Verfassungsbeschwerde: Lohnsteuer und Hartz IV

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Verfassungsbeschwerde: Lohnsteuer und Hartz IV

aktualisiert, 08.08.2014

Schon seit 15 Jahren werden Steuererstattungen (und auch sonstige Erstattungen) von den Sozialbehörden (später Jobcentern) mit der Regelleistung verrechnet. Anfang 2010 traf es auch mich und ich entschloss mich, zu klagen. Ende Oktober 2010 wurde mir dann mitgeteilt, das meine Klage keine Aussicht auf Erfolg habe, was mit dem BSG Urteil vom 13.5.2009 (B 4 AS 49/08 R) begründet wurde. In diesem Urteil wird auch auf BVerwG 5 C 35.97 vom 18.2.1999 verwiesen.

Also machte ich mich an die beschwerliche Arbeit und wühlte mich da durch und so langsam wurden drei Dinge immer klarer. Erstens hatten allem Anschein nach weder der Senat vom Bundessozialgericht noch noch der vom Bundesverwaltungsgericht auch nur grundlegende Ahnung vom Steuerrecht. Zweitens scheinen sie alle keine Ahnung von formaler Logik zu haben (wenn man aus nicht gegebenen Voraussetzungen ohne eine Herleitung zu einem Schluss kommt und behauptet er sei richtig, dann ist das schon recht befremdlich). Und es gab drittens keine gesetzliche Grundlage für die Urteile; es handelt sich also um Richterrecht.

Im Grundgesetz Artikel 14 heißt es:
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

Wenn Richterrecht faktisch zu Enteignungen führt, dann ist das, wenn man so will, doppelt verfassungswidrig! Jetzt folgt die Kurzfassung, dass dies wirklich deutsche Realität ist; hier kann man die komplette Verfassungsbeschwerde lesen.

Am 8.11.2011 hatte das Bundesverfassungsgericht beschlossen (1 BvR 2007/11), eine Klage nicht anzunehmen. Dies geschah mit der Begründung:

„Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
[1] Gründe: Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren wegen der teilweisen Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II aufgrund des
Zuflusses einer Einkommensteuererstattung. ….“

Jetzt muss ich kurz etwas einfügen, was man zum weiteren Verständnis braucht und zwar wird immer von Eigentum (Vermögen) und Besitz geredet (ich verwende lieber Eigentum mit und Eigentum ohne aktuelle Verfügungsgewalt sowie Verfügungsgewalt ohne Vermögensrecht). Wenn ich mir das Auto von Peter leihe, dann ist das Auto in meinem Besitz, aber es gehört nicht zu meinem Vermögen. Wenn Peter das Auto fährt hat er sowohl die Verfügungsgewalt als auch das Eigentum an dem Auto.

Wenn ich zur Bank gehe und Geld abhebe, dann ändert sich weder etwas an meinen Eigentumsverhältnissen noch etwas an denen der Bank. Dieser Teil des Vermögens hat bei dieser Transaktion das Vermögen nicht verlassen. Dies nennt man eine Umschichtung von Vermögen. Anders ist es, wenn ein Arbeitgeber den Lohn auszahlt; dann verlässt ein bestimmter Betrag das Vermögen des Arbeitgebers und landet im Vermögen des Arbeitnehmers. Dies nennt man einen Zufluss.

Das Bundesverfassungsgericht geht also (ohne eine rechtliche Grundlage zu nennen) davon aus, dass ein Zufluss statt gefunden hat, also ein Betrag ein Vermögen (wahrscheinlich das des Staates) verlassen hat und einem anderen Vermögen zugeflossen ist. Was aber, wenn diese Annahme schlicht falsch ist? Dann kann man den nächsten Versuch starten, diese Rechtsprechung zu Fall zu bringen, weshalb ich am 1.8.2014 nach Ausschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde eingereicht habe.

Die Beschwerdebegründung ist 20 Seiten lang, was sicherlich viel zu viel für einen Artikel ist. Also mache ich die Situation erst einmal an einem einfachen Beispiel klar und dann schauen wir mal, ob und wie berechtigt diese Betrachtungsweise in Bezug auf Steuererstattungen ist.

Ich gehe in den Dönerladen um die Ecke, setze mich an einen der Tische und hänge leichtsinniger weise meine Jacke über die Stuhllehne (ich war gerade bei der Bank und habe 400 Euro von meinem Arbeitslohn abgehoben und die sind in der Jackentasche). In einem Augenblick, als ich nicht aufpasse, zupft jemand das Portemonnaie samt Geld und Papieren und verschwindet unerkannt. Jetzt mache ich drei Betrachtungen.

