Menschen mit einer Schwerbehinderung können Zuschüsse und Förderungen erhalten, damit der Studienalltag erleichtert wird. Welche das sind, stellen wir in diesem Beitrag vor.
Noch immer gilt ein Studium für Menschen mit Behinderungen als Kraftakt. Dabei zeigen aktuelle Zahlen der bundesweiten Erhebung „beeinträchtigt-studieren 2021“: Rund 16 Prozent aller immatrikulierten Studierenden in Deutschland geben an, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung ihr Studium erschwert.
Damit hat sich der Anteil binnen zehn Jahren verdoppelt, wobei psychische Erkrankungen inzwischen die häufigste Ursache sind.
Inhaltsverzeichnis
Tabelle: Zuschüsse und Förderungen fürs Studieren bei Behinderung in 2025
Zuschuss / Förderung | Kurzbeschreibung – Wer zahlt ? Was wird abgedeckt ? |
Studienassistenz (Eingliederungshilfe, § 112 SGB IX) | Finanziert persönliche Assistenz, z. B. Gebärdensprachdolmetscher ∙ Schreibkraft ∙ Organisations- oder Mobilitätshilfe, wenn das Studium sonst nicht gleichberechtigt möglich wäre. Zuständig: örtliches Sozial-/Integrationsamt; bei seelischen Behinderungen bis max. 27 J. i. d. R. das Jugendamt (einkommens- und vermögensunabhängig). |
Technische Hilfen (Eingliederungshilfe) | Übernimmt individuelle Geräte wie Screenreader, Braillezeile, Spezialhörsysteme oder mobile Rampen, wenn Hochschul- oder Studierendenwerk-Pools nicht ausreichen. Antrag ebenfalls beim zuständigen Rehabilitationsträger. |
Wohnassistenz / Ambulant betreutes Wohnen | Finanzierung von Unterstützungsleistungen im Alltag (An-/Auskleiden, Haushaltsführung, Begleitung), wenn selbstständiges Wohnen am Studienort sonst nicht möglich ist. Kostenträger: Eingliederungshilfe; bei Pflegegrad zusätzlich kombinierbar mit Leistungen der Pflegeversicherung. |
Pflegeversicherung (SGB XI) | Pflegegeld, Pflegesachleistungen (ambulanter Pflegedienst) und Entlastungsbetrag können auch im Studium eingesetzt werden. Zahlung des Pflegegelds darf nicht auf Sachleistungen umgestellt werden, solange die Versorgung gesichert ist. Innerhalb der EU auch bei Auslandssemester weiterzahlbar. |
Barrierefreie Wohnheimplätze der Studierendenwerke | Kein Geldtransfer, aber prioritärer Zugang zu (teil-)barrierefreien Zimmern oder Appartements; Vorlage des Behindertenausweises verkürzt die Warteliste häufig auch bei nicht-barrierefreiem Wohnbedarf. |
Erasmus+ Inklusionszuschuss | Zusätzliche, bedarfsorientierte Mittel für behinderungs- oder krankheitsbedingte Mehrkosten während eines Erasmus-Auslandssemesters (Assistenzpersonen, Technik, barrierefreie Unterkunft, Mehrkosten im Alltag). Antrag über die Heimathochschule parallel zum regulären Erasmus-Stipendium. |
DAAD-Programme (Kurz- und Jahresstipendien) | Sonderförderlinien oder Aufstockungen für Studierende mit Behinderung / chronischer Krankheit; anrechenbar sind Assistenz, Mobilitäts- und Hilfsmittelkosten. Beantragung direkt beim DAAD oder über die Hochschule. |
Begabtenförderungswerke (Parteistiftungen, kirchliche Werke, Studienstiftung u. a.) | Regelleistungen (Stipendium + Studienkostenpauschale) können um behinderungsbedingten Mehrbedarf aufgestockt werden – etwa für technische Hilfen, Mobilität oder medizinische Zusatzkosten; Entscheidung im Einzelfall. |
Jugendamt (Hilfen für junge Volljährige, § 35a SGB VIII) | Bei seelischer Behinderung meist bis zum 27. Geburtstag Zuständigkeit für Teilhabeleistungen (z. B. Studien- oder Wohnassistenz). Vorteil: keine Anrechnung von Einkommen / Vermögen. |
Nachteilsausgleiche an Hochschulen | Geldlose, aber wirtschaftlich bedeutsame Kompensation: verlängerte Prüfungszeiten, alternative Prüfungsformen, Aussetzen von Präsenzpflichten, Terminverschiebungen. Antrag bei der Prüfungs- oder Behindertenbeauftragten Stelle der Hochschule. |
Studienassistenz – wer hilft, wenn der Hörsaal zur Hürde wird?
Ob Gebärdensprachdolmetscherin, Begleit- und Schreibkraft im Rollstuhl, oder organisationaler Coach für autistische Kommilitoninnen und Kommilitonen: Studienassistenz ist der Schlüssel, wenn die eigene Behinderung eine gleichberechtigte Teilnahme an Lehrveranstaltungen verhindert. Rechtsgrundlage ist § 112 SGB IX; hier wird die „Teilhabe an Bildung“ als eigenes Leistungsziel der Eingliederungshilfe definiert.
Zuständig ist in der Regel das örtliche Sozial- oder Integrationsamt. Bei seelischen Behinderungen springt bis zum 21., in vielen Fällen sogar bis zum 27. Lebensjahr das Jugendamt ein, was einen entscheidenden Vorteil bietet: Jugendhilfefinanzierte Assistenz wird einkommens- und vermögensunabhängig gewährt.
Wohnen – wie wird der neue Lebensabschnitt barrierefrei?
