Bürgergeld: Zusammenwohnendes Paar muss nicht füreinander einstehen

6. November 2025
Jobcenter dürfen bei einem zusammengezogenen unverheirateten Paar beim Antrag auf Bürgergeld nicht automatisch davon ausgehen, dass dieses füreinander einsteht. Auch wenn die Partner gemeinsam den Mietvertrag für ihre Wohnung unterschrieben haben und sie Lebensmittel und andere Haushaltsgegenstände sowie alltägliche Zahlungsgeschäfte „nach persönlichen Sphären“ nicht strikt trennen, ist dies noch kein Beleg für eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft, stellte das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) in einem am Donnerstag, 6. November 2025, veröffentlichten Beschluss in Schleswig klar (Az.:L 3 AS 163/25 B ER). Die mindernde Anrechnung des Partnereinkommens auf das Bürgergeld sei deshalb noch nicht möglich. Was war der Anlass der Klage? Im Streitfall war der unverheiratete Antragsteller mit seiner Partnerin in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Als er beim Jobcenter Bürgergeld ohne Anrechnung des Einkommens seiner Partnerin beantragt hatte, gewährte ihm die Behörde die Hilfeleistung nur vorläufig. Sie rechnete zudem das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der Partnerin und ihren Rentenbezug mindernd an. Den dagegen gerichteten Antrag des Mannes auf einstweiligen Rechtsschutz, ihm Bürgergeld ohne Anrechnung der Einkünfte seiner Partnerin zu gewähren, lehnte das Sozialgericht Lübeck noch ab. Denn das Paar bilde mit dem Zusammenwohnen eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft. Zwar gehe das Gesetz von der Vermutung aus, dass ein wechselseitiger Wille, füreinander einzustehen, erst vorliegt, wenn die Partner länger als ein Jahr zusammenleben. Dieses „Probejahr“ sei auch noch nicht abgelaufen. Für eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft spreche aber, dass das Paar gemeinsam den Mietvertrag unterschrieben hat. Lebensmittel und Hygieneprodukte oder die Benutzung von Kraftfahrzeugen würden auch nicht strikt getrennt. Es gebe zudem wechselseitige Zahlungen im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Wohnen. LSG Schleswig klärt Anrechnung von Partnereinkommen beim Bürgergeld Das LSG entschied in seinem Beschluss vom 29. Oktober 2025, dass dem unverheirateten Antragsteller vorläufig Bürgergeld ohne Anrechnung des Einkommens seiner Partnerin zusteht. Leben Personen in einer Bedarfsgemeinschaft, seien Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Dies sei bei Eheleuten grundsätzlich der Fall. Bei unverheirateten Paaren könne ebenfalls von einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft vorliegen, selbst wenn das gesetzliche „Probejahr“ noch nicht abgelaufen ist. Allein das Bestreiten der Partner schließe eine solche Gemeinschaft nicht aus. Bei Partnern, die kürzer als ein Jahr zusammenleben, könnten allerdings nur „gewichtige Umstände die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft begründen“. Gemeinsamer Mietvertrag ändert daran nichts Diese seien hier nicht vom Jobcenter nachgewiesen. Dass ein Mietvertrag gemeinsam unterschrieben werde, sei durchaus üblich - etwa in Wohngemeinschaften. Auch eine strikte Trennung von Lebensmitteln und Haushaltsgegenständen sei beim Zusammenleben eher ungewöhnlich. Zwar spreche die Art des Zusammenlebens dafür, dass der Antragsteller mit seiner Partnerin zu einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft heranwächst. „Gleichwohl befinden sie sich noch in der Anfangs- und Erprobungsphase des Zusammenlebens als Paar“, befand das LSG. Das Einkommen der Partnerin sei daher beim Bürgergeld vorläufig nicht zu berücksichtigen. fle
Aktuelles
6. November 2025
Wer kurz vor dem Ruhestand steht, hört oft den Satz, die letzten fünf Jahre seien „die wichtigsten“ für die Rentenhöhe. Der Inhalt dieser Behauptung ist missverständlich. Es gibt nämlich keine Sonderbewertung kurz vor dem Rentenstart. Dennoch sind diese Jahre von herausragender Bedeutung – nicht, weil sie mehr zählen, sondern weil sich in dieser Phase strategische Entscheidungen bündeln, die die spätere Netto- und Bruttorente, den Übergang ins Rentenleben und die Absicherung im Krankheitsfall spürbar beeinflussen. Dr. Utz Anhalt: Die letzten 5 Jahre vor der Rente sind wichtig Was die Rente wirklich bestimmt – und was nicht Die gesetzliche Rente folgt festen Parametern. Maßgeblich sind der Zugangsfaktor, die Rentenart, die erworbenen Entgeltpunkte und der aktuelle Rentenwert. Ob jemand fünf oder zwanzig Jahre vor dem Ruhestand steht, spielt für die reine Bewertungslogik keine Rolle. Es gibt keine versteckten Boni für „die letzten Jahre“. Die Relevanz dieser Phase entsteht daraus, dass jetzt Weichen gestellt werden, die über Abschläge oder Zuschläge, über anrechenbare Zeiten und über die Krankenkassen-Zugehörigkeit im Alter entscheiden. Verlässliche Leitplanken: Regelaltersgrenze und Rentenniveau Planung braucht Stabilität. Für rentennahe Jahrgänge gilt die Regelaltersgrenze von 67 Jahren, eine Anhebung darüber hinaus ist politisch für diese Kohorten nicht vorgesehen. Zugleich soll das Rentenniveau bei 48 Prozent bis 2039 gesichert bleiben. Diese Eckpunkte schaffen Orientierung für den individuellen Zeitplan – etwa dafür, ob ein früherer Ausstieg mit Abschlägen sinnvoll ist oder ob sich ein späterer Rentenbeginn mit Zuschlägen rechnet. Vorzeitig oder später? Abschläge, Zuschläge und die Wirkung auf die Lebensrente Wer als langjährig Versicherter vorzeitig in Rente geht, kann bis zu vier Jahre früher starten, zahlt dafür aber pro Monat 0,3 Prozent Abschlag, in Summe bis zu 14,4 Prozent. Umgekehrt erhöht jeder Monat über die Regelaltersgrenze hinaus den Rentenanspruch um 0,5 Prozent. Entscheidender als der Blick auf eine einzelne Monatszahlung ist der Blick auf die Lebensrente: Ein früherer Start bringt mehr Rentenmonate mit geringerer Rate, ein späterer Start weniger Monate mit höherer Rate. In die Abwägung gehören Gesundheit, Erwerbssituation, Steuer, Kranken- und Pflegeversicherung – und das verfügbare Einkommen aus weiteren Quellen. Abschläge aktiv ausgleichen: Sonderzahlungen und ihre Rolle Wer die Altersrente für langjährig Versicherte anstrebt, kann künftige Abschläge ganz oder teilweise durch freiwillige Sonderzahlungen ausgleichen. Dafür ist es nötig, der Rentenversicherung den geplanten vorzeitigen Rentenbeginn anzuzeigen und die Ausgleichshöhe feststellen zu lassen. Ab dem 50. Lebensjahr ist ein sukzessiver Ausgleich möglich. Damit werden die reduzierten Monatsbeträge rechnerisch auf das Niveau ohne Abschlag gehoben – eine Option, die besonders für Personen mit stabiler Liquidität und planbarer Erwerbsbiografie attraktiv ist. Hinzuverdienst seit 2023: Freiheit ohne Deckel – mit kluger Nutzung Seit dem 1. Januar 2023 gibt es bei vorgezogenen Altersrenten keine Hinzuverdienstgrenzen mehr. Zusatzeinkommen mindert den Rentenanspruch nicht mehr. Das eröffnet Spielräume: Wer vorzeitig startet, kann durch Weiterarbeit oder eine neue Tätigkeit die Abschlagswirkung wirtschaftlich kompensieren, seine Rücklagen schonen und den Übergang flexibler gestalten. Wichtig bleibt die steuerliche Betrachtung, denn zusätzliche Einkünfte wirken auf das zu versteuernde Einkommen und auf Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung. „Besonders langjährig Versicherte“: Hohe Hürden, großer Hebel Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte erlaubt den abschlagsfreien Ruhestand zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze – in der Regel mit 65 Jahren. Die Bedingung ist anspruchsvoll: Es müssen 45 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten zusammenkommen. Gerade auf den „letzten Metern“ ist Vorsicht geboten. Zeiten der Arbeitslosigkeit in den letzten 24 Monaten vor dem frühestmöglichen Beginn zählen in dieser Rentenart grundsätzlich nicht, es sei denn, die Arbeitslosigkeit ist durch eine Insolvenz oder eine Betriebsaufgabe des Arbeitgebers verursacht. Wer realistischerweise die 45 Jahre erreicht, sollte eine unfreiwillige Lücke unbedingt vermeiden. Ein rentenversicherungspflichtiger Minijob kann helfen, anrechenbare Zeiten zu sichern, denn entscheidend ist nicht die Beitragshöhe, sondern die Tatsache, dass Beiträge fließen. Krankenversicherung im Alter: Der stille Schlüssel zur Netto-Rente Die Zugehörigkeit zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) sichert im Alter oft die günstigste Beitragssituation. Zugang erhält, wer in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens zu mindestens 90 Prozent gesetzlich krankenversichert war. Wer knapp unter dieser 9/10-Grenze liegt, kann in den letzten Jahren gezielt steuern – etwa durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung. Misslingt der KVdR-Zugang, droht die freiwillige Mitgliedschaft, die wegen der breiteren Beitragsbemessung regelmäßig teurer ist. Dieser Punkt ist für die Netto-Planung ebenso bedeutsam wie die Rentenhöhe selbst. Unterschätzte Zeiten: Pflege, Dienst, Schule, Ausbildung Die Kontenklärung ist das Fundament jeder Strategie. Anzurechnende Zeiten werden erstaunlich oft übersehen. Pflege von Angehörigen kann unter bestimmten Voraussetzungen rentenrechtlich zählen. Gleiches gilt für Zeiten des Wehr- oder Ersatzdienstes sowie für schulische und berufliche Ausbildung. Jeder dokumentierte Monat bringt Versicherte den 35 Jahren Wartezeit für die Altersrente für langjährig Versicherte oder den 45 Jahren für die besonders langjährig Versicherten näher. Wer Lücken schließt, erhöht nicht nur die Chance auf eine frühere Rentenart, sondern verbessert häufig auch die Entgeltpunktesumme. Freiwillige Beiträge und Steuern: Der doppelte Effekt Neben Ausgleichszahlungen für