Bürgergeld Mehrbedarf als Härtefall – Anspruch und Vorraussetzungen

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Nicht immer können Bürgergeld-Beziehende die monatlichen Kosten über den Regelbedarf finanzieren – besonders nicht, wenn ein Härtefall vorliegt. In solchen Fällen kann das Jobcenter einen sogenannten „Mehrbedarf für unabweisbare, besondere Bedarfe in Härtefällen“ gewähren. In diesem Ratgeber erfahren Sie alles darüber, wann ein Härtefall vorliegt und wie Sie einen Mehrbedarf beantragen können.

Welche Kosten deckt der Regelbedarf?

Das Bürgergeld setzt sich aus den Mietkosten, dem Regelbedarf und gegebenenfalls durch Mehrbedarfe zusammen. Mit dem Regelbedarf sollen Bürgergeld-Empfangende ihren Lebensunterhalt sichern. Dazu zählen beispielsweise die Bedarfe für

  • Ernährung,
  • Kleidung,
  • Körperpflege,
  • Hausrat,
  • Haushaltsenergie (ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenen Anteile),
  • die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.

In welchen Fällen wird ein Mehrbedarf gewährt?

In bestimmten Lebenssituationen haben Bürgergeld-Berechtigte einen Anspruch auf Mehrbedarf, der zusätzlich zum Regelbedarf ausgezahlt wird. Folgende Mehrbedarfe kann das Jobcenter gewähren:

Gesetzliche Grundlage für Mehrbedarfe im Härtefall

Im zweiten Sozialgesetzbuch (§ 21 Absatz 6 SGB II) ist vorgeschrieben, dass bei „Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt wird, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht“.

In einer Fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu den Bürgergeld-Mehrbedarfen beruft sich die Behörde auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1, 3, 4/09).

Das Gericht entschied dort unter anderem, dass „im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II neben den durchschnittlichen Bedarfen, die über die Regelbedarfe berücksichtigt werden, auch laufende, nicht nur einmalige unabweisbare, besondere Bedarfe, die in atypischen Lebenslagen anfallen, zu decken sind“. Dementsprechend wurde mit § 21 Absatz 6 SGB II eine Regeldung für entsprechende Härtefalle eingeführt.

Über die Härtefallregelung können Betroffene, die Bürgergeld beziehen, sowohl einmalig anfallende Kosten als auch regelmäßig anfallende Zusatzkosten abdecken.

Die Bundesagentur für Arbeit weist jedoch darauf hin, dass die Regelung für „atypische Bedarfe“ vorbehalten und daher nur auf „wenige Fälle begrenzt“ ist.

Welche Voraussetzungen bestehen für einen Härtefall?

Laut der Bundesagentur für Arbeit liegt ein Härtefall vor, wenn es sich um „besondere“ und „unabweisbare“ Bedarfe handelt. Ein Bedarf ist demnach „besonders“, wenn er zum einen durch eine „außergewöhnliche Lebenssituation“ veranlasst wurde und zum anderen nicht durch andere Leistungen abgefangen werden kann.

Eine „außergewöhnliche Lebenssituation“ liegt der Weisung zufolge dann vor, wenn ohne die Deckung des Bedarfs „verfassungsrechtlich geschützte Güter außerhalb der Existenzminimumsicherung gefährdet wären“. Darunter fällt beispielsweise auch der Schutz von Ehe und Familie.

Wann ist ein Bedarf unabweisbar?

Ein Bedarf ist laut der fachlichen Weisung der Bundesagentur unter folgenden drei Bedingungen unabweisbar:

  1. Die entstehenden Kosten können nicht durch Zuwendungen Dritter gedeckt werden – also Freunde und Familie können oder wollen nicht aushelfen.
  2. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, die entstehenden Kosten durch „Einsparmöglichkeiten“ zu finanzieren.
  3. Ein Darlehen zum Abdecken der Kosten wäre nicht zumutbar.

Das Jobcenter sieht vor allem dann von einem Darlehen ab, wenn die betroffene leistungsberechtigte Person aufgrund eines nicht absehbaren und nicht selbst zu verantwortenden Notfalls einen außergewöhnlich hohen Finanzbedarf hat.

