Sind Leistungsberechtigte aus einem wichtigen Grund ortsabwesend, erhalten sie weiter Bürgergeld, wenn das Jobcenter zugestimmt hat. Aber wann darf das Jobcenter nicht sanktionieren bzw. die Leistungen einstellen?
Inhaltsverzeichnis
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Voraussetzung: Kontaktmöglichkeit?
Laut den Fachlichen Weisungen soll eine hinterlegte Kontaktmöglichkeit für das Jobcenter Voraussetzung der Zustimmung sein.
Dies halte ich in einer Phase der „Nichterreichbarkeit“ zwar für an sich nachvollziehbar und auch sinnvoll, aber rechtlich fragwürdig.
Diese Kontaktmöglichkeit ist aber jedenfalls über Dritte, eine abweichende Postadresse oder auch digital ausreichend sichergestellt.
Genaueres dazu siehe vorhergehender Thread dieser Reihe zur Erreichbarkeit.
Welche “wichtigen Gründe” für eine Ortsabwesenheit gibt es?
In §7b Abs2 SGB II gibt es eine Liste mit „wichtigen Gründen“.
Im Gegensatz zur bisherigen Regelung ist diese aber nicht abschließend.
Daher sind weitere „wichtige Gründe“ über die im Gesetz genannten möglich und einer wird schon in der Erreichbarkeitsverordnung genannt.
Wichtiger Grund 1 (§7b Abs 2 Nr1 SGB II):
Ärztlich verordnete Maßnahme der medizinischen Versorgung oder Rehabilitation.
Wer vom Arzt zur Reha oder in eine Klinik geschickt wird, hat einen wichtigen Grund für seine Nichterreichbarkeit.
Das kann von der Behandlung in einer Spezial-, über die Suchtklinik bis zur Psychatrie oder Eltern-Kind-Kur alles möglich sein. Die Dauer ergibt sich aus der ärztlichen Verordnung.
Wichtiger Grund 2 (§7b Abs2 Nr2 SGB II):
Aufenthalt bei einer Veranstaltung, die kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dient oder sonst im öffentlichen Interesse liegt.
Beispiele sind:
- Kirchentag
- angemeldete politische Demonstration
- Parteitag
- gewerkschaftlich organisierter Streik
- Schulung für Betriebsräte
Eine inhaltliche Bewertung des Zwecks durch das Jobcenter außer in Bezug darauf, ob es in diese Kategorie fällt, ist nicht zulässig.
Es darf z.B. nicht die Nichterreichbarkeit zur Teilnahme an einer Demo gegen Sanktionen versagt werden. Ebenso darf auch nicht die Teilnahme an einer kirchlichen Veranstaltung abgelehnt werden, nur weil der Sachbearbeiter überzeugter Atheist ist und Glauben ablehnt.
Nach der Weisung soll dieser Grund bis zu 3 Wochen im Jahr anerkannt werden und auch nur mit Nachweis von Teilnahme und Zwecks der Veranstaltung.
Der Nachweis des Zwecks kann durch Vorlage des Veranstaltungsprogramms oder den Verweis auf eine Online-Quelle erfolgen.
Der Nachweis der Teilnahme ist üblicherweise eine Teilnahmebestätigung, aber gerade bei Großveranstaltungen, bei denen keine Bescheinigungen verteilt werden, kann dies auch über Reise-/Unterkunftsbelege oder durch Zeugen (schriftlich) erfolgen.
Diese Nachweispflichten kann man aber auch kritisch sehen, denn gerade bei den Daten über Religonszugehörigkeit, Gewerkschaft und politischer Zugehörigkeit handelt es sich um besonders geschützte Daten – hier soll es Pflicht sein, diese zu offenbaren?
Wichtiger Grund 3 (§7b Abs2 Nr3 SGB II):
Ortsabwesenheiten, die (überwiegend) der Eingliederung in Arbeit oder Ausbildung dienen.
Klassisch ist hier die Fahrt mit Übernachtung zum Vorstellungsgespräch um 8:00 Uhr in München für jemanden aus Bremen.
