Die Kündigung eines Arbeitnehmers mit Schwerbehinderung wegen häufiger Fehlzeiten ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber die Behinderung nicht angemessen berücksichtigt. So urteilte das Verwaltungsgericht München. (M 15 K 19.4028)
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Kreditsachbearbeiter mit Anfallsleiden
Der Betroffene arbeitete beim Arbeitgeber als Kreditsachbearbeiter im Bereich Immobilienbewertung. Er hat als Epileptiker einen Grad der Behinderung von 50 aufgrund seines Anfallsleidens. Er kann deshalb die Nachteilsausgleiche für Menschen mit Schwerbehinderung am Arbeitsplatz beanspruchen, darunter einen besonderen Kündigungsschutz und die Berücksichtigung seiner Behinderung im Arbeitsschutz.
Häufige Krankheitszeiten und Krankheitsanlässe
Der Betroffene hatte in den letzten Jahren vor der Kündigung überdurchschnittlich viele Krankheitstage gesammelt. Der Arbeitgeber verwies darauf, dass es bereits zwei Jahre vor der Kündigung Gespräche mit dem Arbeitnehmer gegeben hätte, um seine weitere Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen.
Gesundheit bleibt instabil
In beiderseitigem Einvernehmen hätte er fast zwei Jahre vor der Kündigung einen leidensgerechten Arbeitsplatz erhalten. Der Arbeitnehmer hätte bestätigt, dass er sich mit dieser Arbeitsumgebung und der damit verbundenen Aufgabe sehr wohl fühle, und dass diese nicht die Ursache seines nach wie vor sehr instabilen gesundheitlichen Zustands seien.
Angebot zur Eingliederung
Der Arbeitgeber berichtete, die Krankheitstage wären mit dem angepassten Arbeitsumfeld nicht weniger geworden. Unterschiedliche Fehlzeiten hätten sich abgewechselt. Deshalb hätte die Leitung versucht, mit dem Betroffenen ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Nur tageweise hätte er an den Arbeitsplatz zurückkehren können.
Eingliederung bleibt erfolglos
Eine versuchte medizinische Eingliederung sei erfolglos geblieben. Die Fehlzeiten hätten angedauert, und deshalb hätte der Betroffene eine zweite Wiedereingliederung durchgeführt. Auch diese hätte nicht zum Erfolg geführt. Der Betriebsarzt hätte erklärt, dass keine Verbindung bestehe zwischen einer betrieblichen Belastung und den erhöhten Fehlzeiten.
Auswirkungen auf die Betriebsabläufe
Das Team hätte den personellen Engpass durch die Fehlzeiten dauerhaft durch Mehrarbeit auffangen müssen. Dies habe die Betriebsabläufe erheblich gestört. Es sei nicht möglich gewesen, den Betroffenen in den neuen Arbeitsbereich einzuarbeiten.
Teilzeitarbeit oder Kündigung
Der Arbeitgeber habe dem Betroffenen Teilzeitarbeit angeboten, dies habe er aber abgelehnt. Daraufhin habe der Arbeitgeber vorgeschlagen, dass der Betroffene sich über die Möglichkeit einer teilweisen Erwerbsminderungsrente informiere. Dies habe er aber als unattraktiv angesehen.
Mehr Fehlzeiten und Gespräche ohne Ergebnis
Die Fehlzeiten wären sogar mehr geworden, und die gesundheitliche Situation sei weiter instabil geblieben. Ein Folgegespräch hätte keine Ergebnisse gebracht. Der Betroffene sei mit unterschiedlichen Krankheitsbildern fast durchgehend krank gewesen. Ein länger geplantes Gespräch zur beruflichen Eingliederung habe er kurzfristig abgesagt, und ein zweites hätte wieder keine Ergebnisse gebracht.
Der Betriebsarzt habe einer Weiterbeschäftigung nur noch in Teilzeit für möglich gehalten, was der Betroffene aber verweigert habe. Der Betroffene habe keine Bereitschaft gezeigt, zu einer Lösung beizutragen.
Betriebsarzt unterstützt Kündigung
Letztlich habe der Betriebsarzt aus medizinischer Sicht keine Handlungsoptionen außer einer krankheistbedingten Kündigung gesehen. Die Entgeltfortzahlungskosten ohne Krankengeldzuschuss hätten insgesamt 114.923,33 Euro betragen.