Abschläge kommen freiwillige Beiträge grundsätzlich in Betracht, um das Rentenkonto zu stärken. Für die besonders langjährig Versicherten gilt dabei als Voraussetzung, dass mindestens 18 Jahre an Pflichtbeiträgen vorliegen. Seit 2023 sind Beiträge zur gesetzlichen Rente vollständig als Vorsorgeaufwendungen steuerlich absetzbar. Das verändert die Nettokosten einer Einzahlung oft erheblich. Strategisch sinnvoll wird das Zusammenspiel, wenn steuerliche Effekte, der geplante Rentenbeginn und die gewünschte Rentenart gemeinsam betrachtet werden. Fünf Jahre, drei Jahre, zwei Jahre, ein Jahr: Ein Übergang in Etappen Fünf Jahre vor dem Ruhestand beginnt die gründliche Bestandsaufnahme. Der Versicherungsverlauf wird angefordert und geprüft, strittige oder unklare Zeiten werden dokumentiert und nachgemeldet. In dieser Phase klärt sich, welche Rentenart realistisch erreichbar ist und ob die 35- oder 45-Jahresmarke in Reichweite liegt. Drei bis vier Jahre vor der Regelaltersgrenze rückt die zentrale Richtungsentscheidung näher: vorzeitig beginnen und Abschläge akzeptieren oder weiterarbeiten und Zuschläge aufbauen. Wer Ausgleichszahlungen plant, entwickelt jetzt die Liquiditätsstrategie und verteilt Einzahlungen über mehrere Jahre, um steuerliche Wirkungen zu glätten. In den letzten 24 Monaten erhalten Risiken besonderes Gewicht. Wer die besonders langjährig Versicherten anstrebt, vermeidet möglichst Phasen des Arbeitslosengeldbezugs, die nicht angerechnet würden. Ein rentenversicherungspflichtiger Minijob kann Brücken schlagen und die Wartezeit sichern. Parallel lohnt der Blick auf die Krankenversicherungshistorie, um die 9/10-Regel zu erfüllen. Zwölf Monate vor dem geplanten Rentenstart folgt die Feinkalkulation. Der Versicherungsverlauf wird nochmals bestätigt, der KVdR-Status geprüft, der Rentenantrag vorbereitet und vollständig dokumentiert. Wer über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten will, klärt Arbeitgebermodalitäten, Nebenverdienst und die spätere Zuschlagsanrechnung. Praxisbeispiel: Wie Karin L. die letzten fünf Jahre vor der Rente strategisch nutzt Karin L. ist Jahrgang 1964, Angestellte in einem mittelständischen Betrieb in Niedersachsen und derzeit 61 Jahre alt. Ihr Ziel ist klar: ein früher, finanziell stabiler Übergang in den Ruhestand. Sie hat bereits 42 Pflichtbeitragsjahre gesammelt, darunter eine duale Berufsausbildung und mehrere Jahre in Vollzeit. In fünf Jahren erreicht sie die Regelaltersgrenze von 67. Sie prüft, ob die „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“ mit 65 ohne Abschläge erreichbar ist. Damit rücken die letzten fünf Jahre in den Fokus – nicht wegen Sonderboni, sondern wegen der Entscheidungen, die jetzt die Weichen stellen. Kontenklärung bei der Rentenversicherung als Start Zu Beginn lässt Karin ihren Versicherungsverlauf lückenlos klären. Sie sammelt Nachweise über die Ausbildungszeit, eine Phase der Kindererziehung und eine neunmonatige Angehörigenpflege, für die die Pflegekasse Beiträge gezahlt hat. Diese Zeiten werden dem Rentenkonto gutgeschrieben und erhöhen die Chance, die 45-Jahres-Wartezeit zu erreichen. Schulische Zeiten allein helfen für diese Wartezeit nicht; entscheidend sind Pflichtbeiträge, Kindererziehungs- und Pflegezeiten sowie weitere anrechenbare Beitragszeiten. Durch die Kontenklärung gewinnt Karin Planungssicherheit: Realistisch fehlen ihr noch gut zweieinhalb Jahre, um die 45 Jahre vollzumachen. Die strategische Grundsatzfrage: Früher gehen mit Abschlag oder später ohne? Karin rechnet zwei Varianten durch. Variante eins wäre die Altersrente für langjährig Versicherte bis zu vier Jahre vor der Regelaltersgrenze. Das würde einen Abschlag von bis zu 14,4 Prozent bedeuten. Variante zwei ist die Altersrente für besonders langjährig Versicherte zwei Jahre früher, aber ohne Abschlag. Aus Sicht von Stabilität und Lebenszeitplanung favorisiert Karin die zweite Variante. Sie setzt sich das Ziel, die 45 Jahre rechtzeitig zu erreichen und zugleich das Netto nach Steuern und Krankenversicherung zu optimieren. Die heikle Phase: Die letzten 24 Monate ohne Lücke Weil in den letzten zwei Jahren vor dem frühestmöglichen Beginn der abschlagsfreien Rente für besonders langjährig Versicherte Zeiten der Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht mitzählen – es sei denn, eine Insolvenz oder Betriebsaufgabe ist der Auslöser –, plant Karin einen Puffer. Ihr Betrieb kündigt Restrukturierungen an. Um eine nicht anrechenbare Lücke zu vermeiden, verabredet sie mit ihrem Arbeitgeber eine Reduktion der Arbeitszeit und hält sich zugleich einen rentenversicherungspflichtigen Minijob bereit. Sollte der Hauptjob wegfallen, sichert der Minijob mit Pflichtbeiträgen die Wartezeit, denn die Beitragshöhe ist weniger wichtig als die Tatsache, dass Beiträge fließen. So verhindert sie, dass der Anspruch auf die abschlagsfreie Rente an der 45-Jahres-Hürde scheitert. Krankenversicherung der Rentner: Der stille Hebel fürs Netto Karin war fast ihr gesamtes Berufsleben gesetzlich versichert, wechselte aber während einer kurzen Selbstständigkeit für einige Jahre in die private Krankenversicherung. In der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens liegt ihre gesetzliche Versicherungszeit bei 88 Prozent – knapp unter der 9/10-Grenze für den Zugang zur Krankenversicherung der Rentner. Sie steuert gegen, indem sie durchgehend in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bleibt. Damit erhöht sie Monat für Monat die Quote und überschreitet rechtzeitig die 90-Prozent-Marke. So sichert sie sich die KVdR-Mitgliedschaft und vermeidet in der Rente die oft teurere freiwillige Versicherung. Freiwillige Einzahlungen mit doppeltem Effekt Parallel lässt sich Karin von der Rentenversicherung einen Vorschlag für Ausgleichszahlungen berechnen, falls sie doch früher als geplant starten müsste. Sie verteilt moderate freiwillige Einzahlungen über mehrere Jahre. Das senkt wegen der vollständigen steuerlichen Absetzbarkeit als Vorsorgeaufwendungen ihre Nettokosten spürbar und erhöht gleichzeitig die spätere Monatsrente. Für sie sind diese Einzahlungen eine Versicherung gegen Unwägbarkeiten: Sollte sie die 45 Jahre wider Erwarten um wenige Monate verfehlen, stünden ihr mehr Entgeltpunkte zur Verfügung; sollte sie die 45 Jahre schaffen, bleibt der Zuwachs in der Rente erhalten. Realistische Zahlen statt Wunschdenken Karin kalkuliert konservativ. Ohne Sonderaktionen würde ihre Bruttorente zum Regeltermin voraussichtlich bei rund 1.600 Euro liegen. Der zweijährige Vorzug als besonders langjährig Versicherte brächte dieselbe Bruttorente bereits mit 65, sofern die 45 Jahre stehen. Fiele sie auf die Altersrente für langjährig Versicherte zurück und ginge zwei Jahre früher, läge der dauerhafte Abschlag bei 7,2 Prozent, also etwa 115 Euro pro Monat weniger. Durch zusätzliche rentenversicherungspflichtige Beschäftigung im Übergangsbereich und die freiwilligen Beiträge erhöht sie ihre Entgeltpunkte in den verbleibenden Jahren. Die KVdR-Zugehörigkeit senkt schließlich die laufenden Abzüge im Alter. Unterm Strich entsteht kein Wunder, aber eine deutlich stabilere und planbare Netto-Rente. Zwölf Monate vor Rentenbeginn: Ordnung, nicht Hektik Ein Jahr vor dem geplanten Start als besonders langjährig Versicherte prüft Karin nochmals den Versicherungsverlauf, klärt den KVdR-Status und bereitet den Rentenantrag vollständig vor. Ihr Minijob mit Rentenversicherungspflicht läuft weiter, bis die 45 Jahre sicher sind. Das vermeidet Stress auf den letzten Metern und schützt vor bösen Überraschungen. Ergebnis: Abschlagsfrei mit 65 – und ein sauberer Übergang Karin erreicht die 45 Jahre, bleibt in den letzten 24 Monaten ohne nicht anrechenbare Lücke und wechselt mit 65 abschlagsfrei in die Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Die vorher geplanten freiwilligen Einzahlungen steigern die Monatsrente leicht und haben sich netto gerechnet. Der Zugang zur KVdR sorgt dafür, dass die Beiträge im Alter kalkulierbar bleiben. Entscheidend ist nicht ein vermeintlicher „Endspurt-Bonus“, sondern die Summe der wohldurchdachten Schritte: Kontenklärung, Vermeidung von Lücken, gezielte Beitragsmonate, vorsichtige Liquiditätsplanung und ein Blick auf die Nettoeffekte. So wird aus den letzten fünf Jahren kein magischer Hebel – aber eine Phase, die die bestmögliche Rente aus Karins Lebenslauf herausholt. Midijob, Minijob, überdurchschnittlicher Lohn: Wie Einkommen in den letzten Jahren wirkt Das Einkommen der letzten Jahre erzeugt zusätzliche Entgeltpunkte – nicht weil es „mehr zählt“, sondern weil jeder beitragspflichtige Euro Entgeltpunkte liefert. Überdurchschnittliche Verdienste, Beschäftigung im Übergangsbereich (Midijob) oder ein Minijob mit Rentenversicherungspflicht tragen dazu bei. In Summe heben sie die Ausgangsrente, ohne Wunder zu versprechen. Ausschlaggebend ist die geschickte Kombination aus stabilen Beiträgen, passender Rentenart, möglichem Ausgleich von Abschlägen und der Vermeidung nicht anrechenbarer Lücken. Ein nüchternes Fazit: Keine Magie Die Rentenhöhe ist das Ergebnis eines Erwerbslebens. Es gibt keinen mysteriösen Endspurt, der die Rente in kurzer Zeit in ungeahnte Höhen katapultiert. Die letzten fünf Jahre sind dennoch ein Scharnier zwischen Arbeitswelt und Ruhestand. Wer jetzt sein Versicherungskonto sauber hält, Zuschläge und Abschläge bewusst steuert, den Zugang zur KVdR absichert und steuerliche Effekte klug nutzt, erhält nicht automatisch eine hohe Rente – aber sehr wahrscheinlich die beste Rente, die der eigene Lebenslauf ermöglicht. Genau darin liegt die Stärke dieser Phase: Sie verwandelt starre Regeln in planbare Handlungsoptionen.