Der Umzug an den Hochschulort wirft meist mehr Fragen auf als das Studium selbst. Studierendenwerke führen Wartelisten für Wohnheimplätze; wer eine Behinderung nachweist, rückt dort oft deutlich vor.
Für einzelne Hochschulstädte gibt es darüber hinaus Internate der Berufsbildungswerke, die ihre Zimmer teilweise auch an Studierende vermieten. Hinzu kommen Wohnangebote kirchlicher oder freier Träger, die inklusive WGs oder Gastfamilienmodelle betreiben.
Sobald im Alltag Unterstützung beim An- und Ausziehen, beim Kochen oder bei der Mobilität notwendig wird, lässt sich ambulante Assistenz ebenfalls über die Eingliederungshilfe finanzieren.
Wer bereits einen Pflegegrad besitzt, darf parallel Leistungen der Pflegeversicherung – etwa Pflegegeld oder Entlastungsbetrag – einsetzen; die Pflegekasse darf ein reines Sachleistungsmodell nicht aufzwingen, solange die Versorgung nachweisbar sichergestellt ist.
Technik – welche Hilfsmittel darf ich verlangen?
Barrierefreie Computerarbeitsplätze in der Bibliothek, mobile Rampen oder Höranlagen gehören vielerorts inzwischen zur Grundausstattung. Reicht das nicht aus, können Studierende individuelle Geräte beantragen: Ein Screenreader für blinde Nutzerinnen, ein digitales Hörsystem zum Herausfiltern von Störgeräuschen oder eine Braillezeile sind typische Beispiele.
Auch hier greift die Eingliederungshilfe, die keinen festen Hilfsmittelkatalog kennt, sondern das „erforderliche und angemessene“ Arbeitsmittel bezahlt.
Nachteilsausgleich – wie werden Prüfungen fair?
Die Spielräume sind größer, als viele vermuten: Verlängerte Schreibzeiten, Arbeiten am Computer statt von Hand, Verschiebung von Prüfungsterminen wegen Operationen oder Therapien, Umwandlung einer Klausur in eine mündliche Prüfung – all das kann beantragt werden. Wer krankheitsbedingt nicht dauerhaft anwesend sein kann, kann die Präsenzpflicht aussetzen lassen.
Grundlage ist in den meisten Prüfungsordnungen ein pauschaler Verweis auf das Gleichbehandlungsgesetz; konkrete Antragswege erläutern die Beauftragten für Studierende mit Behinderung an den Hochschulen ebenso wie die Studierendenvertretungen.
Pflege, Jugendhilfe, Eingliederungshilfe – wer zahlt wann?
Die Finanzierungslage ist komplex, weil mehrere Sozialleistungssysteme parallel laufen.
Im Kern gilt das Nachrangprinzip: Der jeweils speziellere Träger – etwa die Pflegeversicherung für pflegebedingte Bedarfe – zahlt zuerst, bevor die Eingliederungshilfe Lücken schließt.
Bei jungen Erwachsenen mit seelischen Beeinträchtigungen bleibt das Jugendamt bis längstens zum 27. Geburtstag federführend; ein Wechsel zum Sozialamt kann deshalb finanzielle Nachteile bedeuten.
Auslandssemester – Traum oder Realität?
Ein Studienaufenthalt im Ausland ist trotz Behinderung möglich, wenn auch planungsintensiv. Die klassische Eingliederungshilfe finanziert Leistungen außerhalb Deutschlands nur im Ausnahmefall.
Verlässlicher ist die Inklusionsunterstützung von Erasmus+: Seit 2021 stellt das Programm zusätzliche Zuschüsse zur Verfügung, um etwa Assistenzpersonen, barrierefreie Unterkünfte oder medizinische Mehrkosten zu finanzieren.
Die Anträge werden an der Heimathochschule gestellt; die Fördersumme orientiert sich an den tatsächlichen Ausgaben und kann reguläre Erasmus-Raten deutlich übersteigen.
Darüber hinaus berücksichtigen mehrere Begabtenförderungswerke behinderungsbedingte Mehrkosten in ihren Stipendienbudgets. Pflegegeld wird innerhalb der EU weitergezahlt, außerhalb Europas jedoch höchstens sechs Wochen pro Jahr.
Wo finde ich Beratung und Unterstützung?
Fast jede Hochschule unterhält heute eine Servicestelle oder Beauftragte für Studierende mit Behinderungen; hinzu kommen die Sozial- und Rechtsberatungen der Studierendenwerke sowie bundesweite Portale wie „beeintraechtigt-studieren.de“.
Wer konkrete Leistungsanträge stellen will, sollte frühzeitig Kontakt zu diesen Stellen aufnehmen, da die Bearbeitungszeiten in den Sozialämtern mehrere Monate betragen können – ein zeitlicher Vorlauf, den insbesondere ein geplantes Auslandssemester erfordert.
Fazit – Teilhabe ist ein Recht
Das Bundesteilhabegesetz hat das Studium als eigenständigen Bildungsabschnitt ausdrücklich anerkannt. Hilfen sind deshalb nicht von der Kulanz einzelner Stellen abhängig, sondern einklagbare Rechtsansprüche.
Die Hürden im Hochschulalltag bleiben, doch mit Studienassistenz, technischen Hilfen, Nachteilsausgleichen und der passenden Wohnform lässt sich ein Studium heute weitaus barriereärmer gestalten als noch vor wenigen Jahren. Entscheidend ist, die eigenen Bedarfe zu kennen und sich nicht scheuen, sie frühzeitig geltend zu machen – denn chancengerechte Bildung ist der erste Schritt zu einem selbstbestimmten Berufsleben.