In einem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (AZ: L 7 SB 27/20 B ER) wurde festgestellt, dass auch das Vorliegen mehrerer Erkrankungen nicht automatisch zur Gewährung des Merkzeichens aG führt, wenn bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind.
Kriterien zur Feststellung des Merkzeichens aG
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens aG ist die deutliche Einschränkung der Gehfähigkeit. Wenn der Antragsteller in der Lage ist, mit Hilfsmitteln wie einem Rollator oder Unterarmstützen eine größere Gehstrecke ohne große Anstrengungen und ohne Pausen zurückzulegen, wird das Merkzeichen aG nicht zuerkannt.
Auch wenn mehrere gesundheitliche Beeinträchtigungen gleichzeitig bestehen, führt dies nicht automatisch zur Feststellung des Merkzeichens, sofern die Gehstrecke von 200 Metern bewältigt werden kann.
Äußere Umstände werden nicht berücksichtigt
Äußere Umstände spielen bei der Entscheidung zur Gewährung des Merkzeichens aG keine Rolle. Dies betrifft die individuelle Wohnsituation des Antragstellers oder die Notwendigkeit einer Begleitperson.
Der Umstand, dass der Antragsteller aufgrund der Entfernung zur nächsten Bushaltestelle auf ein Fahrzeug angewiesen ist, kann nicht als Kriterium zur Zuerkennung des Merkzeichens herangezogen werden. Diese äußeren Umstände sind für die Bewertung der Gehbehinderung selbst nicht relevant, da das Merkzeichen aG auf die objektive Mobilitätsfähigkeit begrenzt ist.
Einschränkungen durch medizinische Befunde
Im vorliegenden Fall wurde eine umfassende medizinische Untersuchung des Antragstellers durchgeführt. Es wurden verschiedene Einzelgrade der Behinderung (GdB) für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen festgelegt. Diese Einzel-GdB führten zu einem Gesamt-GdB von 100.
Das Merkzeichen aG wurde nicht bewilligt, da der Antragsteller mit Gehhilfen eine Strecke von 200 Metern zurücklegen konnte. Auch nach einer Herzoperation, bei der eine Kreislaufpumpe implantiert wurde, und einer anschließenden Rehabilitation war der Antragsteller weiterhin mobil und konnte am Rollator Strecken zwischen 145 und 200 Metern bewältigen.
Gutachterliche Stellungnahmen und Ablehnung des Merkzeichens
Ein versorgungsärztlicher Gutachter schlug unter Berücksichtigung der anderen Erkrankungen einen Gesamt-GdB von 100 sowie die Vergabe des Merkzeichens G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) vor, lehnte jedoch das Merkzeichen aG ab.
Der Antragsteller widersprach dieser Entscheidung mit dem Hinweis, dass er dauerhaft auf Unterarmgehstützen angewiesen sei und seine Gehstrecke durchschnittlich nur 50 Meter betrage. Trotz dieser Einwände blieb es bei der Ablehnung des Merkzeichens aG.
Einstweilige Anordnung und gerichtliche Entscheidung
Im weiteren Verlauf beantragte der Antragsteller eine einstweilige Anordnung, um das Merkzeichen aG vorläufig zu erhalten. Er argumentierte, dass das Abwarten in der Hauptsache aufgrund der langen Verfahrensdauer eine unbillige Härte darstellen würde.
Er betonte, dass er aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen auf die Begleitung durch eine weitere Person angewiesen sei, insbesondere um medizinische Geräte zu transportieren. Diese Argumente wurden jedoch vom Gericht nicht als ausreichend angesehen, um einen Anspruch auf das Merkzeichen aG zu begründen.
Sozialgericht entscheidet gegen Antragssteller
Das Sozialgericht entschied, dass weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch vorlagen. Die vom Antragsteller angegebenen Einschränkungen wurden bereits in den medizinischen Gutachten berücksichtigt, und die vorliegenden Befunde ließen keine Notwendigkeit für eine ständige Rollstuhlnutzung erkennen.
Die erheblichen Einschränkungen der Gehfähigkeit rechtfertigten zwar die Feststellung eines Gesamt-GdB von 100 und das Merkzeichen G, jedoch nicht die Anerkennung des Merkzeichens aG.
Relevanz des Merkzeichens B und weitere Ablehnungsgründe
Der Antragsteller argumentierte weiter, dass die Notwendigkeit einer Begleitperson aufgrund seiner Sturzneigung und der erforderlichen Mitführung medizinischer Geräte die Vergabe des Merkzeichens aG rechtfertige. Diese Argumentation wies das Gericht jedoch zurück.
Die Begleitung des Antragstellers wird durch das bereits zuerkannte Merkzeichen B abgedeckt, welches die Notwendigkeit einer ständigen Begleitperson bestätigt.
Das Merkzeichen aG hingegen diene nicht dazu, Erleichterungen für Begleitpersonen zu schaffen, sondern sei ausschließlich für die Gehbehinderung und deren Auswirkungen vorgesehen.
Ablehnung der Beschwerde und abschließende Prüfung
Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt wurde die Beschwerde des Antragstellers gegen die Entscheidung des Sozialgerichts ebenfalls abgewiesen. Das Gericht stellte klar, dass die Ablehnung des Merkzeichens aG nach einer abschließenden Prüfung der vorliegenden Befunde und medizinischen Gutachten als rechtmäßig anzusehen sei.
Auch die Folgeabwägung fiel zugunsten der Ablehnung aus, da keine schwerwiegende, nicht wiedergutzumachende Verletzung von Grundrechten des Antragstellers drohte.
Rechtliche Grundlagen zur Feststellung des Merkzeichens aG
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens aG sind im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) geregelt. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liegt demnach vor, wenn schwerbehinderte Menschen aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauerhaft nur mit fremder Hilfe oder unter großer Anstrengung mobil sein können.
Personen, die aus medizinischer Notwendigkeit ständig auf einen Rollstuhl angewiesen sind, können etwa das Merkzeichen aG erhalten.
Weitere Voraussetzungen, die für eine Anerkennung erfüllt sein müssen, sind Querschnittslähmung, schwere Herzinsuffizienz oder schwere Atmungserkrankungen. Die konkrete Gehbehinderung und deren Auswirkungen auf die Mobilität sind entscheidend, nicht die Diagnose an sich oder die Kombination mehrerer Erkrankungen.
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors
Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.