Betriebsarzt gibt negative Prognose
Der Betriebsarzt habe eine negative Prognose für die Zukunft gegeben, da die objektiven Tatsachen für weitere Erkrankungen mit erheblichen Fehlzeiten sprächen. Die Fehlzeiten seien unverhältnismäßig hoch mit steigender Tendenz.
Inklusionsamt stimmt der Kündigung nicht zu
Der Arbeitgeber wollte dem Arbeitnehmer eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung aussprechen. Laut Behinderten- und Arbeitsrecht muss das Inklusionsamt einer Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern jedoch zustimmen. Das zuständige Inklusionsamt verweigerte diese Zustimmung. Der Arbeitgeber klagte daraufhin vor dem Verwaltungsgericht, um die Kündigung durchzusetzen.
Schwerbehindertenvertretung übt Kritik
Die Schwerbehindertenvertretung des Betriebs kritisierte die beabsichtigte Kündigung aus mehreren Gründen. So sei unklar, ob der Betriebsarzt eine Gesundheitsprognose stellen könne. Dies könne nur der behandelnde Arzt, und der Betriebsarzt sei sogar zu spät zum letzten Integrationsgespräch gekommen und habe dieses vorzeitig verlassen.
Warum lehnte das Inklusionsamt ab?
Das Inklusionsamt ging davon aus, dass zumindest ein Teil der Fehlzeiten auf die anerkannte Behinderung zurückzuführen sei und damit habe der Betroffene ein hohes Schutzniveau. Deshalb lehnte das Amt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ab.
Behandelnde Fachärzte widersprechen Betriebsarzt
Das Amt führte aus, dass die Stellungnahme des Betriebsarztes an Gewicht verliere, da die behandelnden Fachärzte beide bescheinigten, dass der Betroffene in Vollzeit erwerbsfähig sei und ihm eine positive Gesundheitsprognose stellten.
Der betriebsärztlichen Äußerung fehle es zudem im Vergleich zu den Fachärzten an Detailiertheit. Er habe seine Prognose lediglich nach einem Gespräch mit dem Betroffenen gestellt, und ohne eigene Untersuchung. Der Arbeitgeber hätte eine neutrale ärztliche Stellungnahme über mögliche Fehlzeiten der Zukunft einholen müssen.
Gericht erläutert Schwerbehindertenschutz
Die Klage des Arbeitgebers scheiterte vor Gericht. Die Richter erklärten die Bedeutung des Schwerbehindertenschutzes beim Abwägen gegenüber der Freiheit des Arbeitgebers zur unternehmerischen Gestaltung. Dieser Schutz gewänne dann an Gewicht, wenn die beabsichtigte Kündigung aus Gründen erfolge, die in der Behinderung selbst lägen.
Arbeitsplatz muss in der Nähe der Wohnung sein
Der Betroffene argumentierte vor Gericht, er habe Vorschläge zur Lösung gegeben, doch der Arbeitgeber habe diese ohne Diskussion abgelehnt. Mit 45 Jahren, seiner Erkrankung und seinen Einschränkungen sei er ein besonderer Härtefall, denn Arbeitsplatz und Wohnort müssten nahe beieinander liegen. Im Notfall bei einem Anfall müsse er in der Lage sein, zeitnah nach Hause zu kommen und sich hinzulegen.
Bei einer Kündigung sei es ihm nahezu unmöglich, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, der seiner Qualifikation entspräche.
Argumente des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber gab an, er habe zumutbare betrieblichen Maßnahmen umgesetzt und mehrere Integrationsgespräche ohne Ergebnis geführt. Mehrere Wiedereingliederungen seien gelaufen. Trotzdem sei eine stabile und längerfristige Aufnahme der Arbeit durch den Betroffenen nicht zu erwarten.
Die Arbeitsleistungen des Betroffenen seien in den vergangenen drei Jahren nicht mehr nennenswert gewesen, und bis zur Regelaltersgrenze würden sich die Entgeltfortzahlungen des Arbeitgebers voraussichtlich erheblich vergrößern.