6. November 2025
Wer unter einem ausgebrannten Gefühl leidet, seinen Job nicht mehr schaffen kann und sich dauerhaft erschöpft fühlt, landet schnell in Existenzängsten. Doch bedeutet ein sogenanntes Burn-out-Syndrom automatisch, dass eine Rente wegen Erwerbsminderung gewährt wird? Leider nein – zumindest nicht automatisch. Gerade bei psychischen Erkrankungen sind die Hürden hoch. Wer sich informiert, hat jedoch bessere Karten. Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung – die rechtlichen Grundlagen Damit Versicherte der Deutschen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung gewährt bekommen, müssen zwei große Voraussetzungen erfüllt sein: versicherungs- und medizinisch-sozialrechtliche. Bedingung Kurzbeschreibung Versicherungsrechtliche Voraussetzung Mindestens fünf Jahre Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. bei besonderen Fällen z. B. Arbeitsunfall/Berufskrankheit geringere Wartezeit. Medizinisch-sozialrechtliche Voraussetzung Wegen Krankheit oder Behinderung kann jemand nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich arbeiten (teilweise Erwerbsminderung) bzw. weniger als 3 Stunden täglich (volle Erwerbsminderung). Gleichzeitig muss geprüft werden, ob eine Rehabilitation oder eine andere Zumutbarkeit besteht. Warum ein Burn-out alleine nicht automatisch reicht Ein Kriterium bei der Prüfung einer Erwerbsminderung ist die Fähigkeit, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Es genügt also nicht, wenn jemand seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann – maßgeblich ist vielmehr, ob eine andere zumutbare Erwerbstätigkeit zumindest noch sechs oder drei Stunden täglich möglich ist. Ein Burn-out-Syndrom alleine reicht dafür in der Regel nicht aus. Es wird im internationalen Diagnoseschlüssel (ICD) nicht als eigenständige Krankheit anerkannt, sondern als Problem der Lebensbewältigung klassifiziert. Entscheidend ist daher, welche psychischen oder körperlichen Erkrankungen sich aus dem Burn-out entwickelt haben, wie stark diese die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und ob sie eine dauerhafte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit begründen. Eine nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit reicht nicht aus – die gesundheitliche Einschränkung muss auf unbestimmte Zeit bestehen und darf sich auch durch Rehabilitationsmaßnahmen nicht wesentlich bessern lassen. Psychische Erkrankungen: So wichtig sind sie Psychische Erkrankungen sind längst nicht mehr Randerscheinung – sie sind Hauptursache für neue Erwerbsminderungsrenten. Ja – bei schweren psychischen Erkrankungen kann eine Erwerbsminderungsrente gewährt werden. Doch: das „schwer“ heißt hier → dauerhaft, deutlich, nachhaltig und mit Auswirkungen auf Arbeits- und Lebensalltag. Was heißt das konkret bei Burn-out? Texting GH Master sagte:Wer sich lediglich ausgebrannt fühlt, aber dennoch in der Lage ist, täglich sechs Stunden oder mehr zu arbeiten, hat in der Regel keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Anders sieht es aus, wenn durch den Burn-out schwerwiegende psychische Begleiterkrankungen auftreten – etwa rezidivierende Depressionen, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen –, die die Erwerbsfähigkeit nachweislich so stark einschränken, dass eine Tätigkeit von weniger als drei beziehungsweise sechs Stunden pro Tag möglich ist. In solchen Fällen kann unter Umständen ein Rentenanspruch bestehen. Der Weg dorthin ist jedoch oft lang und komplex: Der Bewilligungsprozess umfasst umfangreiche Antragsunterlagen, medizinische Gutachten und eine sorgfältige Prüfung durch die Rentenversicherung. Statistisch gesehen wird nur etwa jeder zweite Antrag tatsächlich bewilligt. Worauf sollten Betroffene achten? Wer länger krankgeschrieben oder arbeitsunfähig ist, sollte frühzeitig prüfen lassen, ob der Weg in die Erwerbsminderungsrente sinnvoll und notwendig sein könnte – bevor finanzielle Schwierigkeiten entstehen. Dabei ist eine lückenlose Dokumentation entscheidend: Befunde, Therapien, Reha-Versuche und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sollten sorgfältig gesammelt werden, denn je besser die Unterlagen, desto nachvollziehbarer ist die individuelle Situation für die Rentenversicherung. Auch Rehabilitationsmaßnahmen dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Der Grundsatz „Reha vor Rente“ hat rechtliches Gewicht – wer eine zumutbare Reha ohne triftigen Grund ablehnt, riskiert eine Ablehnung seines Rentenantrags. Kommt es tatsächlich zu einer Ablehnung, sollte rechtlicher Beistand hinzugezogen werden, denn häufig bestehen gute Chancen im Widerspruchs- oder Klageverfahren. Nicht entmutigen lassen. Auch wenn die Diagnose „Burn-out“ für sich genommen noch keinen Anspruch auf Rente begründet, heißt das nicht, dass kein Anspruch besteht – sondern dass der Einzelfall genau geprüft werden muss. Fazit Ein Burn-out-Syndrom bringt nicht automatisch eine Rente wegen Erwerbsminderung. Entscheidend sind die konkreten Auswirkungen, die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit und der Nachweis, dass zumindest unter 6 Stunden/Tag Arbeiten nicht möglich ist – und das nicht nur kurzfristig. Wer in dieser Situation steckt, sollte die Anspruchs- und Nachweislage genau prüfen und nicht darauf vertrauen, dass alleine die Diagnose ausreichend ist.
6. November 2025
Es klingt fast wie ein kleines Geheimnis des Sozialrechts: Viele Menschen mit Schwerbehinderung zahlen selbst für Fahrten zu Arztterminen, Reha‑Behandlungen oder Dialyse, obwohl sie – rechtlich gesehen – unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt nicht aus eigener Tasche zahlen müssten. Doch die Praxis sieht anders aus: Nur wer seinen Anspruch kennt und geltend macht, bekommt die vollen Leistungen. Wer danebensteht, bleibt im Taxi sitzen und zahlt. Und das, obwohl die Gesetzeslage großzügigere Regelungen vorsieht, etwa bei den Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis oder bei Serienbehandlungen wie Dialyse. In diesem Beitrag zeigen wir, wer unter welchen Bedingungen Anspruch auf Fahrkostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) oder andere Träger hat – inklusive Checkliste, Praxisbeispielen und Hinweisen auf Jobwege über etwa das Integrationsamt oder die Deutsche Rentenversicherung. Rechtslage im Überblick Gesetzliche Grundlagen: Gemäß § 60 des Sozialgesetzbuchs V (SGB V) übernimmt die Krankenkasse die Kosten für Fahrten „im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen“. Danach gilt: Bei ambulanten Behandlungen grundsätzlich nur in Ausnahmefällen eine Kostenübernahme. Voraussetzung ist eine Verordnung („Krankenbeförderung“ bzw. „Krankenfahrt“) durch den Arzt oder die Ärztin. Die Krankentransport‑Richtlinie (KT‑RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G‑BA) regelt die Einzelheiten. Was heißt das konkret? Fahrten zur stationären Behandlung sind prinzipiell übernommen. Fahrten zur ambulanten Behandlung nur in Ausnahmefällen: insbesondere wenn ein Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen „aG“, „Bl“, „H“ vorliegt oder ein Pflegegrad 3–5 mit dauerhafter Mobilitätsbeeinträchtigung gegeben ist. Ebenso übernommen werden Serienbehandlungen mit hoher Frequenz wie ambulante Dialyse oder Strahlen‑ und Chemotherapie. Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis: „aG“ steht für außergewöhnliche Gehbehinderung, „Bl“ für blind und „H“ für hilflos. Wer diese Einträge im Ausweis hat, genießt einen besonders starken Schutz auch bei den Fahrkosten. Wer hat Anspruch – und wer nicht? (Merkzeichen‑Check) Anspruchslage und Anspruch Hinweise Schwerbehindertenausweis mit „aG“, „Bl“ oder „H“: Fahrkosten‑Übernahme ohne vorherige Genehmigung möglich für ambulante wie stationäre Fahrten Arztverordnung erforderlich, nachvollziehbare medizinische Notwendigkeit muss vorliegen Pflegegrad 4 oder 5: Anspruch auf Fahrkostenübernahme auch bei ambulanten Fahrten Mobilitätsbeeinträchtigung muss gegeben und dokumentiert sein Pflegegrad 3 mit dauerhafter Mobilitätseinschränkung: Anspruch vorhanden, wenn die Mobilität dauerhaft beeinträchtigt ist Ärztlicher Nachweis der Mobilitätseinschränkung notwendig Serienbehandlung (z. B. Dialyse, Strahlen- oder Chemotherapie): Anspruch unabhängig vom Merkzeichen Genehmigung vor Fahrtantritt kann erforderlich sein, besonders bei langfristigen Verordnungen Kein Merkzeichen, kein Pflegegrad, keine Serienbehandlung: Anspruch nur im Ausnahmefall Eigenzahlung wahrscheinlich, Antrag dennoch empfehlenswert Praxisfälle – wo es falsch läuft Fall 1: Frau M., GdB 80, Merkzeichen „G“, keine „aG“, „Bl“ oder „H“, chronische Dialysepatientin. Sie fährt zweimal wöchentlich zur Dialyse. Ihre GKV verweigert die Übernahme der Taxikosten mit der Begründung: „Kein Anspruch ohne Merkzeichen 'aG' etc.“. Hier greift jedoch die Ausnahme „Serienbehandlung mit hoher Frequenz“: Fahrten zur Dialyse sind ebenfalls erstattungsfähig. Frau M. muss diese Kosten nicht tragen. Fall 2: Herr K., Merkzeichen „aG“, benötigt regelmäßig einen Fahrdienst zur Reha‑Nachsorge. Merkzeichen „aG“ unterstellt bereits eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Fahrkosten zur ambulanten Nachsorge – z. B. Reha – sind in der Regel erstattungsfähig. Verweigert die Krankenkasse die Kostenübernahme, lohnt ein Widerspruch. Fall 3: Frau L., schwere Gehbehinderung (GdB 70, Merkzeichen „G“), fährt regelmäßig zu medizinischen Spezialterminen. Ihr Antrag auf Fahrkostenübernahme wird abgelehnt, weil sie weder das Merkzeichen „aG“ noch „H“ besitzt. Entscheidend ist jedoch, ob eine dauerhafte Mobilitätseinschränkung vorliegt und ob Serienbehandlungen notwendig sind. Der Anspruch ist dann nicht automatisch ausgeschlossen, muss aber gut begründet und nachgewiesen werden. Jobwege‑Hebel: Mehr als nur Arzt‑Fahrten Wer schwerbehindert ist und beruflich aktiv bleibt oder wieder einsteigen möchte, kann auch über andere Stellen Fahrkostenerstattungen erhalten. Das Integrationsamt gewährt beispielsweise Zuschüsse, wenn Fahrtkosten aufgrund einer Behinderung im Berufsleben anfallen. Auch bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sind Fahrkostenerstattungen möglich, etwa im Rahmen beruflicher Rehabilitation oder bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 73 SGB IX. Fahrten zu Reha-Maßnahmen oder zum Arbeitsplatz können unter bestimmten Voraussetzungen übernommen werden. Was Sie konkret machen sollten Prüfen Sie, ob Sie eines der Merkzeichen „aG“, „Bl“ oder „H“ besitzen. Falls ja, weisen Sie bei der Antragstellung auf den Anspruch gemäß § 60 SGB V und der Krankentransport-Richtlinie hin. Lassen Sie sich vom behandelnden Arzt oder der Ärztin eine Verordnung für eine Krankenbeförderung ausstellen. Klären Sie im Vorfeld mit Ihrer Krankenkasse, ob eine Genehmigung erforderlich ist. Bei Serienbehandlungen wie Dialyse oder Strahlentherapie sollten Sie die Notwendigkeit sowie die Häufigkeit dokumentieren lassen. Heben Sie alle relevanten Unterlagen auf – Quittungen, Verordnungen, Fahrkarten etc. Wird Ihr Antrag abgelehnt, legen Sie Widerspruch ein und prüfen Sie, ob alternative Kostenträger (z. B. DRV, Integrationsamt) infrage kommen. Warum dieser Anspruch trotzdem oft untergeht Viele Versicherte kennen die Ausnahmeregeln nicht. Krankenkassen handhaben Genehmigungspflichten uneinheitlich. Auch medizinisches Personal ist nicht immer ausreichend über die Voraussetzungen informiert. Häufig wird eine Krankenfahrt ohne vorherige Genehmigung durchgeführt – was dann zur Ablehnung der Erstattung führt. Besonders bei Serienbehandlungen ist oft unklar, ob eine einmalige Genehmigung ausreicht oder jede Fahrt einzeln genehmigt werden muss.
