In den vergangenen Monaten hat sich die öffentliche Debatte zunehmend auf das Bürgergeld konzentriert. Kritiker argumentieren, dass Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger finanziell zu gut gestellt seien und daher wenig Anreiz hätten, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Gleichzeitig widersprechen zahlreiche Studien und Verbände dieser Sichtweise und betonen, dass das Bürgergeld bei Weitem nicht ausreiche, um ein Leben oberhalb der Armutsgrenze zu sichern.
Was ist „Wohnarmut“?
Eine neue Formel des Paritätischen Gesamtverbandes zur Armutsberechnung stellt klar, wie wichtig die Wohnkosten für die finanzielle Situation sind. Statt ausschließlich das Einkommen zu betrachten, wird jener Teil des Geldes herausgerechnet, der monatlich für die Miete und andere Wohnkosten aufgebracht werden muss.
Das sogenannte „verfügbare Einkommen“ ist nach Abzug der Ausgaben das Dach über dem Kopf was bleibt. Wer weniger als 1.016 Euro im Monat für alle übrigen Lebensbereiche zur Verfügung hat, gilt laut Statistischem Bundesamt als arm oder ganz genau als „wohnarm“.
In Deutschland sind nach dieser Berechnung des Paritätischem mittlerweile 17,5 Millionen Menschen von Wohnarmut betroffen. Damit liegen die Zahlen weit höher, als bislang angenommen: Zuvor ging man von 12,1 Millionen Menschen in Armut aus.
Die Armutsquote steigt nach dieser Definition auf 21,2 Prozent. Das deutet auf eine massive Verschärfung der sozialen Ungleichheit hin und verdeutlicht zugleich, wie zentral die Berücksichtigung der Wohnkosten für eine realistische Armutsstatistik ist.
Bürgergeld federt Armut nicht ab
Der Regelsatz des Bürgergelds lag im Jahr 2023 für alleinstehende Erwachsene bei 502 Euro monatlich. Anhand der Armutsgrenze von 1.016 Euro fehlten damit bereits 514 Euro, um die festgelegte Schwelle zu erreichen.
Diese erhebliche Lücke bedeutet nach Ansicht des Paritätischen Gesamtverbandes ein Leben unterhalb der gesellschaftlich anerkannten Mindeststandards. Das eigentliche Ziel einer Grundsicherung, nämlich Armut zu vermeiden, wird damit verfehlt.
Obwohl der Regelsatz Anfang 2024 leicht angehoben wurde und aktuell bei 563 Euro pro Monat liegt, bleibt die Unterdeckung weiterhin massiv. So fehlen nach wie vor mehrere hundert Euro, um den Wert von 1.016 Euro zu erreichen.
Eine noch größere Kluft entsteht durch die angekündigte Nullrunde für 2025, bei der sich das Bürgergeld nicht weiter erhöht. In der politischen Diskussion wird dieser Umstand zwar teils aufgegriffen, doch die grundlegende Problematik, dass Menschen dadurch dauerhaft in Armut verharren, erfährt oft zu wenig Aufmerksamkeit.
Steigende Wohnkosten verschärfen die Situation zusätzlich
Das Problem der Wohnarmut wird umso deutlicher, wenn die tatsächlichen Mietkosten höher liegen, als das Jobcenter bereit ist zu übernehmen.
In einem solchen Fall wird von den Betroffenen verlangt, die Kosten zu senken und eine preiswertere Wohnung zu suchen. Gerade in angespannten Wohnungsmarktregionen ist dies jedoch nahezu unmöglich.
Viele Leistungsberechtigte müssen daher aus ihrem ohnehin knappen Regelsatz Geld abzweigen, um die Differenz für die Miete zu begleichen.
Diese Praxis führt zu einer weiteren Verschärfung der Armutslage, weil das für Lebensmittel, Kleidung oder medizinische Leistungen verbleibende Geld weiter schrumpft.
Die Forderung, dass die Grundsicherung angemessen hoch sein und vor existenzieller Not schützen muss, erhält dadurch neue Dringlichkeit. Immer mehr Stimmen aus Wohlfahrtsverbänden, Wissenschaft und Zivilgesellschaft weisen auf eine verfehlte Wohn- und Sozialpolitik hin und kritisieren den wachsenden Druck auf die Schwächsten der Gesellschaft.
Grundsicherung muss Armut lindern
Eine Frage ist, wie das Bürgergeld konzipiert sein muss, um den tatsächlichen Lebenshaltungskosten gerecht zu werden. Dem Paritätischen Gesamtverband zufolge sollte sich die Grundsicherung an den offiziell errechneten Armutsgrenzen orientieren und nicht dauerhaft unterhalb dieser Beträge verharren.
Zudem gerät die Wohnpolitik verstärkt in die Kritik: Staatliche Stellen müssten sicherstellen, dass genügend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht und Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger nicht gezwungen sind, in völlig überteuerten Wohnungen zu leben oder im schlimmsten Fall sogar obdachlos zu werden.
Der Paritätische Gesamtverband, das Statistische Bundesamt und viele weitere Akteure liefern starke Argumente dafür, dass die Grundsicherung in ihrer aktuellen Form weder existenzsichernd noch armutsvermeidend wirkt. Die grundlegende Weichenstellung für eine gerechtere Sozial- und Wohnpolitik steht daher weiterhin aus.