Erkrankungen gelten als „chronisch“, wenn sie länger als sechs Monate anhalten, schwer heilbar sind und auf therapeutische Maßnahmen nur begrenzt ansprechen. Für das Sozialrecht reicht diese Definition jedoch nicht aus. Vielmehr ist hier wichtig, welche Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag verursacht werden.
Erst wenn sich die Auswirkungen über einen längeren Zeitraum verfestigen, wird geprüft, ob sie den Status einer Behinderung begründen können.
Rechtlich ist dafür der § 2 im Sozialgesetzbuch IX verantwortlich. Wie aber können Betroffene einen Behinderungsgrad ab wann feststellen lassen und so Ausgleiche für die Behinderung in Anspruch nehmen.
Inhaltsverzeichnis
Dr. Utz Anhalt von “Gegen-Hartz”: Du GdB-Antrag so erfolgreich machen
Wann kann Behinderung anerkannt werden?
Voraussetzung ist, dass der Arztbefund die Dauer, Schwere und Therapie‑Resistenz belegt. Erst wenn diese Parameter erfüllt sind, kann die Versorgungsverwaltung einen Grad der Behinderung (GdB) feststellen.
Wie wird der Grad der Behinderung medizinisch bestimmt?
Basis jeder Entscheidung ist die Versorgungsmedizin‑Verordnung (VersMedV). Sie enthält Tabellenwerte, an denen sich Gutachter orientieren. Dort ist für nahezu jedes Organsystem ein GdB‑Korridor hinterlegt.
Seit der sechsten Änderungsverordnung aus dem Frühjahr 2025 werden diese Werte regelmäßig aktualisiert, um den Stand der Wissenschaft abzubilden und regionale Unterschiede zu vermeiden.
Der Gutachter betrachtet jedoch nie nur die Diagnose, sondern immer die individuellen Funktionsverluste. Das erklärt, warum Patientinnen mit derselben Erkrankung unterschiedliche Behinderungsgrade anerkannt bekommen.
Welche Entlastungen bringt ein anerkannter GdB?
Sobald das Versorgungsamt einen GdB von wenigstens 20 festsetzt, gewährt das Einkommensteuerrecht einen Pauschbetrag. Seine Höhe steigt stufenweise und beträgt im Jahr 2025 bei GdB 20 bereits 384 Euro; bei GdB 100 sind es 2 840 Euro.
Dieser Betrag mindert das zu versteuernde Einkommen, ohne dass Belege für tatsächliche Kosten erforderlich wären.
Ab GdB 30 oder 40 besteht die Möglichkeit, sich von der Agentur für Arbeit einer schwerbehinderten Person gleichstellen zu lassen. Ein GdB 50 oder mehr bringt darüber hinaus Statusrechte wie Zusatzurlaub, besonderen Kündigungsschutz und eine verbesserte Anrechnung von Fahrten im öffentlichen Nahverkehr.
Ab wann gilt man als schwerbehindert?
Der Gesetzgeber zieht die Schwelle bei einem GdB von 50. Mit ihr gehen nicht nur arbeitsrechtliche Vorteile einher.
Wer den Schwerbehindertenausweis besitzt, kann zum Beispiel den vergünstigten oder kostenlosen Eintritt in viele öffentliche Einrichtungen nutzen und – abhängig von Merkzeichen – Park‑ oder Mobilitätsvorteile in Anspruch nehmen.
Wo und wie stelle ich einen Antrag auf Feststellung des GdB?
Zuständig ist die Versorgungsverwaltung des Bundeslandes; in Baden‑Württemberg etwa die Landratsämter. Das mehrseitige Formular kann auf den Webseiten der Behörden heruntergeladen werden.
Ihm liegt immer eine Schweigepflichtentbindung bei, weil die Sachbearbeitung ohne Rücksprache mit behandelnden Ärztinnen nicht möglich wäre. Durchschnittlich vergehen zwischen drei und sechs Monaten, bis ein Bescheid ergeht – je nach Arbeitslast des Amtes, Vollständigkeit der Unterlagen und Komplexität der Erkrankung.
Welche Unterlagen sind für einen überzeugenden Antrag unverzichtbar?
Wer nur die Diagnose notiert, riskiert eine zu niedrige Einstufung, weil die Versorgungsmedizin‑Verordnung allein hieraus keinen präzisen GdB ableitet. Aussagekräftig wird der Antrag erst durch aktuelle Arzt‑ und Klinikberichte, die die Häufigkeit von Schüben, Nebenwirkungen der Therapie oder etwa die Zahl notwendiger Krankenhausaufenthalte beschreiben.