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
„Es bestünde ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Das Festhalten am Arbeitsvertrag sei dem Kläger nicht weiter zumutbar.“ Eine Weiterbeschäftigung widerspreche allen Grundsätzen der wirtschaftlichen Vernunft.
Wie argumentiert das Inklusionsamt?
Das Inklusionsamt bekräftigte seine Einwände, der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung zuzustimmen. Aufgrund des Lebensalters und der Schwerbehinderung sei die Chance kritisch, einen neuen Arbeitsplatz finden. Der Betriebsarzt hätte keine schriftliche Stellungsnahme abgegeben. Das Arbeitsverhältnis sei bisher unbelastet gewesen und die Fehlzeiten hätten den Arbeitgeber nicht signifikant belastet.
Fahrradunfall rechtfertigt keine negative Zukunftsprognose
Das Inklusionsamt stellte zudem die Behauptung des Arbeitgebers als falsch dar, die Fehlzeiten seien kontinuierlich und steil angestiegen. Es hätte sich hier im wesentlichen um die Folgen zweier Unfälle sowie einer Infektion gehandelt. Diese seien lange ausgeheilt und hätten insofern nichts mit Prognosen für die Zukunft zu tun. So habe der Betroffene einen Sturz mit einem neuen Rennrad erlitten, da dessen Bremsen defekt gewesen seien.
Kein Präventionsverfahren
Das Gericht verlangte vom Arbeitgeber eine Erklärung, warum dieser kein Präventionsverfahren durchgeführt habe. Das Inklusionsamt betonte, dass bei Epilepsie durch technische Hilfsmittel die Möglichkeit bestehe, Anfälle zu reduzieren. Ein Präventionsverfahren wäre auch zielführend gewesen, um unmittelbare Nebenwirkungen von Medikamenten zu mindern.
Im Gegensatz zur betrieblichen Eingliederung erfordere ein Präventionsverfahren einen umfassenden wechselseitigen Austausch von Erkenntnissen, zum Beispiel über die Ursachen der Schwierigkeiten und über mögliche Hilfen, auch finanzieller Natur.
Keine Epilepsieberatung und keine psychosoziale Betreuung
Der Arbeitgeber hätte die Epilepsieberatung hinzu ziehen können und durch psychosoziale Betreuung die Verständigung zwischen Arbeitgeber und Betroffenem erheblich verbessern können. Dies alles habe der Arbeitgeber versäumt. In diesem Punkt waren sich Inklusionsamt und Richter einig.
Arbeitgeber meint, Kündigung sei auch mit Prävention erfolgt
Der Arbeitgeber hielt den Verweis auf das nötige Präventionsverfahren für nichtig. Denn auch ein Präventionsverfahren hätte die Kündigung nicht verhindern können. Die Epilespsieberatung hätte nicht hinzugezogen werden müssen, da der Betroffene sich in umfassender Betreuung befunden und bestätigt habe, dass die Epilepsie keinen Einfluss auf seine Arbeit habe.
Der Arbeitgeber habe alle innerbetrieblichen Maßnahmen ausgeschöpft.
Keine negative Gesundheitsprognose
Der Betroffene legte ein zusätzliches Attest seines Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vor. Diesem zufolge lag keine negative Gesundheitsprognose vor. Allein deshalb sei kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorhanden.
Klage ist unbegründet
Die Richter wiesen in der Folge die Klage des Arbeitgebers als unbegründet ab. Das Inklusionsamt hätte die Zustimmung zur Kündigung zu Recht verweigert.
Was bedeutet dieses Urteil für Betroffene?
Dieses Urteil zeigt, dass die Hürden hoch sind, Menschen mit Schwerbehinderung wegen Fehlzeiten am Arbeitsplatz zu kündigen. In diesem Fall guckte das zuständige Inklusionsamt genau hin und legte den Finger auf das, was der Arbeitgeber versäumt hatte.
Das ist aber nicht immer so. Auch Inklusionsämter winken bisweilen Kündigungen schwerbehinderter Arbeitnehmer durch, die später vor Gericht nicht standhalten. Der Arbeitgeber hätte in diesem Fall frühzeitig den Kontakt zu Fachleuten suchen müssen wie zu Epilepsieberatern und Fachärzten statt allein auf sein Schema der innerbetrieblichen Maßnahmen zu setzen.