6. November 2025
Viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, kämpfen mit ernsthaften Problemen. Wer krank ist, muss dennoch grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Doch was bedeutet das konkret, wenn die eigene Leistungsfähigkeit nachlässt oder dauerhaft eingeschränkt ist? Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt ordnet die Begriffe ein, erklärt die Abläufe beim Jobcenter und beleuchtet die Schnittstelle zur Erwerbsminderungsrente – einschließlich der oft unterschätzten Arbeitsmarktrente. Ziel ist, Betroffenen eine klare Orientierung zu geben. Dr. Utz Anhalt: Kein Bürgergeld bei voller Erwerbsminderung Was „Erwerbsfähigkeit“ im System des Bürgergeldes bedeutet Im Recht des Bürgergeldes gilt eine Person als erwerbsfähig, wenn sie mindestens drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann. Diese Schwelle ist entscheidend, denn sie trennt den Zugang zum Bürgergeld von der Zuständigkeit der Sozialhilfe. Wer weniger als drei Stunden täglich arbeitsfähig ist, gilt als voll erwerbsgemindert und fällt damit grundsätzlich aus dem Bürgergeld heraus. Die Realität vieler Leistungsberechtigter ist brüchig: wiederkehrende Krankschreibungen, abgesagte Termine im Jobcenter, abgebrochene Maßnahmen und Stellenangebote, die gesundheitlich nicht zumutbar sind. Dieses Spannungsfeld erzeugt nicht nur sozialen Druck, sondern macht die präzise Klärung der Erwerbsfähigkeit zur Schlüsselfrage des Leistungsbezugs. Volle und teilweise Erwerbsminderung: Die juristische Brücke zwischen Jobcenter und Rente Die Rentenversicherung unterscheidet zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung. Voll erwerbsgemindert ist, wer auf absehbare Zeit weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann. Teilweise erwerbsgemindert ist, wer zwar drei Stunden und mehr, aber weniger als sechs Stunden täglich arbeitsfähig ist. Für das Bürgergeld ist dieser Unterschied wesentlich: Bei voller Erwerbsminderung besteht kein Bürgergeldanspruch; bei teilweiser Erwerbsminderung bleibt die Person erwerbsfähig im Sinne des Jobcenters, allerdings mit dem klaren Rahmen, dass nur Tätigkeiten bis unter sechs Stunden täglich in Betracht kommen. Diese Feststellung ist nicht nur eine medizinische, sondern hat unmittelbare sozialrechtliche Folgen. Wer teilweise erwerbsgemindert ist, behält grundsätzlich Zugang zum Bürgergeld, muss sich aber wie andere Leistungsberechtigte bewerben und zumutbare Teilzeitstellen annehmen. Wer voll erwerbsgemindert ist, wechselt in der Regel in die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, sofern nicht eine ausreichend hohe Rente den Lebensunterhalt trägt. Voraussetzungen: Wann die Erwerbsminderungsrente überhaupt in Reichweite ist Medizinische Einschränkungen allein genügen nicht, um eine Rente wegen Erwerbsminderung zu erhalten. Erforderlich ist grundsätzlich, dass über einen bestimmten Zeitraum Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt wurden. Als Daumenregel gilt eine Wartezeit von fünf Jahren, die erfüllt sein muss, damit eine Rente überhaupt gezahlt werden kann. Ausnahmen betreffen Konstellationen, in denen die Erwerbsminderung auf eine anerkannt berufsbedingte Erkrankung oder einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist. In solchen Fällen können geringere versicherungsrechtliche Voraussetzungen genügen. Diese Hürde ist vielen nicht präsent und erklärt, warum Menschen trotz belegbarer gesundheitlicher Einschränkungen keine Rentenleistungen erhalten. Wenn das Jobcenter die Erwerbsfähigkeit prüft Wer wiederholt krankgeschrieben ist, Termine absagen oder Maßnahmen abbrechen muss, löst regelmäßig eine Klärung der Erwerbsfähigkeit aus. Das Jobcenter kann hierfür den ärztlichen Dienst einschalten. In diesem Rahmen findet eine amtsärztliche Begutachtung statt, die die gesundheitliche Leistungsfähigkeit beurteilt und regelmäßig eine Einschätzung trifft, ob und in welchem Umfang eine tägliche Erwerbstätigkeit möglich ist. Rechtlich ist das Jobcenter befugt, eine solche Prüfung zu veranlassen. Ein gesondertes Einverständnis der betroffenen Person ist nicht Voraussetzung, und selbst ohne persönliche Untersuchung kann eine Entscheidung nach Aktenlage getroffen werden. Gerade Letzteres birgt Risiken, weil der schriftliche Befund nicht immer den aktuellen Gesundheitszustand vollständig abbildet. Wird eine persönliche Begutachtung angeboten, kann sie deshalb helfen, ein realitätsnäheres Bild zu zeichnen. Chancen und Risiken einer Feststellung: Entlastung oder Einschränkung Die Klärung der Erwerbsfähigkeit ist kein Automatismus zum Nachteil. Für Menschen, deren Leistungsvermögen spürbar sinkt und die sich fortwährend gegenüber dem Jobcenter rechtfertigen müssen, kann eine klare medizinische Feststellung entlastend sein. Sie schützt vor unzumutbaren Vermittlungen und schafft einen verbindlichen Rahmen für Art und Umfang der zumutbaren Tätigkeiten. Umgekehrt kann eine Feststellung der vollen Erwerbsminderung Nachteile mit sich bringen, wenn kein Rentenanspruch besteht. In diesem Fall endet der Bürgergeldanspruch, und es bleibt die Grundsicherung beim Sozialamt. Mit diesem Zuständigkeitswechsel ändern sich Rahmenbedingungen, die für Betroffene spürbar sind – vom Schonvermögen bis zu möglichen Anrechnungen kleiner Einkünfte. Bürgergeld oder Sozialhilfe: Praktische Konsequenzen Der Wechsel von Bürgergeld zur Sozialhilfe hat praktische Auswirkungen. Beim Bürgergeld gilt ein höheres Schonvermögen, während in der Sozialhilfe geringere Freibeträge Anwendung finden. Auch kleinere Einkünfte aus einem Ehrenamt oder aus Minijobs werden in der Sozialhilfe tendenziell strenger angerechnet. Sachgeschenke, die im Bürgergeld in der Regel nicht als Einkommen gewertet werden und daher keine unmittelbaren Leistungskürzungen auslösen, können in der Sozialhilfe leistungsrelevant sein. Zudem entfallen bei der Sozialhilfe Maßnahmen der Arbeitsförderung, was durchaus ambivalent bewertet wird. Für manche ist der Wegfall von Termindruck und Sanktionsrisiken eine Erleichterung, für andere entfallen damit Chancen auf Qualifizierung und Wiedereinstieg. Teilrente plus Bürgergeld: Was das für Vermittlung und Alltag bedeutet Wer eine teilweise Erwerbsminderungsrente bezieht und ergänzend Bürgergeld erhält, bewegt sich in einem klar abgesteckten Korridor. Das Jobcenter darf nur in Tätigkeiten vermitteln, die die gesundheitlich vertretbare Arbeitszeit berücksichtigen, also in der Regel unter sechs Stunden pro Tag. Diese Klarheit kann helfen, Konflikte um unpassende Stellenangebote zu vermeiden und Bewerbungsbemühungen auf realistische Perspektiven zu fokussieren. Zugleich bleibt die Mitwirkungspflicht bestehen: Auch mit Teilrente sind Bewerbungen, Gespräche und die Bereitschaft, geeignete Teilzeitstellen anzunehmen, Teil des Leistungsbezugs. Die Arbeitsmarktrente: Wenn es an geeigneten Teilzeitstellen fehlt Ein besonderer Mechanismus greift, wenn zwar medizinisch eine Leistungsfähigkeit zwischen drei und sechs Stunden täglich besteht, der Arbeitsmarkt jedoch faktisch verschlossen ist. In dieser Konstellation kommt die sogenannte Arbeitsmarktrente in Betracht. Sie setzt an, wenn innerhalb eines angemessenen Zeitraums – typischerweise etwa innerhalb eines Jahres nach Rentenantrag – trotz Unterstützung durch Jobcenter und Rentenversicherung keine passende Teilzeitbeschäftigung gefunden wird. In der Folge kann eine bestehende teilweise Erwerbsminderungsrente in eine volle Erwerbsminderungsrente umgewandelt werden, um den Lebensunterhalt zu sichern. Wichtig ist, dass der Arbeitsmarkt nicht als verschlossen gilt, wenn eine gefundene Teilzeitstelle freiwillig aufgegeben wird. Entscheidend ist die belegbare erfolglose Suche nach geeigneter Beschäftigung, nicht die subjektive Einschätzung der Passgenauigkeit. Wer hier gut dokumentiert, Berufsbemühungen nachweist und Vermittlungsvorschläge sachlich prüft, schafft die Grundlage für eine tragfähige Entscheidung. Der Kooperationsplan und was der ärztliche Dienst damit zutun hat Der Kooperationsplan bildet heute den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten. Er soll Ziele, Schritte und Unterstützung transparent machen. In der Praxis berührt er auch gesundheitliche Fragestellungen, etwa wenn ärztliche