Mythos Bürgergeld Arbeiten lohnt sich nicht – eine Familie mit 2 Kindern

Lesedauer 3 Minuten

Zum Jahreswechsel wurde Hartz IV in ein sog. Bürgergeld umgewandelt. Oft ist von der Politik und in den Kommentarspalten zu lesen, dass sich mit dem Bürgergeld Arbeiten nicht mehr lohnen würde. Auch in dem uns vorliegendem Leserbrief. Aber stimmt das? Eine faktenbasierte Rechnung zeigt auf, dass sich Arbeiten dennoch lohnt.

Grundlagen aus dem Leserbrief

Die Familie hat 2 Kinder (6, 14 Jahre). Der Vater ist als Alleinverdienerund verdient 2819€ Brutto = 2145€ Netto.
Dazu kommt noch das Kindergeld von 438€ (Stand 2022). Die Miete liegt bei 800€ Bruttokaltmiete + 250€ Heizkosten.

Methodischer Ansatz zur Klärung

Um zu klären, ob sich Arbeit wirklich nicht mehr lohnt, muss die Haushaltskasse der Familie jeweils mit und ohne Arbeit berechnet werden. Dabei werde ich versuchen, die Berechnungsschritte zu erklären.

  1. Bürgergeld ohne Arbeit
  2. Bürgergeld mit Arbeit
  3. Alternative zum Bürgergeld mit Arbeit: Wohngeld und Kinderzuschlag

1. Bürgergeld ohne Arbeit

Das Bürgergeld wird wie auch Hartz IV berechnet, indem von einem “Bedarf” ein “anzurechnendes Einkommen” abgezogen wird. Das Ergebnis ist die Höhe des zustehenden Bürgergelds. Daher zunächst die Berechnung des Bedarfs, der mit und ohne Einkommen gleich bleibt.

451€ Regelbedarf Vater
451€ Regelbedarf Mutter
420€ Regelbedarf Kind(14)
348€ Regelbedarf Kind(6)
800€ Miete

250€ Heizkosten

2720€ Bedarf

Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.

2x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge.

474€ angerechnetes Einkommen

Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des “angerechneten Einkommens” vom “Bedarf”:
2520€ Bedarf

-474€ Kindergeld (237€)

2246€ Bürgergeld

Die Haushaltskasse enthält folglich:
2246€ Bürgergeld

+474€ Kindergeld

2720€ Haushaltseinkommen

2. Bürgergeld mit Arbeit

2720€ Bedarf (bleibt gleich wie ohne Arbeit). Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.

2x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge

474€ angerechnetes Kindergeld

Beim Erwerbseinkommen gibt es folgende Freibeträge:
100€ Grundpauschale
20% des Bruttos von 100 bis 520€
30% des Bruttos von 520 bis 1000€
10% des Bruttos von 1000 bis 1200€
10% des Bruttos von 1200 bis 1500€ (nur mit Kind)

Anrechnung Einkommen:
2819€ Brutto
2145€ Netto
-100€ Grundfreibetrag
-84€ Frei: 20% von 100-520€
-144€ Frei: 30% von 520-1000€

-50€ Frei: 10% von 1000-1500€

1767€ angerechneter Lohn

Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des “angerechneten Einkommens” vom “Bedarf”:
2720€ Bedarf
– 474€ Kindergeld (2×237€)

– 1767€ angerechnetes Einkommen

479€ Anspruch auf Bürgergeld trotz Vollzeitarbeit

Die Haushaltskasse enthält folglich:
2145€ Netto
474€ Kindergeld

479€ Bürgergeld

3098€ Haushaltseinkommen

3. Alternative zum Bürgergeld: Wohngeld und Kinderzuschlag

Wer mit Wohngeld und Kinderzuschlag mehr Leistungen erhält, als mit Bügergeld, ist verpflichtet (und es ist ja auch logisch), diese statt dem Bürgergeld in Anspruch zu nehmen.

Zunächst der Kinderzuschlag:
Der Kinderzuschlag sind maximal 229€ je Kind. Davon wird der den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommensanteil zu 45% abgezogen.

 

 

 

 

 

 

Der Elternbedarf setzt sich aus den Regelbedarfen der Eltern und einem prozentualen Anteil an den Wohnkosten zusammen (siehe Tabelle)
2×451€ Regelbedarf

745,50€ Wohnkostenanteil (71% von 1050€ Warmmiete)

1647,50€

Nun wird das den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommen berechnet:
1767€ angerechnetes Einkommen (siehe Bürgergeld mit Einkommen)

-1647,50€ Elternbedarf

119,50€ übersteigendes Einkommen.

Nun wird das übersteigende Einkommen zu 45% vom maximalen Kinderzuschlag abgezogen:
458€ Maximaler Kinderzuschlag (2×229€)

– 53,78€ Abzug Elterneinkommen (45% von 119,50€)

404,22€ Kinderzuschlag ~ 404€

Wohngeld will ich hier nicht im Detail vorrechnen, da die Berechnung recht komplex ist. Wohngeld: 469€ (Wohngeld laut Wohngeld-Plus 2023 und anhand des angegebenen Wohnorts berechnet)

Haushaltseinkommen mit Wohngeld und Kinderzuschlag:
2145€ Netto
474€ Kindergeld
404€ Kinderzuschlag

469€ Wohngeld

3492€

Ergebnis mathematisch

Das Haushaltseinkommen liegt mit Wohngeld und Kinderzuschlag mit 3492€ höher als beim Bürgergeld mit Einkommen(3098€), daher muss die Familie Wohngeld und Kinderzuschlag beantragen. Folglich sind die Berechnungen 1 und 3 zu vergleichen, um zu bewerten ob sich Arbeit trotz Bürgergeld lohnt.

Haushaltseinkommen ohne Arbeit: 2720€/Monat
Haushaltseinkommen mit Arbeit: 3492€/Monat

Differenz: 772€
Zugunsten des Arbeitnehmers!

Außerdem hat die Familie durch Kinderzuschlag und Wohngeld genauso Anspruch auf die Bildungs- und Teilhabeleistungen und die Gebührenbefreiung für die Kinderbetreuungskosten. Dieser Anspruch auf beides würde sogar bis zu einem Netto von 2645€ (Brutto3615€) bestehen.

Lohnt sich Arbeit auch mit Bürgergeld?

Zu dem Ergebniss, das im Leserbrief vertreten wird, kommt man nur wenn man Ansprüche auf ergänzende Sozialleistungen außer acht lässt (und auch noch falsch rechnet). Arbeiten lohnt sich daher, auch mit dem Bürgergeld.

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Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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