Bürgergeld: Koalition will alten Hartz IV Mechanismus einführen – mit Folgen bis 2027

Lesedauer 2 Minuten

CDU, CSU und SPD haben sich in ihren Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt, die Regelsätze des Bürgergelds nach 2025 ein weiteres Jahr lang nicht anzuheben. Damit kehren sie – so wörtlich im Vertrag – „auf den Rechtsstand“ zurück und lösen sich von dem erst 2022 eingeführten, stärker inflationsorientierten Anpassungsmechanismus.

Rückkehr zum alten Mechanismus

Vor der Pandemie wurden die Regelsätze jedes Jahr rückwirkend mithilfe einer Formel fortgeschrieben, die zu 70 Prozent die Preisentwicklung regelbedarfsrelevanter Güter und zu 30 Prozent die Nettolohnentwicklung des Vorjahres abbildet.

Diese „Basisfortschreibung“ hätte – so Berechnungen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) – den Satz für alleinstehende Erwachsene (Regelbedarfsstufe 1) 2026 lediglich von 563 Euro auf 560 Euro steigen lassen.

Tatsächlich bleibt er nun bis Ende 2026 bei 563 Euro stehen, weil die Koalition jede nominale Erhöhung aussetzt.

Lesen Sie auch:

– Sind die Bürgergeld-Regelsätze angemessen? Ministerium in Beweisnot

Reale Kürzung hinter der „Nullrunde“

Die Bundesbank erwartet, dass die Verbraucherpreise 2025 erneut um rund zwei Prozent zulegen. Würde der Satz dennoch eingefroren, verlöre eine vierköpfige Familie mit Bürgergeld-Anspruch – laut BIAJ-Schätzung – allein 2026 rund 250 Euro Kaufkraft.

Sozial- und Wohlfahrtsverbände sprechen deshalb nicht mehr von einer Nullrunde, sondern von einer „realen Kürzung des Existenzminimums“, da das Wohngeld oder Energiepauschalen nicht im selben Tempo mitwachsen.

Warum das Bürgergeld stieg

Die Ampelregierung hatte 2022 beschlossen, die Regelsätze vorausschauend zu berechnen und prognostizierte Inflationsraten einzupreisen. Das führte zu einem außergewöhnlichen Anstieg um zwölf Prozent zum 1. Januar 2024.

Damals verteidigten Union und SPD diese Reform noch mit Verweis auf zweistellige Teuerungsraten bei Energie und Lebensmitteln. Heute argumentieren sie, die vorausschauende Berechnung habe das Bürgergeld „überkompensiert“, weshalb eine Aussetzung notwendig sei.

Heftige Kritik von Verbänden und Gewerkschaften

Der Paritätische Wohlfahrtsverband nennt die Entscheidung „sozialpolitisch blind“ und verweist darauf, dass der Regelsatz nach seinen Berechnungen heute bereits um rund 250 Euro zu niedrig sei, um Armut sicher zu vermeiden.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt, “eine eingefrorene Grundsicherung bei weiter steigenden Mieten und Energiepreisen verschärfe den Druck auf Niedrigverdiener und Minijobber, die schon jetzt aufstocken müssen”.

Verfassungsrechtliche Grauzonen

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass das Existenzminimum „dynamisch“ an die Lebenshaltungskosten anzupassen sei. Fachjuristen halten die geplante Nullrunde zwar für formell zulässig, weil der Gesetzgeber sein Verfahren ändern darf; materiell könnte sie jedoch verfassungswidrig werden, falls – wie 2022 entschieden – eine Evidenzlücke entsteht zwischen Bedarfsermittlung und Realität. Sozialverbände kündigen bereits Musterklagen an, sollte das Gesetz ohne Härtefallregel passieren.

Mindestunterhalt für Bürgergeld und Sozialhilfe Bezieher fällt hinter europäische Trendlinien

Deutschland fällt mit einem real sinkenden Mindestunterhalt für Langzeitarbeitslose hinter europäische Trendlinien zurück. Frankreich, die Niederlande und Spanien haben ihre Mindestsicherungen in den Jahren 2023 bis 2025 in kleinen, aber kontinuierlichen Schritten angehoben und koppeln sie meist direkt an die Armutsrisikoschwelle ihrer Statistikämter.

Das Berliner Vorhaben verstärkt deshalb das Gefälle zwischen Europas größten Volkswirtschaften in der sozialen Grundabsicherung.

Wie es weitergeht

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Änderung des § 28 SGB XII noch vor der Sommerpause 2025 in den Bundestag einzubringen. Sollte das Gesetz den Bundesrat im Anschluss passieren, stünde eine erste Überprüfung der Regelsätze turnusgemäß erst im Frühjahr 2027 an. Bis dahin müssten Betroffene rund 36 Monate mit unveränderten nominalen Leistungen auskommen – bei weiterhin unsicherem Preisniveau.