Begutachtungen, Reha-Anträge oder stufenweise Wiedereinstiegsmodelle im Raum stehen. Dass das Jobcenter den ärztlichen Dienst einschalten darf, ist Teil seines gesetzlichen Auftrags. Für Betroffene empfiehlt es sich, ärztliche Unterlagen geordnet bereitzuhalten, Diagnosen und funktionelle Einschränkungen klar zu dokumentieren und bei Untersuchungen konkrete Belastungsgrenzen – etwa Heben, Gehen, Sitzen, Konzentrationsdauer – nachvollziehbar zu schildern. So entsteht ein konsistentes Bild, das sowohl medizinisch als auch arbeitsmarktlich tragfähig ist. Entlastung durch Rente – und was danach zählt Fällt die Entscheidung auf eine volle Erwerbsminderungsrente, liegen die Leistungen der Rentenversicherung in der Regel oberhalb des bloßen Existenzminimums. Häufig kommt ergänzend Wohngeld in Betracht. Mit dem Rentenbezug endet zugleich der Druck typischer Mitwirkungspflichten gegenüber dem Jobcenter: Bewerbungsauflagen, Maßnahmezuweisungen und Meldepflichten treten in den Hintergrund. Das schafft Raum für gesundheitliche Stabilisierung und eine sachliche Perspektivplanung. Wird dagegen nur eine teilweise Erwerbsminderung festgestellt, bleiben Bürgergeld und Vermittlung in Teilzeit der Rahmen – verbunden mit der Chance, den Alltag an die eigene Leistungsfähigkeit angepasst zu gestalten. Fazit: Klarheit schaffen, Rechte kennen, Wege offenhalten Wer gesundheitlich eingeschränkt ist und Bürgergeld bezieht, steht an der Schnittstelle zwischen Sozialleistung und Arbeitsmarkt. Die zentrale Weiche stellt die Feststellung der Erwerbsfähigkeit. Sie entscheidet über Zuständigkeiten, Pflichten und Chancen – und darüber, ob eine (Teil-)Rente in Betracht kommt oder ob das Jobcenter weiter der primäre Ansprechpartner bleibt. Sinnvoll ist, die eigene gesundheitliche Situation offen zu legen, Unterlagen strukturiert vorzuhalten und Begutachtungen aktiv zu begleiten. Wo der Arbeitsmarkt faktisch keine passenden Teilzeitstellen bietet, kann die Arbeitsmarktrente eine wichtige Brücke sein.
6. November 2025
Viele Menschen, die mit einem Bescheid der Rentenversicherung, der Krankenkasse oder des Versorgungsamts konfrontiert werden, erfahren erst zu spät, dass sie innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen oder Klage erheben müssen. Die Überraschung ist groß, wenn der Bescheid bereits bestandskräftig ist – und die Sorge umso größer, dass man nichts mehr tun kann. Doch das stimmt so nicht. Denn im Sozialrecht gibt es eine Besonderheit, die Betroffenen eine zweite Chance ermöglicht: den Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Widerspruch und Klage: Diese Fristen gelten im Sozialrecht Wer die Widerspruchsfrist oder Klagefrist versäumt, steht oft vor einem scheinbar geschlossenen Tor. Die Widerspruchsfrist beträgt einen Monat ab Bekanntgabe des Bescheids. Wer nicht fristgerecht reagiert, kann den Bescheid später nicht mehr mit einem Widerspruch angreifen. Wird gegen den Widerspruchsbescheid ebenfalls nicht innerhalb eines Monats Klage beim Sozialgericht eingereicht, wird auch dieser bestandskräftig. Ein verspäteter Widerspruch oder eine verspätete Klage ist dann grundsätzlich unzulässig. Dennoch können auch bestandskräftige Entscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich aufgehoben oder abgeändert werden – ein Umstand, der vielen Betroffenen nicht bekannt ist. Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X: Ihre zweite Chance Die Grundlage dafür bildet § 44 SGB X. Dort ist geregelt, dass ein sogenannter Überprüfungsantrag gestellt werden kann, wenn ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist – selbst dann, wenn dieser bereits unanfechtbar geworden ist. Dieser Antrag kann jederzeit gestellt werden, eine feste Frist gibt es nicht. Das bedeutet konkret: Auch Jahre später ist es noch möglich, einen Antrag auf nachträgliche Überprüfung einzureichen, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der damalige Bescheid rechtswidrig war. Die Behörde ist dann verpflichtet, diesen Antrag zu prüfen und zu entscheiden, ob der Bescheid korrigiert werden muss. Wann eine nachträgliche Korrektur möglich ist Wird im Rahmen der Überprüfung festgestellt, dass der ursprüngliche Bescheid fehlerhaft war – etwa weil falsche rechtliche Maßstäbe angewendet wurden oder wichtige Informationen nicht berücksichtigt wurden – muss die Behörde diesen aufheben und zugunsten der betroffenen Person neu bescheiden. Diese Regelung gilt nicht nur bei erstmaligen Verwaltungsakten, sondern auch dann, wenn ein Widerspruch oder eine Klage bereits abgelehnt wurde. Anders als in anderen Rechtsgebieten, in denen die Bestandskraft eines Bescheids praktisch unanfechtbar ist, sieht das Sozialrecht hier eine klare Ausnahme vor – mit dem Ziel, soziale Gerechtigkeit auch im Nachhinein zu sichern. Rückwirkende Nachzahlung: Was ist möglich, was nicht? Doch so hilfreich dieser Überprüfungsantrag auch ist, er hat eine entscheidende Einschränkung: Leistungen können rückwirkend nur für einen begrenzten Zeitraum nachgezahlt werden. Bei laufenden Geldleistungen, etwa Rentenzahlungen, Pflegegeld oder bestimmten Leistungen nach dem SGB IX, ist eine Rückwirkung grundsätzlich nur für maximal vier Jahre möglich – gerechnet ab dem Beginn des Kalenderjahres, in dem der Antrag gestellt wurde. Wer also im Jahr 2025 einen Überprüfungsantrag stellt, kann rückwirkend höchstens Leistungen ab dem 1. Januar 2021 beanspruchen. Eine weiter zurückliegende Nachzahlung ist ausgeschlossen, selbst wenn der ursprüngliche Bescheid eindeutig fehlerhaft war. Für Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, also insbesondere beim Bürgergeld oder der Sozialhilfe, gilt sogar eine noch strengere Regelung. Hier beschränkt sich die Rückwirkung in der Regel auf ein Jahr. Wer sich also beispielsweise gegen einen abgelehnten Bürgergeldbescheid wehren möchte, der vor zwei Jahren bestandskräftig geworden ist, kann zwar noch einen Überprüfungsantrag stellen – eine Nachzahlung wäre dann aber allenfalls für das letzte Jahr möglich. So erhöhen Sie die Erfolgschancen Ihres Überprüfungsantrags Trotz dieser Einschränkungen bleibt der Überprüfungsantrag ein starkes Instrument, um gegen fehlerhafte Entscheidungen vorzugehen, auch wenn die üblichen Fristen abgelaufen sind. Damit der Antrag Aussicht auf Erfolg hat, sollten Betroffene möglichst genau begründen, warum sie den Bescheid für rechtswidrig halten. Allgemeine Unzufriedenheit reicht nicht aus. Es muss ein konkreter Fehler vorliegen – etwa die falsche Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift oder das Übersehen wichtiger medizinischer Unterlagen bei der Bewertung eines Grades der Behinderung. In der Praxis zeigt sich immer wieder: Viele Anträge werden zunächst abgelehnt, obwohl gute Argumente für eine Rechtswidrigkeit des Bescheids vorliegen. In solchen Fällen steht erneut der Weg des Widerspruchs und notfalls der Klage offen – diesmal bezogen auf die Entscheidung über den Überprüfungsantrag. Der ursprüngliche Ablauf, bei dem das Fristversäumnis eine unüberwindbare Hürde darstellte, wird so durchbrochen. Rechtsberatung nutzen: Wann sich professionelle Hilfe lohnt Betroffene sollten sich jedoch bewusst machen, dass der Weg über den Überprüfungsantrag rechtlich komplex ist. Die Erfolgsaussichten steigen deutlich, wenn man sich fachkundig beraten lässt – etwa durch einen spezialisierten Sozialrechtsanwalt oder eine kompetente Beratungsstelle. Gerade bei Entscheidungen mit finanziellen Langzeitfolgen, etwa im Bereich der Erwerbsminderungsrente, des Pflegegrads oder bei Schwerbehindertenbescheiden, kann ein erfolgreicher Antrag spürbare Nachzahlungen und langfristige Leistungsansprüche sichern. Fristversäumnis ist kein Endpunkt im Sozialrecht Auch wenn die Monatsfrist für Widerspruch oder Klage verstrichen ist, ist das Verfahren noch nicht zwangsläufig beendet. Das Sozialrecht bietet mit dem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X eine wertvolle Möglichkeit, um bestandskräftige Bescheide nochmals auf ihre Rechtmäßigkeit hin prüfen zu lassen. Wer diesen Weg nutzt, sollte sich über die begrenzte Rückwirkungsdauer im Klaren sein, aber dennoch entschlossen handeln. Denn wer untätig bleibt, riskiert, Ansprüche dauerhaft zu verlieren – obwohl sie vielleicht zu Recht bestanden hätten.
