Eine Pandemie war in den Regelleistungen nie vorgesehen. Auch Senioren mit kleinen Renten sollten kostenlos FFP2-Masken erhalten. „Die gesundheitliche Sicherheit muss für alle Personen gleich gewährleistet sein – unabhängig von der Höhe des vorhandenen Einkommens“, betonte Scharff. Hartz IV Beziehende sind dazu aufgerufen, einen Mehrbedarfsantrag beim zuständigen Jobcenter zu stellen. Es besteht eine offensichtliche Unterdeckung der Regelleistungen, sagt auch Sebastian Bertram aus Hannover. Antrag auf Mehrbedarf stellen Es ist zwar davon auszugehen, dass die Behörden einen solchen Antrag ablehnen werden, allerdings bietet das Widerspruchsverfahren und eine Klage vor dem Sozialgericht die Möglichkeit, diesen wichtigen Anspruch durchzuklagen. "Ich bin gespannt, wie die Jobcenter einen solchen Anspruch ablehnen wollen". Besser sei, wenn die Politik Einkommensschwachen Haushalten ohne aufwendigen Klageweg durch einen Zuschuss die FFP2-Masken finanzieren.
19. Januar 2021
Die Corona-Pandemie bestimmt den Alltag. Um trotz geschlossener Schulen am Schulunterricht teilnehmen zu können, haben Kinder in Hartz IV einen unabweisbaren Mehrbedarfsanspruch auf einen internetfähigen Computer. Recht auf Bildung schafft unabweisbaren Mehrbedarf Ein internetfähiges Endgerät ist aufgrund der pandemiebedingten Schulschließungen bzw. des Hausschulunterrichts notwendig, damit Schulkinder ihr Recht auf Bildung und Chancengleichheit wahrnehmen können. Die Anschaffungskosten eines Computers mit Zubehör werden durch den Hartz IV-Regelbedarf jedoch nicht abgedeckt und stellen damit einen grundsätzlichen Mehrbedarf dar. Dies hat jetzt auch das Thüringer Landessozialgericht entschieden (L 9 AS 862/20 B ER). Wann ist der Bedarf tatsächlich unabweisbar? Die Richter stellten fest, dass das Vorhandensein eines Smartphones im Haushalt oder die Möglichkeit, Aufgaben ausgedruckt in der Schule abzuholen, keine hinreichenden Gründe sind, den Mehrbedarf abzuweisen. Dadurch könne kein adäquater Ersatz geschaffen werden. Außerdem könne auch die Beschaffung eines zur laufenden Nutzung vorgesehenen Gegenstandes einen laufenden Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II darstellen. Hier sei lediglich die atypische Bedarfssituation ausschlaggebend, die zu einer dauerhaften Einschränkung des Existenzminimus führen würde. Bild: shangarey / AdobeStock
19. Januar 2021
Werden Schüler im Hartz-IV-Bezug wegen der Corona-Pandemie nur noch Online unterrichtet, können sie vom Jobcenter die Gewährung eines internetfähigen Computers mitsamt Drucker verlangen. Die Ausgaben hierfür stellen einen unabweisbaren laufenden und nicht nur einmaligen Mehrbedarf dar, der nicht mehr aus den regulären Hartz-IV-Leistungen gedeckt werden kann, entschied das Thüringische Landessozialgericht in einem am Dienstag, 19. Januar 2021, bekanntgegebenen Beschluss (Az.: L 9 AS 862/20 B ER). Die Erfurter Richter verwiesen darauf, dass Schüler schließlich Anspruch auf Bildung hätten. Kein Präsenzunterricht für Schüler Konkret ging es um eine Schülerin einer achten Klasse einer Grund- und Regelschule im Landkreis Nordhausen. Wegen der COVID-19-Pandemie findet an ihrer Schule kein Präsenzunterricht statt. Nur noch Hausschulunterricht über die Thüringer Schulcloud ist möglich. Dies war der im Hartz-IV-Bezug stehenden jungen Frau jedoch verwehrt, da sie über keinen internetfähigen Computer verfügt. Auch die Schule oder etwa ein Schulverein hatten keine Geräte zur Verfügung gestellt. Bei ihrem Jobcenter beantragte sie daher die Kostenübernahme für einen internetfähigen Computer mitsamt Drucker und legte ein Angebot in Höhe von 720 Euro vor. Die Behörde lehnte den Anspruch ab. Das eingereichte Angebot sei zudem weit überzogen. LSG Erfurt: Hartz-IV-Regelbedarf deckt PC-Ausgaben nicht ab Das LSG entschied im Eilverfahren, dass das Jobcenter für einen internetfähigen Computer mitsamt Drucker aufkommen müsse. Es liege ein unabweisbarer, laufender und nicht nur einmaliger Bedarf und zudem auch ein Härtefall vor. Die Anschaffung des internetfähigen Endgerätes könne auch nicht aus dem Regelbedarf gedeckt werden. Auch die Schule oder etwa ein Schulverein würden keine Computer zur Verfügung stellen. Die Antragstellerin habe aber auch während der Schulschließungen ein Recht auf Bildung, so dass sie beim Jobcenter einen Mehrbedarf geltend machen könne. Hierfür müsse der Bedarf nicht nur „unabweisbar", sondern auch „laufend" sein. Zwar sei die Anschaffung eines Computers einmalig, die Nutzung für den Online-Unterricht sei aber laufend, so dass diese Voraussetzung zur Kostenübernahme ebenfalls erfüllt sei. Die Schulaufgaben in ausgedruckter Form im Sekretariat der Schule abzuholen, könne dabei den Online-Unterricht nicht ersetzen. Grundsätzlich Anspruch, aber auch Gebrauchtgeräte zumutbar Allerdings habe die Schülerin nur Anspruch auf einen Computer mitsamt Drucker im Wert von 500 Euro. Ihr sei es grundsätzlich zuzumuten, Gebrauchtgeräte zu verwenden. Dies sei „in weiten Bevölkerungskreisen üblich". Offen ließen die Erfurter Richter in ihrem auch bereits schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 8. Januar 2021, ob ein Anspruch auf einen Computer auch dann besteht, wenn eine Schule nur teilweise Präsenz- und teilweise Online-Unterricht anbietet. Das LSG Niedersachsen-Bremen hatte am 6. Oktober 2020 in einem vor Ausbruch der Corona-Pandemie handelnden Streit geurteilt, dass das Jobcenter Schülern im Hartz-IV-Bezug kein iPad zum Lernen finanzieren muss (Az.: L 7 AS 66/19;). Hier fand der Präsenzunterricht in der Schule statt. Zum einen müsse der Schulträger die Schüler mit erforderlichen Lernmitteln ausstatten und dürfe die hierfür anfallenden Kosten nicht auf die Eltern oder das Jobcenter abwälzen, zum anderen seien die Aufwendungen für solch ein Tablet bereits im Regelbedarf enthalten, so die Celler Richter, die allerdings die Revision zum Bundessozialgericht in Kassel zuließen. fle/mwo
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Von der Arbeitsmarktreform sind Millionen von Menschen betroffen. Vieles ist im SGB II unklar und auf die individuellen Bedarfe des Einzelnen zu pauschal ausgelegt. Laut einiger Erhebungen, sollen nur rund 50 Prozent aller Bescheide der Jobcenter mindestens teilweise falsch und rechtswidrig sein. Das bedeutet für die Menschen oft tatsächliche Beschneidungen in Grundrechten und Ansprüchen.
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