Bürgergeld: Sanktionen durch die Hintertür – die harten Tricks der neuen Reform

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Mit dem Bürgergeld sollte alles besser werden: Mehr Teilhabe, weniger Druck, ein menschenwürdiger Umgang mit Erwerbslosen. So lautete das politische Versprechen, als Hartz IV im Januar 2023 abgelöst wurde. Doch nur zwei Jahre später zeigt sich: Der Wind hat sich gedreht. Die geplante “neue Grundsicherung” bringt Sanktionsmechanismen zurück – nicht direkt, sondern durch die Hintertür.

Neuer Name, alter Druck

Die Bundesregierung plant mit der neuen Grundsicherung eine Reform, die offiziell mehr “Verbindlichkeit” schaffen soll. Tatsächlich bedeutet das: Wer Termine beim Jobcenter versäumt oder nicht kooperiert, muss künftig mit drastischen Leistungskürzungen rechnen.

Schon beim zweiten verpassten Termin droht eine Kürzung von 30 Prozent des Regelsatzes. Beim dritten Mal kann das gesamte Bürgergeld gestrichen werden – inklusive der Miete.

Diese Praxis erinnert fatal an das alte Hartz-IV-System. Doch sie wird nun in anderer Verpackung präsentiert: Nicht mehr das Wort “Sanktion” steht im Vordergrund, sondern “Verbindlichkeit” und “Eigenverantwortung”. Tatsächlich aber handelt es sich um Sanktionen in neuem Gewand – und damit um eine Disziplinierung durch die Hintertür.

Automatisierung statt Einzelfallprüfung

Besonders problematisch ist: Die neuen Kürzungsmechanismen greifen weitgehend automatisch. Wer einen Termin versäumt, erhält eine zweite Einladung. Kommt er auch dort nicht, wird gekürzt. Ohne Rücksicht auf persönliche Umstände, wie Krankheit, psychische Belastung oder familiäre Notlagen. Das ist nicht nur sozial fragwürdig, sondern rechtlich bedenklich.

In der Praxis könnten damit wieder genau jene Menschen unter die Räder geraten, die besondere Unterstützung bräuchten: Alleinerziehende, chronisch Kranke, Menschen mit Behinderung oder ohne festen Wohnsitz. Wer in diesem System nicht funktioniert, wird schlicht abgekoppelt.

Hinzu kommt: Viele Betroffene kennen die neuen Spielregeln gar nicht. Die Informationslage ist dürftig, die Kommunikationspolitik der Behörden zurüchaltend. Was wie ein “kleiner Verstoß” erscheint, kann schwerwiegende Folgen haben. Der Weg zur Widerspruchs- oder Klagefähigkeit ist kompliziert – und gerade für besonders vulnerable Gruppen kaum zu bewältigen.

Der schleichende Systemwechsel

Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern politisch gewollt. Unter dem Druck konservativer und neoliberaler Stimmen wurde das ursprünglich solidarisch gedachte Bürgergeld bereits kurz nach seiner Einführung ausgehöhlt. Das neue Gesetzespaket zur Grundsicherung verfolgt nun offen das Ziel, “Totalverweigerer” auszuschließen – ein Begriff, der kaum definiert ist, aber massive Eingriffe ermöglicht.

Ein Blick in die geplanten Regelungen zeigt: Wer wiederholt Termine versäumt, wird als unkooperativ eingestuft. Dabei spielt es keine Rolle, ob psychische Erkrankungen, strukturelle Vermittlungshemmnisse oder schlicht organisatorische Überforderung vorliegen.

Die Kürzungsmechanismen greifen pauschal – ohne tiefere Einzelfallprüfung. Damit findet ein schleichender Systemwechsel statt: Weg vom Fördern, hin zum Fordern. Und wieder gilt: Wer nicht spurt, verliert.

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Sanktion oder Ausschluss? Die Folgen für Betroffene

Die Auswirkungen könnten gravierend sein. Eine Kürzung um 30 Prozent bedeutet für eine Einzelperson derzeit rund 150 Euro weniger im Monat – Geld, das bei ohnehin minimaler Existenzsicherung lebenswichtig ist. Wird die Leistung ganz gestrichen, drohen Wohnungslosigkeit, Energieabschaltung, soziale Isolation.

Noch dramatischer wird es, wenn die Mietkosten nicht mehr übernommen werden. Gerade in Großstädten mit angespanntem Wohnungsmarkt ist das gleichbedeutend mit Wohnungsverlust. Und wer einmal aus dem System gefallen ist, hat es extrem schwer, wieder Zugang zu erhalten.

Menschen mit Suchtproblemen, ohne festen Wohnsitz oder mit Schulden geraten in einen Teufelskreis aus Sanktion, Ausgrenzung und Totalüberforderung.

Ein großer Teil der Betroffenen weiß laut Studien gar nicht, wie hoch die drohenden Kürzungen sind. Viele verstehen das System nicht oder trauen sich nicht, sich zu wehren. Widersprüche gegen Sanktionen werden selten eingelegt, obwohl viele davon vor Gericht erfolgreich sind. Der Zugang zum Recht ist faktisch eingeschränkt.

Kein Einzelfall: Ein Klima der Kontrolle

Was sich hier abzeichnet, ist mehr als eine technische Anpassung. Es ist ein Paradigmenwechsel zurück zu einer Grundsicherung, die auf Misstrauen basiert. Die Sprache der Reform verrät viel: Von “Verbindlichkeit” ist die Rede, von “Anreizen zur Arbeitsaufnahme” und von “Motivation durch Konsequenz”.

In Wahrheit aber steht dahinter ein tiefes Misstrauen gegenüber Erwerbslosen, das erneut zu einem Klima von Kontrolle und Strafe führt.

Die Folgen lassen sich bereits jetzt beobachten: Verunsicherung bei Betroffenen, Anstieg psychischer Belastung, wachsende Angst vor dem Verlust der Existenzsicherung. Dabei sind es gerade diese psychischen und sozialen Belastungen, die Integration in Arbeit erschweren. Die Reform zielt ins Gegenteil dessen, was sie vorgibt zu erreichen.

Fazit: Ein System mit Zwei-Gesichtern

Das Bürgergeld war als menschenfreundliche Alternative zu Hartz IV gedacht. Doch mit den geplanten Neuregelungen kehrt der alte Geist der Strafe und Kontrolle zurück.

Nicht mit dem Holzhammer, sondern still und leise – durch die Hintertür. Wer das nicht erkennt, verkennt die politische Richtung, die diese Reform einschlägt.

Für Betroffene bedeutet das vor allem eines: mehr Unsicherheit, weniger Schutz. Die Sozialpolitik der Zukunft muss sich entscheiden: Will sie integrieren – oder selektieren?