6. November 2025
Menschen mit Schwerbehinderung haben am Arbeitsplatz besondere Nachteilsausgleiche, und das gilt auch hinsichtlich einer Kündigung. Hier gelten Sonderregelungen. Viele Betroffene kennen diese allerdings nicht ausreichend, und oft kursieren Vorstellungen, die in die Irre führen. Die Punkte sind entscheidend und rechtlich festgelegt. Menschen mit Schwerbehinderung haben einen besonderen Kündigungsschutz Als schwerbehinderten Menschen darf Ihnen der Arbeitgeber nur kündigen, wenn das Integrationsamt der Kündigung vorher zustimmt. Das gilt ebenso für ordentliche wie für außerordentliche Kündigungen und Kündigungen in der Probezeit. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber Kenntnis vom Status als Schwerbehinderter hat. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung Wenn im Betrieb eine Schwerbehindertenvertretung vorhanden ist, besteht die Pflicht, diese unverzüglich und umfassend bei einer geplanten Kündigung zu beteiligen. Der Arbeitgeber muss die Vertreter anhören und unterrichten, bevor er die Kündigung ausspricht. Unterlässt er dies, ist die Kündigung unwirksam. Welche Kriterien muss das Integrationsamt befolgen? Ob das Integrationsamt einer Kündigung zustimmt, ist keine Willkür, sondern folgt Richtlinien. Das Integrationsamt prüft im konkreten Fall, ob die Kündigung auf Gründen beruht, die mit der Behinderung nichts zu tun haben, und / oder, ob es für den Arbeitgeber unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Verhaltensbedingte Kündigung Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen schweren Pflichtverletzungen oder Straftaten hat zum Beispiel in aller Regel nichts mit der Behinderung zu tun, es sei denn, das Verhalten gehört zum Krankheitsbild wie bei bestimmten psychischen oder geistigen Erkrankungen. Auch eine Stilllegung des Betriebs ohne andere Möglichkeit, den Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung zu beschäftigen, rechtfertigt eine Kündigung. Das Integrationsamt muss nicht jede Kündigung ablehnen Eine Schwerbehinderung bedeutet dabei nicht grundsätzlich, dass das Integrationsamt eine Kündigung ablehnt, die (auch) mit der Behinderung zusammenhängt. Dabei geht es vielmehr um die Frage, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung zugemutet werden kann. Arbeitsrecht: Mehr Rechte bei Vorliegen einer Behinderung für Arbeitnehmer Recht / Schutz Kurz erklärt Zustimmung des Integrationsamts Vor jeder Kündigung (ordentlich, außerordentlich, Änderungskündigung) eines schwerbehinderten Menschen ist VORHER die Zustimmung des Integrations-/Inklusionsamts nötig. Ausnahmen (erste 6 Monate u.a.) Kein besonderer Kündigungsschutz in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses und in weiteren gesetzlich geregelten Sonderfällen; in dieser Zeit muss eine Kündigung bzw. Probe-Einstellung binnen 4 Tagen dem Integrationsamt angezeigt werden. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (SBV) Die SBV muss vor der Entscheidung umfassend unterrichtet und angehört werden; ohne ordnungsgemäße Beteiligung ist die Kündigung unwirksam. Drei-Wochen-Frist zur Klage Gegen eine Kündigung muss innerhalb von 3 Wochen nach Zugang Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhoben werden – auch wenn z. B. die Amts-Zustimmung fehlt. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) Bei >6 Wochen Krankheit in 12 Monaten muss der Arbeitgeber ein BEM anbieten; unterbleibt es, erschwert das insbesondere krankheitsbedingte Kündigungen. Prävention/Frühzeitige Einschaltung Bei Problemen, die das Arbeitsverhältnis gefährden, sollen Arbeitgeber früh SBV, Betriebsrat und Integrationsamt einbinden, um Lösungen zu suchen. Fristen beim Integrationsamt Außerordentliche Kündigung: Entscheidung i. d. R. innerhalb 2 Wochen (bei Fristversäumnis ggf. fiktive Zustimmung). Ordentliche Kündigung: Entscheidung meist innerhalb von 1 Monat. Gleichstellung (GdB 30/40) Gleichgestellte haben grundsätzlich denselben Sonderkündigungsschutz; er greift, wenn die Gleichstellung bereits vorliegt oder der Antrag rechtzeitig vor Zugang der Kündigung gestellt wurde. Schutz auch ohne Arbeitgeber-Kenntnis Der Zustimmungsvorbehalt gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber von der (Gleich-)Schwerbehinderung wusste. Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung Wenn der Arbeitnehmer trotz Nachteilsausgleichen massive Leistungsdefizite zeigt, also seinen vertraglich vereinbarten Aufgaben nicht nachkommt, dann ist das ebenso ein Kündigungsgrund wie eine langfristige Erkrankung ohne Aussicht auf Besserung. Zustimmung ist die Ausnahme, nicht die Regel Das Integrationsamt wägt dabei die Interessen des Arbeitgebers gegen die des schwerbehinderten Arbeitnehmers ab. Ein Arbeitgeber muss sehr gut begründen, warum er eine Kündigung aussprechen will, und das Amt erteilt nur in Ausnahmen eine Zustimmung. Wann gibt es keine Zustimmungspflicht des Integrationsamtes? Die Zustimmungspflicht entfällt zum Beispiel bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitnehmer weniger als ein halbes Jahr im Betrieb beschäftigt ist, wenn er das 58. Lebensjahr vollendet hat und wenn er Anspruch auf eine Abfindung hat. Der Arbeitgeber muss einer Kündigung vorbeugen Der Arbeitgeber ist bei Kündigung eines Menschen mit Schwerbehinderung zudem verpflichtet, zuvor Maßnahmen vorzuschlagen und / oder umzusetzen, die eine Kündigung verhindern können. Bei Schwierigkeiten, die das Arbeitsverhältnis gefährden könnten, und nachdem der schwerbehinderte Mensch mehr als sechs Monate im Betrieb ist, muss der Arbeitgeber eine Präventionsverfahren ermöglichen und dafür den Betriebsrat und das Integrationsamt einschalten. Wann ist kein Präventionsverfahren nötig? Ein Präventionsverfahren ist nicht in allen Fällen nötig, damit eine spätere Kündigung gegenüber Schwerbehinderten wirksam wird. Wenn die Gründe für die Kündigung nicht in Zusammenhang mit der Behinderung stehen, und wenn das Verfahren von Anfang an aussichtslos ist, dann gibt es keine Pflicht, es durchzuführen.
6. November 2025
Ist die dauerhafte Kürzung der Unterkunftskosten durch das Jobcenter aufgrund eines nicht notwendigen Umzugs nichts anderes als eine Dauersanktionierung? Das Gericht urteilte: Die fortgesetzte Deckelung der Kosten der Unterkunft und Heizung ohne Zeitgrenze bei einem Leistungszeitraum, der 4 bis 4 ½ Jahre nach dem Umzug liegt, ist nicht verfassungswidrig (§ 22 Abs. 1 Satz 6 SGB 2). Um was ging es konkret? Einer alleinstehenden Bürgergeldempfängerin mit 2 minderjährigen Kindern wurden 4 bis 4 ½ Jahre vom Jobcenter die Unterkunftskosten monatlich um mehr als 20% der Regelleistung gekürzt, weil ihr Umzug aus Sicht des Jobcenters nicht erforderlich war. Ihre Klage vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen war nicht erfolgreich (LSG NRW, Urt. v. 09.10.2025 - L 19 AS 854/24 -). Der Umzug der Bedarfsgemeinschaft aus Mutter und 2 minderjährigen Kindern war nicht erforderlich § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB 2. Die Prüfung der Erforderlichkeit eines Umzugs ist daran zu messen, ob der Auszug aus der bisherigen Wohnung notwendig oder aus sonstigen Gründen erforderlich ist. Eine Beschränkung auf die bisherigen Kosten der Unterkunft und Heizung kommt von vornherein dann nicht in Betracht, wenn der Umzug in eine andere Wohnung notwendig in dem Sinne ist, dass die bisherige Wohnung den Unterkunftsbedarf des Leistungsberechtigten als Teil der verfassungsrechtlich garantierten Existenzsicherung nicht (mehr) zu decken vermag. Hierunter fallen vor allem auch gesundheitliche Gründe, die einen Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht zulassen (BSG, Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 107/10 R). Diese Gründe waren hier nicht vorhanden. Ein Umzug kann auch als erforderlich angesehen, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund für den Wohnungswechsel vorlag, von dem sich auch ein Nichthilfebedürftiger leiten lassen würde Einen solchen Grund haben die Klägerinnen zur Überzeugung des Senats unter Würdigung der eingeholten Auskünfte von der Polizei, den Angaben des ehemaligen Vermieters, der schriftlichen und persönlich vorgetragenen Umzugsgründe durch die Klägerin sowie der Zeugenaussagen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Umzug war nicht erforderlich wegen Lärm mit den Nachbarn, Polizeieinsätze - nicht geeignetes Wohnumfeld für die Kinder, so das Gericht. Eine unmittelbarer Erhöhung der Kosten der Unterkunft um 18 % sowie der Heizkosten um 81% durch den Umzug stellt kein angemessenes Verhältnis mehr dar, so der Hinweis des Gerichts auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. ( vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 107/10 R). Ist die dauerhafte Kürzung der Unterkunftskosten aufgrund eines nicht notwendigen Umzugs nichts anderes als eine Dauersanktionierung? Der 19. Senat des LSG NRW verneint das ausdrücklich, denn die fortgesetzte Deckelung der Kosten der Unterkunft und Heizung ohne Zeitgrenze bei einem Leistungszeitraum, der 4 bis 4 ½ Jahre nach dem Umzug liegt, ist nicht verfassungswidrig. Das Bundessozialgericht hat bereits entschieden, dass eine pauschale Zeitgrenze der Beendigung der Deckelung im Gesetz keinen Anknüpfungspunkt findet und ein Rückgriff auf den maximalen Bewilligungszeitraum nach § 41 Abs. 1 S. 5 SGB II von einem Jahr in keiner Beziehung zu der Deckelung und ihrem Sinn und Zweck steht (BSG, Urteil vom 17.02.2016 – B 4 AS 12/15 R). Anmerkung vom Verfasser Eine nicht von mir zu begrüßende Entscheidung, denn monatlich rund 100 Euro weniger Miete vom Jobcenter zu bekommen, ist für eine Alleinerziehende verdammt hart. So knallhart stelle ich mir die Neue Grundsicherung nach dem SGB II vor. Verschärfungen bei den Wohnkosten und Nachweispflichten für Vermieter Bei den Unterkunftskosten sind erhebliche Verschärfungen vorgesehen. Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die geplanten Regelungen nicht nur das SGB II betreffen, sondern auch das SGB XII – also Beziehende von Sozialhilfe sowie von Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung, oft alte, kranke und behinderte Menschen.