Beispiele für Härtefälle

Am häufigsten kommt die Härtefallregelung in folgenden Fällen zur Anwendung:

  • Hilfen für hauswirtschaftliche Verrichtungen für Menschen mit Einschränkungen
  • Übernahme der Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechtes

Haushaltshilfe für erwerbsfähige Menschen mit Einschränkung

Zu den Härtefällen zählen zum Beispiel Menschen, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung alltägliche Verrichtungen im Haushalt nicht durch eigene Kraft oder durch die Unterstützung von Angehörigen tätigen können.

Voraussetzung dafür, dass ein Härtefall-Mehrbedarf im Sinne des Bürgergeldes vorliegt, ist jedoch, dass die Betroffenen grundsätzlich erwerbsfähig sind, also mindestens 3 Stunden täglich einer Arbeit nachgehen können.

Für diese Personen kann das Jobcenter die Kosten für eine Haushaltshilfe übernehmen, die die Betroffenen bei alltäglichen Tätigkeiten unterstützt, wie beispielsweise Einkaufen, Kochen, Reinigung der Wohnung oder beim Wechseln und Waschen der Kleidung.

Kostenübernahme zur Wahrnehmung des Umgangsrechtes

Jeder Elternteil hat das Recht und die Pflicht zum Umgang mit dem Kind. Kinder haben ebenso das Recht ihre Eltern oder einen Elternteil zu besuchen, insofern sie nicht mit diesen zusammenleben. Darüber hinaus haben Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner das Recht einen inhaftierten Partner oder eine inhaftierte Partnerin regelmäßig zu besuchen.

Bei der Wahrnehmung dieser Besuchsrechte können für Bürgergeld-Empfangende Kosten entstehen, die nicht im Regelbedarf vorgesehen sind. In solchen Fällen kann das Jobcenter die Kosten für zwei Besuchsfahrten im Monat übernehmen. Besteht eine gerichtliche Vereinbarung, ein Urteil oder ein Hilfeplan des Jugendamtes, um eine Entfremdung zu verhindern, kann das Jobcenter auch mehr als zwei Fahrten monatlich finanzieren.

Sonstige Härtefälle

Für die oben genannten Fälle liegen bei der Bundesagentur für Arbeit konkrete Handlungsanweisungen vor. Die Behörde weist aber auch darauf hin, dass die Härtefallregelung nicht abschließend ist – auch weitere atypische Situationen, die nicht durch andere Leistungen abgedeckt sind, können als Mehrbedarf für unabweisbare, besondere Bedarfe in Härtefällen anerkannt werden. Dies entscheidet das Jobcenter jedoch gesondert von Fall zu Fall.

Keine Kostenübernahme von nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten

Insbesondere bei bestimmten chronischen Erkrankungen benötigen Betroffene oft Medikamente, medizinische Produkute, spezielle Hygieneartikel oder Heilmittel, deren Kosten gewöhnlich nicht von den Krankenkassen übernommen werden.

Dabei kann es sich zum Beispiel um Hautpflegeprodukte bei Neurodermitis oder um Hygieneartikel bei ausgebrochener HIV-Infektion handeln.

Gelten diese Produkte aus ärztlicher Sicht jedoch als Bestandteil der Therapie, so kann die Verordnung dieser nicht verschreibungspflichtigen Arznei- und Heilmittel ausnahmsweise erfolgen und somit auch von der Krankenkasse übernommen werden.

Betroffene müssen sich daher an die Krankenkasse und nicht an das Jobcenter wenden, wenn sie eine Finanzierung für nicht verschreibungspflichtige Medikamente benötigen.

Sollten die Krankenkassen eine Übernahme der Kosten ablehnen, ist auch aus Sicht des Jobcenters „keine ergänzenden Leistungen gemäß § 21 Abs. 6 SGB II zu gewähren, da es sich in diesem Fall nicht um eine grundrechtsrelevante Beeinträchtigung durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung und somit auch nicht um einen unabweisbaren Bedarf handelt“ (laut Urteil des LSG NRW vom 14.03.2012 – L12 AS 134/12 B).

Generell werden die Kosten für eine medizinisch notwendige Grundversorgung nicht von den Jobcentern übernommen, da diese von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen wird.

