Zum Jahreswechsel soll Hartz IV in ein sog. Bürgergeld umgewandelt werden. Mit Bürgergeld wird sich Arbeit nicht mehr lohnen, diese Meinung wird aktuell von vielen vertreten. Auch hier in diesem vorliegendem Leserbrief. Aber stimmt das? Eine faktenbasierte Rechnung.
Grundlagen aus dem Leserbrief
Inhaltsverzeichnis
Die Familie hat 2 Kinder (6, 14 Jahre). Der Vater ist als Alleinverdienerund verdient 2819€ Brutto = 2145€ Netto.
Dazu kommt noch das Kindergeld von 438€ (Stand 2022)
Die Miete liegt bei 800€ Bruttokaltmiete + 250€ Heizkosten.
Methodischer Ansatz zur Klärung
Um zu klären, ob sich Arbeit wirdklich nicht mehr lohnt, muss die Haushaltskasse der Familie jeweils mit und ohne Arbeit berechnet werden. Dabei werde ich versuchen, die Berechnungsschritte zu erklären.
- Bürgergeld ohne Arbeit
- Bürgergeld mit Arbeit
- Alternative zum Bürgergeld mit Arbeit: Wohngeld und Kinderzuschlag
1. Bürgergeld ohne Arbeit
Das Bürgergeld wird wie auch Hartz IV berechnet, indem von einem “Bedarf” ein “anzurechnendes Einkommen” abgezogen wird. Das Ergebnis ist die Höhe des zustehenden Bürgergelds.
Daher zunächst die Berechnung des Bedarfs, der mit und ohne Einkommen gleich bleibt.
451€ Regelbedarf Vater
451€ Regelbedarf Mutter
420€ Regelbedarf Kind(14)
348€ Regelbedarf Kind(6)
800€ Miete
250€ Heizkosten
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2720€ Bedarf
Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.
2x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge
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474€ angerechnetes Einkommen
Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des “angerechneten Einkommens” vom “Bedarf”:
2520€ Bedarf
-474€ Kindergeld (237€)
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2246€ Bürgergeld
Die Haushaltskasse enthält folglich:
2246€ Bürgergeld
+474€ Kindergeld
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2720€ Haushaltseinkommen
2. Bürgergeld mit Arbeit
2720€ Bedarf (bleibt gleich wie ohne Arbeit)
Vom Einkommen werden je nach Einkommensart verschiedene Freibeträge abgezogen und so das angerechnete Einkommen berechnet.
2x 237€ Kindergeld – keine Freibeträge
———
474€ angerechnetes Kindergeld
Beim Erwerbseinkommen gibt es folgende Freibeträge:
100€ Grundpauschale
20% des Bruttos von 100 bis 520€
30% des Bruttos von 520 bis 1000€
10% des Bruttos von 1000 bis 1200€
10% des Bruttos von 1200 bis 1500€ (nur mit Kind)
Anrechnung Einkommen:
2819€ Brutto
2145€ Netto
-100€ Grundfreibetrag
-84€ Frei: 20% von 100-520€
-144€ Frei: 30% von 520-1000€
-50€ Frei: 10% von 1000-1500€
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1767€ angerechneter Lohn
Berechnung Leistungsanspruch durch Abzug des “angerechneten Einkommens” vom “Bedarf”:
2720€ Bedarf
– 474€ Kindergeld (2×237€)
– 1767€ angerechnetes Einkommen
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479€ Anspruch auf Bürgergeld trotz Vollzeitarbeit
Die Haushaltskasse enthält folglich:
2145€ Netto
474€ Kindergeld
479€ Bürgergeld
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3098€ Haushaltseinkommen
3. Alternative zum Bürgergeld: Wohngeld und Kinderzuschlag
Wer mit Wohngeld und Kinderzuschlag mehr Leistungen erhält, als mit Bügergeld, ist verpflichtet (und es ist ja auch logisch), diese statt dem Bürgergeld in Anspruch zu nehmen.
Zunächst der Kinderzuschlag:
Der Kinderzuschlag sind maximal 229€ je Kind. Davon wird der den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommensanteil zu 45% abgezogen.
Der Elternbedarf setzt sich aus den Regelbedarfen der Eltern und einem prozentualen Anteil an den Wohnkosten zusammen (siehe Tabelle)
2×451€ Regelbedarf
745,50€ Wohnkostenanteil (71% von 1050€ Warmmiete)
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1647,50€
Nun wird das den Elternbedarf übersteigende angerechnete Einkommen berechnet:
1767€ angerechnetes Einkommen (siehe Bürgergeld mit Einkommen)
-1647,50€ Elternbedarf
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119,50€ übersteigendes Einkommen.
Nun wird das übersteigende Einkommen zu 45% vom maximalen Kinderzuschlag abgezogen:
458€ Maximaler Kinderzuschlag (2×229€)
– 53,78€ Abzug Elterneinkommen (45% von 119,50€)
——
404,22€ Kinderzuschlag ~ 404€
Wohngeld will ich hier nicht im Detail vorrechnen, da die Berechnung recht komplex ist.
Wohngeld: 469€
(Wohngeld laut Wohngeld-Plus 2023 und anhand des angegebenen Wohnorts berechnet)
Haushaltseinkommen mit Wohngeld+Kinderzuschlag:
2145€ Netto
474€ Kindergeld
404€ Kinderzuschlag
469€ Wohngeld
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3492€
Ergebnis mathematisch
Das Haushaltseinkommen liegt mit Wohngeld und Kinderzuschlag mit 3492€ höher als beim Bürgergeld mit Einkommen(3098€), daher muss die Familie Wohngeld+Kinderzuschlag beantragen.
Folglich sind die Berechnungen 1 und 3 zu vergleichen, um zu bewerten ob sich Arbeit trotz Bürgergeld lohnt.
Haushaltseinkommen ohne Arbeit: 2720€/Monat
Haushaltseinkommen mit Arbeit: 3492€/Monat
Differenz: 772€
Zugunsten des Arbeitnehmers!
Außerdem hat die Familie durch Kinderzuschlag und Wohngeld genauso Anspruch auf die Bildungs- und Teilhabeleistungen und die Gebührenbefreiung für die Kinderbetreuungskosten.
Dieser Anspruch auf beides würde sogar bis zu einem Netto von 2645€ (Brutto3615€) bestehen.
Lohnt sich Arbeit auch mit Bürgergeld?
Zu dem Ergebniss, das im Leserbrief vertreten wird, kommt man nur wenn man Ansprüche auf ergänzende Sozialleistungen außer acht lässt (und auch noch falsch rechnet).
ARBEIT LOHNT SICH, auch mit Bürgergeld!
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