6. November 2025
Kommt die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber – etwa durch das Anbieten eines Aufhebungsvertrags oder die klare Ansage, man möge doch selbst „nachdenken“ – verändert sich das Kräfteverhältnis. Beschäftigte haben nämlich weiterhin einen gültigen Arbeitsvertrag, sind zur Arbeitsleistung bereit und beziehen Gehalt. "Der Arbeitgeber hingegen möchte seine Leistungspflicht beenden. "Diese Asymmetrie ist Inhalt jeder Abfindungsverhandlung – und sie darf nicht verwischt werden, indem Beschäftigte die Verantwortung für die Trennung übernehmen", sagt der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange aus Hannover. In vielen Fällen spricht der Arbeitgeber parallel eine Freistellung aus: „Kommen Sie nicht mehr, bleiben Sie zu Hause.“ "Genau hier beginnt das Spiel, die in der Praxis häufig zu höheren Abfindungen führt – sofern Betroffene keine entscheidenden Fehler begehen", bestätigt Lange. Warum Freistellungen den Druck auf den Arbeitgeber erhöhen Eine Freistellung ist nicht nur ein organisatorischer Schritt, sie hat eine Symbolwirkung nach innen: Die Belegschaft registriert, dass jemand „weg“ ist. Für die Unternehmensseite ist es reputations- und konfliktträchtig, wenn freigestellte Personen später sichtbar an den Arbeitsplatz zurückkehren – etwa nach einer erfolgreichen Auseinandersetzung. "Dies möchte die Arbeitgeberseite in der Regel vermeiden", sagt der Anwalt. Zugleich entstehen Kosten ohne Gegenleistung. Die Personalabteilung muss erklären, warum Gehalt fließt, obwohl keine Arbeit erbracht wird. Solange jemand noch im Büro sitzt, lässt sich das nach außen relativieren. Sitzt die Person zu Hause, ist der Missstand offensichtlich. Das erhöht den Verhandlungsdruck: "Jede weitere Monatspauschale ohne Arbeitsleistung ist ein stilles Argument zugunsten einer zeitnahen, finanziell befriedenden Einigung." Risikominimierung für Beschäftigte: Keine „Anlassfehler“, keine Fallen Wer freigestellt ist, kann im Betrieb keine Fehler machen, die später als Kündigungsgründe konstruiert werden. Abmahnanlässe, Missverständnisse, eskalierende Situationen im Team – all das entfällt. In dieser Hinsicht wirkt die Freistellung wie ein Schutzschirm. Das senkt die rechtlichen Risiken und stabilisiert die Verhandlungsposition: "Je störungsärmer die Zeit bis zur Einigung verläuft, desto schwerer fällt es dem Arbeitgeber, Druckmittel zu erfinden", sagt Lange. Entfremdung als Katalysator der Trennung Mit der Distanz wächst die faktische Trennung. Beziehungen kühlen ab, Routinen brechen weg, die Rückkehrschwelle steigt. In der Konsequenz wird die finale Einigung – häufig gegen Zahlung einer Abfindung – wahrscheinlicher. Die Freistellung wirkt damit wie ein „Trennungsjahr“ im Kleinen: Sie zementiert das Auseinandergehen und erzeugt Handlungsdruck auf der Arbeitgeberseite, den Prozess zu Ende zu führen. Die Kehrseite: Nervosität und soziale Effekte Freistellungen haben einen emotionalen Effekt. Viele Betroffene empfinden inneren Druck, Unsicherheit und den Verlust sozialer Einbindung. Kolleginnen und Kollegen reagieren mit Abstand; im privaten Umfeld entstehen Fragen. Diese Effekte sind real, aber verhandlungsfremd. Entscheidend ist, die Perspektive zu bewahren: Es geht nicht um Sympathien oder „Schuldfragen“, sondern um die wirtschaftliche Bewertung des Kündigungsschutzes. Wer die Phase aktiv nutzt – zur Information über Rechte, zur beruflichen Neuorientierung oder persönlichen Stärkung – reduziert Nervosität und gewinnt Handlungsfähigkeit zurück. Das mentale Management dieser Übergangszeit ist Teil einer guten Verhandlungsstrategie. Der Kardinalfehler: Freistellung ohne schriftliche Bestätigung Der einzige sachliche Fehltritt mit potenziell gravierenden Folgen ist die rein mündliche Freistellung. Ohne zumindest eine Bestätigung per E-Mail bleibt unklar, ob und wie lange die Freistellung gilt. "Das öffnet Interpretationsspielräume bis hin zu dem Vorwurf, man sei unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben", warnt Lange. Liegt nämlich keine schriftliche Bestätigung vor, verhalten Sie sich wie eine normale Arbeitnehmerin bzw. ein normaler Arbeitnehmer. Erscheinen Sie zur Arbeit, bieten Sie Ihre Leistung an und dokumentieren Sie das. Wird Ihnen vor Ort erneut mitgeteilt, Sie seien freigestellt, verlangen Sie eine schriftliche Bestätigung und gehen erst dann. Diese Klarheit schützt vor Missverständnissen und sichert die Vergütungsansprüche ab. Alltagstaktik während der Freistellung: Professionell, gelassen, dokumentiert Sobald die Freistellung schriftlich fixiert ist, vermeidet sie Risiken und stärkt die Verhandlungsposition. Bis dahin gilt: Präsenz anbieten, Kommunikation sachlich halten, keine Übererfüllung schulden. Rechtlich ist Leistung „mittlerer Art und Güte“ geschuldet – keine Höchstleistung, keine demonstrative Verweigerung. "Wer nüchtern bleibt und Vorgänge knapp dokumentiert, behält die Deutungshoheit, falls es später auf Details ankommt", rate der Rechtsanwalt. Auswirkungen auf die Abfindungshöhe und die Verhandlungen Die Abfindung ist der Preis für die einvernehmliche Beendigung eines rechtlich geschützten Arbeitsverhältnisses. Eine Freistellung verändert die Kalkulation auf Arbeitgeberseite in mehrfacher Hinsicht: Sie verteuert das Abwarten, weil laufende Gehälter ohne Gegenleistung anfallen; sie erhöht das Reputationsrisiko einer Rückkehr; sie reduziert die Chance, drucksteigernde Vorfälle im Betrieb zu generieren. "Für Beschäftigte bedeutet das in der Praxis oft bessere Ausgangswerte bei Frist, Faktor und Nebenpunkten – vom Zeugnis bis zu Freistellungsumfang, Boni, Variablem oder Resturlaub. Voraussetzung bleibt allerdings ein konsistentes Auftreten: keine widersprüchlichen Signale, kein vorschnelles Einlenken, klare Forderungen, und eine belastbare Faktenbasis zu Vergütung, Betriebszugehörigkeit und Vertragsdetails", der der Rat des Arbeitsrechtlers. Fokus auf das Ziel richten Wer die Trennung emotional verhandelt, zahlt häufig drauf. Es geht nicht um moralische Abrechnungen, sondern um eine sachliche Einigung. Hilfreich ist ein innerer Perspektivwechsel: Der Kündigungsschutz ist ein Schutzrecht mit Marktwert. Dieser Wert wird „so teuer wie möglich“ verkauft – nicht trotzig, sondern professionell. Informationen sammeln, professionelle Beratung nutzen, Optionen ruhig durchrechnen: So entsteht die Stabilität, die Arbeitgeber auf der Gegenseite wahrnehmen und typischerweise mit besseren Angeboten beantworten. Und wie hoch ist die Abfindung? Zur Abfindungshöhe gilt: Einen gesetzlichen Anspruch gibt es in der Regel nicht, in der Praxis dient jedoch häufig die „Regelabfindung“ von etwa 0,5 Bruttomonatsgehältern pro Beschäftigungsjahr als Ausgangswert, von dem nach oben oder unten abgewichen wird. Ausschlaggebend sind das Prozessrisiko des Arbeitgebers (etwa formale Schwächen der Kündigung, besonderer Kündigungsschutz, Fehler bei der Anhörung), die Restlaufzeit und Kosten der Beschäftigung einschließlich einer bezahlten Freistellung, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sowie das Reputations- und Rückkehrrisiko. In die Bemessungsgrundlage gehören regelmäßig alle vergütungsrelevanten Bestandteile wie Fixgehalt, variable Zahlungen und Zulagen – realistisch abgebildet über einen Durchschnittszeitraum. Den Gesamtwert des Pakets beeinflussen zudem Nebenpunkte wie Zeugnisnote, Bonus- und Provisionsabgeltung, Resturlaub, Freistellungsgestaltung, Outplacement oder ein Wettbewerbsverbot mit Karenzentschädigung. Steuerlich entscheidet die Progression über den Nettoeffekt; die Fünftelregelung kann – wenn die Voraussetzungen vorliegen – zu einer Entlastung führen, sodass Zeitpunkt und Modalität der Auszahlung (Einmalzahlung vs. Staffel) strategisch mitbedacht werden sollten. "Freistellungen erhöhen dabei oft den Einigungsdruck und können, richtig genutzt, die Verhandlungsmasse für eine höhere Abfindung vergrößern", sagt Lange. Fazit: Freistellung als Chance – mit einer Bedingung Richtig gehandhabt, ist die Freistellung kein Nachteil, sondern ein Hebel. Sie erhöht den ökonomischen und reputativen Druck auf den Arbeitgeber, senkt Risiken für Beschäftigte und beschleunigt die Einigung. Der Preis für diesen Vorteil ist gering, aber zwingend: eine schriftliche Bestätigung. Wer sie konsequent einfordert und bis dahin normal arbeitet, vermeidet den einzigen relevanten Stolperstein. Alles Weitere ist Handwerk: nüchtern bleiben, Rechte kennen, Kommunikation dokumentieren und strategisch denken. So wird aus „Gehen Sie nach Hause“ ein Argument, das am Ende in einer substanziellen Abfindung und einer sauberen Trennung mündet.