Am nächsten Tag überkommt den Täter Reue; er steckt das Portemonnaie in einen Briefumschlag und wirft ihn bei der Polizei in den Briefkasten. Die ermittelt mich aufgrund eines Ausweises als Eigentümer, ruft mich an und ich darf mein Eigentum in Empfang nehmen. Es wird wohl niemand auf die Idee kommen, dass das nicht rechtens ist.

Wie 1. nur gibt der Dieb seine Beute erst nach zwei Monaten ab. Es wird wohl niemanden geben, der die Rückgabe aufgrund der längeren Zeitdauer nicht für rechtens halten wird.

Wie 2. nur bin ich zwischenzeitlich auf Hartz IV abgesunken. Das Jobcenter sagt, dass war ein Zufluss. Folglich wird mir eine kleine Pauschale gegönnt und der Rest wird mit der Regelleistung verrechnet. Ich habe niemanden in meinem Bekanntenkreis, der gesagt hätte, das wäre nachvollziehbar und gerecht!

Seitens des Bundessozialgerichtes, des Bundesverwaltungsgerichtes und auch des Bundesverfassungsgerichtes gibt es nur die Behauptung (ohne Ableitung aus irgendeinem Gesetz), dass die Zahlung durch das Finanzamt einen Zufluss darstellt. Und ich bin jetzt in der angenehmen Lage, dass die Abgabenordnung (also letztlich das Steuerrecht) mir einiges an Munition liefert.

Zunächst einmal ist die Lohnsteuer eine Erhebungsform der Einkommensteuer. Grundsätzlich gilt, dass sich das zu versteuernde Einkommen aus der Differenz zwischen Einnahmen und notwendigen Ausgaben ergibt. Diese Steuern sind sogenannte Jahressteuern, denn die Höhe der Steuer wird erst nach Ablauf des Jahres festgesetzt. Damit spätere Ausgleichszahlungen ‘handlich’ bleiben, werden vorab Zahlungen geleistet. Zum Jahresende wird die Steuerlast berechnet und mit den schon geleisteten Zahlungen verrechnet. Es kann jetzt zu Nachforderungen oder Erstattungen kommen.

In den Urteilen des BSG (es sind übrigens drei und die Urteilsbegründungen sind nahezu wortidentisch; sie stellen also zumindest keine unabhängigen und begründeten Rechtsauffassungen dar) wird behauptet, es gäbe steuerliche Dispositionsmöglichkeiten und man könne auch die Steuerklasse wählen. Um es kurz zu machen: Es gibt bei den Steuerklassen keine Wahlmöglichkeit (außer durch Heirat oder Trennung) und bei den Freibeträgen existiert eine detaillierte Liste, was anerkannt werden darf. Sogar wenn man die Steuerklasse wählen dürfte, so hätte das keinen Einfluss auf die Höhe der Steuer, sondern nur auf die Höhe der Vorauszahlung. Und der Einfluss von Freibeträgen ist einzig und allein, ob man diese Ausgaben über das Jahr verteil geltend macht oder erst zum Jahresende.

Genug der Abschweifung, zurück zum Thema. Wir sehen uns einmal ganz genau an, was da passiert, wenn ein Arbeitgeber das Gehalt überweist. Als erstes muss er sagen (also nicht formell): „Dieser Betrag gehört jetzt nicht mehr mir. Er soll ab sofort dem Arbeiter XY gehören“. Dies ist in der Buchhaltung die erste Buchung. Dann wird (nach einer juristischen Sekunde) der Arbeitgeber zum Erfüllungsgehilfen des Angestellten (Verpflichtung per Gesetz) und es erfolgen weitere Buchungen und zwar aus dem Eigentum von XY heraus. Die Lohnsteuer wird an das Finanzamt abgeführt (der Arbeitnehmer ist Schuldner der Steuer), es geht Geld an die Krankenkasse usw. usw. und alles dies aus dem Eigentum des Angestellten, denn der bekommt zum Schluss nur noch seinen Nettolohn überwiesen.

Somit haben wir schon mal bewiesen, dass das Geld, das mit der Lohnsteuererstattung ausgezahlt wird, schon Eigentum des Steuerzahlers war, bevor das Finanzamt es überhaupt bekommen hatte.

So, jetzt blicken wir noch einmal auf die andere Seite, nämlich die Erstattung an den Steuerzahler. Nehmen wir an, bei der Steuerfestsetzung hätte sich ein Betrag zugunsten des Steuerzahlers ergeben. Jetzt unterstellen wir ganz einfach mal, es kommt bei der Erstattung zu einer erheblichen Verzögerung. Wenn das Geld dann endlich kommt macht man große überraschte Augen: Das Finanzamt hat nicht nur den Betrag überwiesen sondern auch noch Zinsen gezahlt! Was sagt uns das? Es sagt uns, dass das Finanzamt die Erstattung als das Eigentum des Steuerzahlers angesehen hat (würde der Gesetzgeber es anders gesehen haben, dann hätte er die Zinszahlung weglassen müssen).

