Durch Mehrarbeit weniger Geld
Eine neue Studie des Kรถlner Instituts fรผr Wirtschaft (IW) offenbart ein groรes Dilema der Steuerpolitik. Wer Geringverdiener ist, arbeitet oft am Rande des Hartz IV-Niveaus. Denn fรผr Wenigverdiener lohnt sich die Mehrarbeit in vielen Fรคllen nicht. Wรคhrend bei Reichen der Steuersatz gedeckelt ist, steigen Sozialabgaben, Einkommenssteuer und Transferleistungen bei Wenigverdienern oftmals so stark, dass das Netto-Einkommen sogar sinkt.
Wer als Geringverdiener eine Gehaltserhรถhung bekommt, freut sich. Doch mit der Abrechnung folgt das Entsetzen. Nach Steuern und Sozialabgaben haben Angestellte kaum mehr in der Tasche. Einige sogar weniger als zuvor. Das zeigen Studien von Forschern des Instituts fรผr Wirtschaft (IW). In ihrer Studie โGrenzbelastung der Lohneinkommen im zeitlichen Vergleichโ haben die Experten Single-Haushalte unterschiedlicher Einkommen miteinander verglichen. Dabei kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmer, die beispielsweise 100 EUR mehr mit ihrem Arbeitgeber aushandeln, um beispielsweise kein Hartz IV Aufstocker mehr zu sein, mehr als die Hรคlfte an den Staat in Form von Steuern und Sozialausgaben zahlen muss.
Verantwortlich hierfรผr ist das hohe Abgabeniveau bei der Sozialversicherung und ein rasant steigender Steuersatz. Experten bezeichnen dieses Phรคnomen auch “Grenzbelastung”. Diese Belastung zeigt, wie viel tatsรคchlich beim Arbeitnehmer netto bei einem Mehrverdienst ankommt. Wรผrde eine Grenzbelastung von 70 Prozent zu Rate gezogen werden, blieben von einem Euro Mehrverdienst gerade einmal 30 Cent.
Statt mehr Geld, weniger
Laut der Studie trifft dies vor allem die unteren Einkommensgruppen. In einigen Fรคllen kann es sogar dazu kommen, dass bei Mehrarbeit oder Lohnanhebungen das Einkommen sinkt. Extrem wird die Situation, wer von einem Mini- in einen Middi-Job wechselt. Beim Minijob fallen nรคmlich bedeutend weniger Sozialausgaben an, weil Angestellte in vielen Situationen bei den Eltern oder beim Ehepartner kranken- und pflegeversichert sind. Sobald sie aber auch nur einen Euro mehr als den festgelegten 450 EUR vedienen, mรผssen sie Krankenkasse und Pflegeversicherung anteilig selbst bezahlen. Zusรคtzlich werden dann Beitrรคge zur Rentenversicherung fรคllig und der Anteil der Arbeitslosenversicherung steigt massiv an.
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Mit Hilfe eines Beispiels verdeutlichen die Forscher, was im Extremfall passieren kann. Wer zuvor ein Jahreseinkommen von 5400 Euro (450 Euro Job) hatte und der Bruttolohn auf 5500 EUR steigt, bei dem sinkt der Nettolohn rein rechnerisch um 290 Euro.
Reiche werden mal wieder bevorzugt
Nicht nur Geringverdienern bleibt bei Mehrarbeit kaum etwas รผbrig. Im Gegensatz zu Wohlhabenden profitiert auch die Mittelschicht weniger stark von Lohnerhรถhungen. Laut der IW Kรถln behรคlt der Staat bei einem Durchschnitts-Bruttogehalt von 4000 Euro monatlich, etwa 51 Prozent der Gehaltserhรถhung von 100 Euro fรผr sich. Zum Vergleich: Bei einem Spitzenverdiener, der 7000 EUR brutto im Monat verdient, muss einem Lohnzuwachs von ebenso 100 EUR nur 44 Prozent des Mehrverdienstes abgeben. Denn von der Gehaltsanhebung gehen lediglich Spitzensteuersatz von 42 Prozent sowie der Solizuschlag ab. Eine Grenzbelastung fรผr Sozialausgaben gibt es nicht, da die Beitragsbemessungsgrenzen gedeckelt sind und bei Spitzenverdiensten nicht weiter steigen.
Fazit: Wer also wenig verdient, muss in Extremfรคllen sogar drauf zahlen, wer zu den Mittelverdiener gehรถrt, zahlt immer noch im Verhรคltnis zu den Reichen drauf. Das ist die Steuerpolitik in Deutschland – von wissenschaftlicher Seite bestรคtigt.