6. November 2025
Die Bundesregierung plant, ein Fallmanagement für Versicherte der Deutschen Rentenversicherung gesetzlich zu verankern. Ziel ist es, Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf gezielter zu begleiten und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern oder wiederherzustellen. Der neue § 13a SGB VI soll dafür sorgen, dass Versicherte mit komplexen Problemlagen früher erkannt und bedarfsgerechter unterstützt werden. Der Grundsatz „Prävention vor Reha vor Rente“ steht dabei klar im Fokus. Rentenversicherung begrüßt Fallmanagement – ein Paradigmenwechsel? In einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales stieß das Vorhaben auf breite Zustimmung. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) erklärte, das Fallmanagement erweitere die Handlungsmöglichkeiten der Träger deutlich. So könnten einzelne Aufgaben flexibel selbst übernommen oder an externe Akteure ausgelagert werden. Eine Modularisierung der Prozesse ermögliche passgenaue Hilfe, abgestimmt auf die jeweiligen Kompetenzen vor Ort. Was bedeutet Fallmanagement konkret für Versicherte? Das Fallmanagement ist keine bloße Beratung, sondern eine umfassende Unterstützung im gesamten Teilhabeprozess. Es setzt sich zusammen aus individueller Bedarfsermittlung, Koordination von Leistungen, Begleitung bei Reha-Maßnahmen und der Vernetzung mit anderen Trägern. Dabei wird jeder Fall ganzheitlich betrachtet: Körperliche, psychische und soziale Einflussfaktoren fließen in die Bewertung ein. Die Rentenversicherung orientiert sich am bio-psycho-sozialen Modell der WHO. Frühzeitig erkennen, individuell begleiten – statt nur verwalten Ein Ziel sei es, Unterstützungsbedarfe frühzeitig zu erkennen. Menschen sollen nicht erst dann Hilfe bekommen, wenn sie bereits in der Erwerbsminderung gelandet sind. Das neue Gesetz soll sicherstellen, dass Versicherte mit mehreren Belastungen – etwa gesundheitlichen Einschränkungen und sozialen Problemen – nicht länger zwischen den Systemen verloren gehen. Rentenversicherung soll stärker vernetzen Heute sind viele Hilfsangebote voneinander entkoppelt. Reha, Sozialberatung, medizinische Betreuung und Arbeitsförderung laufen oft nebeneinanderher. Betroffene müssen sich selbst durch ein Labyrinth aus Zuständigkeiten kämpfen. Das Fallmanagement will genau hier ansetzen: Es soll als Knotenpunkt zwischen den Leistungen agieren, Zuständigkeiten bündeln und Begleitung aus einer Hand ermöglichen. Von der Theorie zur Praxis: Wo es noch hakt Trotz der positiven Grundausrichtung des Gesetzes bleibt Kritik nicht aus. Fachleute bemängeln, dass der Gesetzentwurf bisher nur eine Kann-Regelung vorsieht. Die Träger sind also nicht verpflichtet, das Fallmanagement in jedem Fall anzubieten. Dadurch droht ein Flickenteppich: Während manche Regionen vorangehen, könnten andere das neue Instrument ausbremsen – mit gravierenden Folgen für Betroffene, die dann leer ausgehen. Fallmanagement benötigt Ressourcen – und klare Regeln Ein wirksames Fallmanagement ist kein Selbstläufer. Es braucht qualifiziertes Fachpersonal, Zeit für individuelle Begleitung, tragfähige Kooperationen und ein regional funktionierendes Versorgungsnetz. Die bloße gesetzliche Verankerung reicht nicht. Entscheidend ist, ob die Träger mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden – und ob sie bereit sind, eingefahrene Verwaltungslogiken zu hinterfragen. Was Betroffene jetzt wissen sollten Für Versicherte mit mehrfachen Problemlagen – also gesundheitlichen, beruflichen und sozialen Schwierigkeiten zugleich – könnte das neue Fallmanagement eine große Hilfe sein. Es kann dabei unterstützen, Reha-Maßnahmen zu koordinieren, Wiedereingliederung zu fördern und unnötige Rentenzugänge zu vermeiden. Betroffene sollten künftig genau hinschauen, ob ihr Rentenversicherungsträger ein entsprechendes Angebot bereitstellt. Denn der Zugang zur Unterstützung hängt stark von der praktischen Umsetzung vor Ort ab. Fazit: Chance zur echten Teilhabe? Das geplante Fallmanagement hat Potenzial. Es setzt dort an, wo bisher viele durch das Raster gefallen sind – bei Menschen mit komplexen Lebenslagen, die weder allein durch Reha noch durch Rentenzahlungen gut abgesichert sind. Entscheidend wird sein, ob aus dem Gesetz ein verbindlicher Anspruch entsteht – oder ob es bei gut gemeinten Absichtserklärungen bleibt. Nur wenn das Fallmanagement verbindlich, personenzentriert und regional vernetzt umgesetzt wird, kann es sein Versprechen erfüllen: Mehr Hilfe, weniger Bürokratie und eine echte Chance auf Teilhabe für alle, die sie wirklich benötigen.
6. November 2025
Eine Mutter darf ihren achtjährigen Sohn in der Reha begleiten, auf Kosten der Rentenkasse. Voraussetzung dafür ist eine medizinische Notwendigkeit. So entschied das Sozialgericht Gießen (S 4 R 284/12 ER). Rentenversicherung bewilligt sechswöchige Kur Der Sohn litt an Neurodermitis und psychischen Störungen. Um diese zu behandeln, bewilligte die Deutsche Rentenversicherung eine sechswöchige Kur in einer bayrischen Fachklinik für Kinder und Jugendliche. Mutter hält Reha ohne ihre Begleitung für unmöglich Die Mutter wollte den Jungen begleiten und begründete dies damit, dass für ihren Sohn eine Reha allein nicht möglich sei. Er habe starke Ängste und sei deswegen in psychotherapeutischer Behandlung. Sie ergänze diese Argumente damit, dass bei Eltern betroffener Kinder eine Neurodermitis-Schulung sehr wichtig sei. Kinderarzt sieht ohne Mutter die Kur gefährdet Sie stützte die Notwendigkeit, die Reha zu begleiten, auf ärztliche Befunde. Der Kinderarzt des Jungen bescheinigte, dass der Kurerfolg des Jungen ohne Begleitung der Mutter gefährdet sei. Die Psychotherapeutin (und Fachärztin für Allgemeinmedizin) empfahlt sogar, die Reha nicht durchzuführen, wenn die Mutter nicht dabei sein konnte. Fachklinik sichert laut Rentenkasse eine gute Betreuung Die Rentenversicherung lehnte es dennoch ab, die Kosten für die Begleitung der Mutter zu übernehmen. Denn erstens könnte sie Kosten für Kindesbegleitung nur in besonderen Ausnahmefällen übernehmen, wie bei Schwerstbehinderten. Rentenkasse weigert sich, Begleitung aus psychosozialen Gründen zu bezahlen Ansonsten würden die Kosten für die Begleitung der Eltern nur im Vorschulalter übernommen. Psychosoziale Gründe allein rechtfertigten keine Übernahme der Kosten. Zweitens sei in der Fachklinik eine gute Betreuung des Sohnes gewährleistet. Die Mutter klagt vor dem Sozialgericht Die Mutter klagte vor dem Sozialgericht Gießen, um ihren Anspruch durchzusetzen und hatte Erfolg. Hier führte sie aus, ihr Sohn leide bereits jetzt unter der Situation, dass er womöglich allein fahren müsse. Allein in der Klinik zu sein kann Trauma verursachen Er habe deshalb Schlafstörungen, die seinen Trennungsängste noch verstärkten. Ein Aufenthalt in der Klinik ohne ihre Begleitung könne ihren Sohn traumatisieren. Ihr Sohn sei bereits in der dritten Klasse und schaffe es trotzdem nicht allein zu Schule zu gehen. Der Grund seien seine starken Ängste. Einschätzung des Kinderarztes hat ein besonderes Gewicht Die Richter erklärten, dass die Begleitung bei einer Reha nicht auf schwerstbehinderte Kinder beschränkt sei. Es reiche vielmehr aus, wenn medizinische Gründe eine solche Begleitung erzwingen würden. Um dies zu beurteilen habe die Stellungnahme des behandelnden Kinderarztes ein besonderes Gewicht. Dieser kenne die Situation des Jungen und verfüge als Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde über besondere Sachkunde. Die Richter sehen zwingende medizinische Gründe für eine Begleitung Nach der Auffassung des Kinderarztes sei der Erfolg der Kur gefährdet, wenn die Mutter ihren Sohn nicht begleite. Das Argument der Rentenversicherung, dass die Fachklinik eine gute Betreuung gewährleiste, überzeugte die Richter nicht. Null Ermessensspielraum für die Rentenversicherung Die Richter erklärten auch, dass die Rentenversicherung keinerlei Spielraum habe, in deisem Fall nach Ermessen zu entscheiden, da der Erfolg der Reha-Maßnahme ohne Begleitung durch die Mutter in Frage stehe. Das Ermessen der Versicherung sei insofern auf Null reduziert. Nur mit Begleitung ist eine erfolgreiche Behandlung möglich Nur die Übernahme der Unterbringungskosten für eine Begleitperson stünden im Einklang, mit dem Ziel, durch eine stationäre Heilbehandlung die Gesundheit wesentlich zu verbessern oder wiederherzustellen. Die Rentenkasse muss die Kosten für die Mutter übernehmen Deshalb verpflichteten die Richter die Rentenkasse, die Kosten für die Begleitung der sechswöchigen Kur durch die Mutter zu übernehmen.
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Von der Arbeitsmarktreform sind Millionen von Menschen betroffen. Vieles ist im SGB II unklar und auf die individuellen Bedarfe des Einzelnen zu pauschal ausgelegt. Laut einiger Erhebungen, sollen nur rund 50 Prozent aller Bescheide der Jobcenter mindestens teilweise falsch und rechtswidrig sein. Das bedeutet für die Menschen oft tatsächliche Beschneidungen in Grundrechten und Ansprüchen.
Diese Plattform will daher denen eine Stimme geben, die kein Gehör finden, weil sie keine gesellschaftliche Lobby besitzen. Bezieher von Bürgergeld (ehemals Hartz IV) werden nicht selten als "dumm" oder "faul" abgestempelt. Es reicht nicht, dass Leistungsberechtigte mit den täglichen Einschränkungen zu kämpfen haben, es sind auch die täglichen Anfeindungen in den Jobcentern, in der Schule, in der Familie oder auf der Straße. Neben aktuellen Informationen zur Rechtssprechung konzentrieren wir uns auch auf Einzelfälle, die zum Teil skandalös sind. Wir decken auf und helfen damit den Betroffenen. Denn wenn eine Öffentlichkeit hergestellt wurde, müssen die Jobcenter agieren. Sie bekommen dadurch Druck. Lesen Sie mehr darüber in unserem redaktionellem Leitfaden!