Somit haben wir den Beweis, dass der Betrag Eigentum des Steuerzahlers war, als ihn das Finanzamt bekam und es wieder oder noch immer war, als er den Betrag zurück bekam.

Jetzt müssen wir uns um dieses „wieder oder immer noch“ kümmern.

Das einfachste Modell ist, dass man dem Finanzamt Teile seines Vermögens zu Verwahrung gibt (es ist immer noch Eigentum, jedoch hat man keine Verfügungsgewalt über den dort gelagerten Betrag). Nach Festlegung der Höhe der Steuer wird verrechnet und es entsteht entweder eine Nachforderung oder man erhält die Verfügungsgewalt über den Restbetrag zurück. Der Restbetrag hätte das Vermögen also nie verlassen, wäre also Teil des Schonvermögens. Das Jobcenter sagt, uns egal, wir sehen das als Zufluss und verrechnen es mir der Regelleistung. Der Betrag verschwindet also aus dem Schonvermögen und das ist entschädigungslose Enteignung und verfassungswidrig.

Etwas schwieriger ist das Modell, in dem jede einzelne Teilzahlung in das Vermögen des Staates übergeht. Da haben wir jetzt das Problem, dass ein Dieb kein Eigentum an seiner Beute haben kann (er kann das zwar behaupten aber stimmen tut es nicht). Ergibt sich nach der Verrechnung eine Zahlung zugunsten des Steuerzahlers, dann hätte der Staat sich unrechtmäßig aus dem Eigentum des Steuerzahlers bedient und das nennt sich Enteignung. Um dieses verfassungswidrige Verhalten zu heilen wird der Betrag wieder zu Eigentum des Steuerzahlers deklariert. Das Jobcenter sagt, uns egal, wir sehen das als Zufluss und verrechnen es mir der Regelleistung. Der Betrag verschwindet also wieder aus dem Eigentum und das ist entschädigungslose Enteignung und verfassungswidrig.

Abschließend möchte ich noch ein Modell vorstellen, nämlich das ‘wahre’. Wenn ein Malermeister ein Wohnzimmer renoviert und eine Rechnung über 1.500 Euro schreibt, dann zahlt er ja nicht Einkommensteuer auf die 1.500 Euro, sondern er zieht zuvor alle seine Aufwendungen ab, die er hatte, um die Einnahme überhaupt zu erzielen. Genau das Gleiche macht auch ein Angestellter, etwa wenn er einen sehr langen Weg zur Arbeit fährt. Und wann und mit welchem Geld bestreitet er diese Aufwendungen etwa für Benzin? Aus dem Vermögen heraus, das er schon besaß. Was hatte somit das Finanzamt gemacht? Es hatte Aufwendungen als Einkommen versteuert (also letztlich geklaut). Folglich ist die Steuererstattung die Rückgabe von Vermögen, über das der Steuerzahler schon verfügte, bevor sein Arbeitgeber ihm den Monatslohn überwiesen hatte!
Wie wird das Bundesverfassungsgericht jetzt reagieren? Ich meine, das sind extrem intelligente Leute, die dort arbeiten und sie sind fintenreich. Abweisung aufgrund formaler Fehler oder Fristversäumnis? Kurzfristig erfolgreich; aber deshalb veröffentliche ich ja die gesamte Beschwerdebegründung und der nächste Beschwerdeführer steht schon in den Startblöcken! Das bringt es also nicht. Die Beschwerde annehmen und mit irgendwelchem juristischem Geschwurbel begründen, dass das alles rechtmäßig ist? Soweit wird das BVerfG wohl (hoffentlich) nicht sinken wollen. BSG und BVerwG eine volle Klatsche verpassen? Wie war das mit den Krähen und den Augen?

Warum in 1 BvR 2007/11 die Beschwerde vom BVerfG abgewiesen wurde, haben wir ja schon gesehen. Es scheint, dass das BVerfG entweder den eigentlichen Beschwerdegrund nicht wahrgenommen hat oder ihn nicht wahrnehmen wollte. Folglich wurde eine Überweisung als Zufluss bezeichnet, was die Sache dann ja einfach macht. Hat das BVerfG das Rückgrat so einen Fehler zuzugeben? Als Staatsbürger hoffe ich, als Bezieher von Regelleistungen (und den hieraus resultierenden Erfahrungen mit der Gerichtsbarkeit), habe ich arge Zweifel!

Also ganz ehrlich, ich bin absolut gespannt, wie es weiter geht, und ich hoffe, dass ihr alle mitfiebert! Ein Ende der massenhaften Enteignung der Ärmsten in Deutschland nach 15 Jahren.

Dat wär doch echt mal ‘n Ding!
(Autor: Jürgen D. Henning)

Bild: Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de