Massenrekrutierung durch Agentur für Arbeit und ARGE – Einladungsschreiben an Alg II-BezieherInnen enthalten diffuse Sanktionsandrohungen
Seit einiger Zeit werden in NRW Zeitarbeitsmessen/„lokale Stellenbörsen”, in Zusammenarbeit mit Arbeitsagenturen und örtlichen Alg II-Trägern durchgeführt wurden und auch künftig geplant sind. Konkrete Informationen dazu gibt es aus Köln Dortmund und Wuppertal, wo ver.di, IG Metall und/oder DGB mit Informationsständen vertreten waren. Aber auch aus der Region Ostwestfalen-Lippe aus Krefeld, Bielefeld und Herford wird von zahlreichen Werbeveranstaltungen für die Leiharbeitsbranche berichtet.
Mit Hilfe der „PersonalServiceAgenturen” des Peter Hartz aus der Schmuddelecke geholt, erfahren Leiharbeitsfirmen mittlerweile offene Unterstützung und Anerkennung durch die Bundesagentur für Arbeit. So fördert etwa die Regionaldirektion NRW der Bundesagentur die Durchführung lokaler Stellenbörsen und hatte am 15. März 2007 den landesweiten „Tag der Zeitarbeit” ausgerufen.
Die Branche gilt gerade in Zeiten den Aufschwungs als „Jobmotor”, denn sie entledigt „normale” Unternehmen der lästigen Verpflichtungen gegenüber händeringend gesuchten Arbeitskräften, die man beim Abflauen der Konjunktur gerne wieder los werden möchte. Und in der Tat; satte 29 Prozent der von den Arbeitsagenturen in NRW registrierten Jobangebote entfallen derzeit auf das Leiharbeitsgewerbe (vgl. Pressemitteilung BA Regionaldirektion NRW vom 01.02.2007). Dessen ungeachtet sind die Masse der Jobs in der Branche bezüglich Bezahlung, Arbeitszeit, Kündigungsfristen und Arbeitsbedingungen noch lange keine regulären Arbeitsplätze, auch wenn sie sich massenhaft ausbreiten. Deshalb sollten sich Interessenten vor der Unterzeichnung von Zeitarbeitsverträgen gut von einer unabhängigen Stelle beraten lassen, die i.d.R. bei der zuständigen Gewerkschaft zu finden ist.
"Stellenbörse" mit Anwesenheitszwang? Hartz IV macht’s fast möglich!
Man mag zu Werbeveranstaltungen der privaten Wirtschaft stehen wie man will, unakzeptabel werden Zeitarbeitsmessen, wenn dafür Sozialversicherungsbeträge verpulvert oder Erwerbslose unter Androhung von Sanktionen zu „Lohndumpingmärkten” rekrutiert werden.
In Wuppertal fand beispielsweise eine Stellenbörse der Leiharbeitsbranche am Mittwoch, den 7. März in der Historischen Stadthalle statt. Neben der ARGE Wuppertal und dem Infostand der Gewerkschaften waren dort ca. 20 Leiharbeitsfirmen mit ihren Ständen vertreten. Aus Gewerkschaftskreisen wurde berichtet, dass eine große Anzahl Alg II-BezieherInnen anwesend war, die offensichtlich im Massenverfahren von der ARGE Wuppertal angeschrieben und zur Teilnahme aufgefordert wurden. Das erklärt auch, warum vor der Vertretung der ARGE Wuppertal der Andrang am größten war. Die Angeschriebenen wollten sich alle ihren Anwesenheitsstempel von der ARGE- abholen, um zu belegen, dass sie der Behördenladung gefolgt waren.
Auch am Infostand der Gewerkschaft, der bei den Veranstaltern der „Messe” erst mit Vehemenz durchgesetzt werden musste, herrschte ein reges Treiben. Hier wurde belegt, wie groß das Bedürfnis nach unabhängiger Beratung und Aufklärung bei den „Messebesuchern” war. Neben den arbeits- und tarifrechtlichen Fragen waren es immer wieder Sanktionsängste, die zur Sprache kamen. Es war deutlich zu spüren, welcher Behördendruck auf den Erwerbslosen lastete. Es wurde berichtet, dass in den Einladungsschreiben an die Alg II-BezieherInnen von verpflichtender Teilnahme an der „Stellenbörse” die Rede war – einer Formulierung, bei der bei den meisten die Alarmglocken angehen.
Doch zumindest diese Befürchtung konnten die GewerkschaftskollegInnen schnell ausräumen: Eine völlig unbestimmte Vorladung zu einer öffentlichen Massenveranstaltung ist eindeutig keine sanktionsbewährte Eingliederungsmaßnahme oder ein Termin, der mit einem Meldeversäumnis belegt werden könnte. Auf mögliche Sanktionsabsichten der ARGE angesprochen, versicherte schließlich auch der Vertreter der ARGE Wuppertal, dass keine Strafen verhängt würden, wenn der Einladung zur Zeitarbeitsmesse nicht Folge geleistet wird. Auf dieses öffentliche Statement können sich Betroffene nun berufen.
Die Vorgänge bei der Wuppertaler Zeitarbeitsmesse belegen, wie wichtig es ist, sich als Betroffenenorganisation und offensive Interessenvertretung in ein solches Geschehen einzumischen und auf fremdem Terrain kritische Öffentlichkeit und Beratungsstrukturen herzustellen. Nur so kann der Angst vor Leistungskürzungen und dem Druck in unzumutbare Arbeitsverhältnisse begegnet und – ganz nebenbei – auf die Notwendigkeit der solidarischen Selbsthilfe und -organisation hingewiesen werden. Deshalb müssen wir Zeitarbeitsmessen, „lokale Stellenbörsen” etc. unter Beobachtung stellen – in NRW und anderswo! (Tacheles Onlineredaktion, Frank Jäger- 12.04.07)
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