Dies gilt beispielsweise auch für Zahnersatz. Krankenkassen übernehmen im Härtefall jedoch oft die Kosten für einen Zahnersatz, wenn die Betroffenen bei der Krankenkasse nachweisen, dass sie Bürgergeld beziehen. Gegebenenfalls kann das Jobcenter für medizinisch nicht zwingend notwendige Behandlungskosten auch ein Darlehen gewähren.

Wann besteht aus Sicht des Jobcenters kein Härtefall?

Neben den bereits genannten Faktoren besteht aus Sicht des Jobcenters kein Härtefall und somit auch kein Anspruch auf Mehrbedarf durch die Härtefallregelung, wenn zwar eine außergewöhnliche finanzielle Belastung vorliegt, die aber nicht als Härtefall gewertet wird.

In diesen Fällen verweist das Jobcenter in der Regel auf andere Möglichkeiten des Leistungsbezuges. Beispiele für eine außergewöhnliche finanzielle Belastung, die kein Härtefall sind:

  • Bekleidungsbedarf für Kinder wegen des Wachstums,
  • Bekleidung / Schuhe in Sondergrößen,
  • Medikamentenzuzahlung,
  • Schulmaterialien,
  • Schulverpflegung,
  • Verhütungsmittel,
  • Therapiekosten bei Lese-/ Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche,
  • Vereinsbeiträgen,
  • Übersetzungskosten für Anerkennung von Staatsbürgerschaften,
  • Gebühren für Passverlängerungen,
  • Urlaubsreisen,
  • Bekleidung für religiöse Feste und Feiern,
  • Prüfungskosten an Privatschulen,
  • Fahrkosten von Großeltern anlässlich der Ausübung des Umgangsrechts mit Enkelkindern,
  • Reisekosten für Verwandtenbesuche.

Antrag auf Gewährung eines unabweisbaren besonderen Bedarfs

Zur Beantragung eines unabweisbaren besonderen Bedarfs stellt das Jobcenter die „Anlage zur Gewährung eines unabweisbaren besonderen Bedarfs“ bereit. Auf diesem Formular können Antragstellende unter anderem die Kosten angeben, die durch den besonderen Bedarf entstehen und erklären, warum sie den Bedarf benötigen.

Das Jobcenter wird bei einem Antrag auf Gewährung eines unabweisbaren besonderen Bedarfs immer prüfen, ob der Bedarf durch eine Leistung anderer Leistungsträger geltend gemacht werden kann.

In Frage kommende Leistungsträger können beispielsweise Unterhaltsvorschüsse, Krankenkassen oder Pflegekassen sein. Darüber hinaus wird das Jobcenter überprüfen, ob der besondere Bedarf durch Einsparungen gedeckt werden kann oder ob ein Darlehen zumutbar ist.

Jobcenter darf im Härtefall keine Sanktionen auferlegen

Im Normalfall darf das Jobcenter Bürgergeld-Empfangenden Sanktionen und Strafen auferlegen, wenn sich diese nicht an die Regelungen halten, die mit dem Bürgergeld-Bezug einhergehen, wie beispielsweise aktiv an der Beendigung der Hilfebedürftigkeit mitzuwirken.

Liegt jedoch ein Härtefall vor, sollen Leistungskürzungen nach § 31a Abs. 3 SGB II nicht mehr ausgesprochen werden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil 1 BvL 7/16. Dort heißt es unter anderem: „Eine Leistungsminderung erfolgt nicht, wenn sie im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde.”

Ob es sich im Einzelfall um einen Härtefall handelt, liegt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nur im Ermessen des Leistungsträgers (dem Jobcenter), sondern ist im Zweifelsfall im vollen Umfang durch ein Sozialgericht überprüfbar.

Fazit: Mehrbedarfe in Härtefallen sind eine Ausnahme

Für den Großteil der Bürgergeld-Empfangenden kommen Mehrbedarfe aufgrund eines unabweisbaren besonderen Bedarfs nicht in Frage. In vielen Fällen mussten Leistungsberechtigte atypische Mehrbedarfe erst vor Gericht erstreiten.

Die Bundesagentur für Arbeit betont in ihrer fachlichen Weisung zu den Mehrbedarfen, dass die Regelung für „atypische Bedarfe“ nur auf „wenige Fälle begrenzt“ ist.

Quellen

  • Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende – (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) § 21 Mehrbedarfe (§ 21 Absatz 6 SGB II)
  • Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 21 SGB II Mehrbedarfe (PDF)