Wichtiger Grund 4 (§7b Abs2 Nr4 SGB II):
Ehrenamtliche Tätigkeiten
Wer sich ehrenamtlich engagiert und z.B. mit einer Jugendgruppe auf eine Freizeit außerhalb des näheren Bereichs fährt, der darf dies – wenn die Eingliederung nicht wesentlich behindert wird.
Auch die ehrenamtliche Mitarbeit bei einer Veranstaltung oder ein Auftritt als Sprecher/Ausbilder bei einer Schulung fallen unter diesen Grund. Hierunter fallen auch Einsätze Schulungen des THW oder der Freiwilligen Feuerwehr – insbesondere in Katastophenfällen.
Im sportlichen Bereich kann es z.B. die Mitarbeit bei Turnieren oder Wettkämpfen (z.B. Trainer) sein.
Möglich ist in diesem Zusammenhang aber nicht nur ein unbezahltes Ehrenamt, sondern auch bezahltes Ehrenamt – zB. im Rahmen der Übungsleiterpauschale.
Die Dauer des „wichtige Grunds“ ehrenamtlichen Engagements ist nicht mit einem maximalen Zeitraum zu gewähren.
So können auch 12 Wochen Einsatz im Katastrophengebiet ein anzuerkennender wichtiger Grund sein.
Einschränkung:
Die Vermittlung darf durch das Ehrenamt lediglich nicht WESENTLICH beeinträchtigt werden. Dies wird regelmäßig bei kurzen Einsätzen nicht der Fall sein.
Als Beispiel für eine wesentliche Einschränkung nennt die Weisung ein konkretes Ausbildungs-/Arbeitsangebot, das in dieser Zeit beginnt.
Die Teilnahme an einer (Vermittlungs-)Maßnahme wird in der Regel keine „wesentliche“ Beeinträchtigung darstellen und damit unbeachtlich.
Wichtiger Grund 5 (§3 ErrV):
Unterstützung von Angehörigen
Die Erreichbarkeitsverordnung ergänzt als weiteren wichtigen Grund die Unterstützung von Angehörigen.
Hier werden folgende Momente genannt:
1. Im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes
2. Wegen Pflegbedürftigkeit
3. Im Todesfall eines Angehörigen zur Unterstützung des verbleibenden Angehörigen
Diese Liste ist aber nicht abschließend.
Angehörige in diesem Zusammenhang sind Verlobte, Ehepartner, Verwandte und Verschwägerte in gerader Linie, Geschwister und deren Kinder, deren Ehepartner, Onkel und Tanten und Geschwister des Ehepartner, Pflegeeltern und Pflegekinder.
Die Dauer dieses wichtigen Grundes soll 12 Wochen im Jahr nicht überschreiten, außerdem darf auch hier, wie beim Ehrenamt die Vermittlung nicht wesentlich. In Ausnahmefällen kann diese Grenze aber auch überschritten werden.
Weitere wichtige Gründe:
Einzelfallentscheidung des Jobcenters
Das Jobcenter kann im Rahmen seines Ermessens weitere wichtige Gründe anerkennen – dies gilt sowohl für den Grund als auch für die Dauer der Nichterreichbarkeit.
Denkbar sind z.B. Termine zur Passverlängerung bei weiter entfernt liegenden Konsulat, so dass Übernachtungen erforderlich sind, Besuche bei Umgangskindern, Besuch von Pflegebedürftigen, die nicht reisen können ohne diese tatsächlich unterstützen zu müssen.
Rechtsgrundlagen
§7b Abs2 SGB II: Nichterreichbarkeit aus wichtigem Grund
§3 ErrV: Weitere wichtige Gründe
Fachliche Weisung zu §7b SGB II
Weitere Informationen zur Erreichbarkeit
Weitere Teile dieser Artikel-Serie zur Erreichbarkeit im Bürgergeld findest du im Einführungsartikel verlinkt.
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Simon alias “Sozi Simon” ist Sozialarbeiter aus Leidenschaft. Kämpfer für mehr Gerechtigkeit und gegen das Verschweigen/Verweigern von staatlicher Unterstützung. Er ist Mitautor des SGB II & SGB XII Leitfadens von A-Z. Simon ist insbesondere bei Twitter für seine Ratgeber-Tweets bekannt und seit 2022 freier Autor bei Gegen-Hartz.de