So kann eine Patientin mit leichtem Morbus Crohn bei stabilem Verlauf nur einen GdB 20 erhalten, während ein Betroffener mit häufigen, schweren Schüben durchaus die Schwerbehindertengrenze überschreiten kann.
Wird die Schweigepflichtentbindung unterschrieben, dürfen die Sachbearbeiter gezielt Rückfragen an Fachärzte richten. Praxis und Kliniken, die vorab wissen, dass ein Antrag läuft, liefern häufig detailliertere Befundberichte und schildern Funktionsausfälle plastischer.
Das erleichtert der Behörde, den Sachverhalt ohne zusätzliche Gutachten zu bewerten und verkürzt das Verfahren.
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Was steht im Bescheid – und wozu dient der Schwerbehindertenausweis?
Der schriftliche Bescheid nennt den festgestellten GdB, listet alle berücksichtigten Leiden und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung. Liegt ein Passbild bei, folgt automatisch der fälschungssichere Ausweis im Scheckkartenformat.
Darauf finden sich neben dem GdB gegebenenfalls Merkzeichen wie „G“ für erhebliche Gehbehinderung oder „B“ für die Berechtigung, eine Begleitperson kostenfrei mitzunehmen.
Welche Merkzeichen gibt es und welche Rechte sind damit verbunden?
Neben „G“ oder „B“ kommt beispielsweise „aG“ für außergewöhnliche Gehbehinderung vor, das in Kombination mit einem separaten Antrag zu einem blauen EU‑Parkausweis berechtigt. Das Merkzeichen „H“ („hilflos“) führt zu einem deutlich höheren Steuerfreibetrag, weil davon ausgegangen wird, dass im Alltag ständig fremde Hilfe erforderlich ist.
Ist mein GdB auf Dauer festgeschrieben?
Behörden unterscheiden zwischen unbefristeten und befristeten Feststellungen. Letztere basieren auf dem Gedanken einer möglichen Besserung – etwa nach einer Heilungsbewährung bei Krebserkrankungen. Läuft die Frist ab, prüft die Behörde von Amts wegen erneut.
Unabhängig davon können Betroffene selbst jederzeit einen Änderungsantrag stellen. Dabei ist Vorsicht geboten: Die Verwaltung bewertet dann den gesamten Gesundheitszustand neu und kann den GdB bei nachvollziehbarer Besserung auch herabsetzen.
Wann ist ein Änderungsantrag sinnvoll – und wann kann er zum Bumerang werden?
Neue Diagnosen, dauerhafte Verschlechterungen oder zusätzliche Funktionenverluste sind legitime Gründe, eine höhere Einstufung zu beantragen.
Wer hingegen nur kurzfristig stärkere Beschwerden verspürt oder keine gesicherten Befunde vorlegen kann, riskiert die Herabstufung. Eine fachkundige Beratung hilft dabei, Nutzen und Risiko realistisch einzuschätzen.
Nach Angaben des Sozialverbandes entfallen bis zu vierzig Prozent seiner Beratungen auf Fragen rund um den GdB.
Ratsuchende bringen idealerweise Befundberichte der letzten zwei Jahre sowie – bei Änderungsanträgen – den früheren Bescheid mit. Ergeht eine Entscheidung, die den Erwartungen nicht entspricht, formuliert der VdK zunächst den Widerspruch und vertritt seine Mitglieder bei Bedarf auch vor dem Sozialgericht.
Was tun, wenn der GdB Bescheid zu niedrig ist?
Jeder Verwaltungsakt kann binnen eines Monats mit Widerspruch angefochten werden. Bleibt dieser erfolglos, steht der Klageweg vor dem Sozialgericht offen. Da das Verfahren anders als typische Zivilprozesse gerichtskostenfrei ist, lohnt sich eine Prüfung in nahezu jedem Fall.
Neue Änderungsverordnung verspricht klarere Bewertungsmaßstäbe und schnellere Verfahren
Die sechste Änderungsverordnung, die im Frühjahr 2025 in Kraft trat, verspricht klarere Bewertungsmaßstäbe und schnellere Verfahren – ein Signal, dass der Gesetzgeber die Lebensrealität von Menschen mit dauerhaften Gesundheitsproblemen stärker in den Fokus stellt.