Sozialhilfe: Keine Kürzung der Sozialhilfe bei fiktiven Mieteinnahmen

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Leistungskürzung der Sozialhilfe unter Anrechnung von monatlich 600,00 Euro fiktiven Mieteinnahmen bei einer über achtzigjährigen, heimpflegebedürftigen Antragstellerin ist rechtswidrig – Das Gericht rügt Vorgehensweise des Sozialamtes

Das Sozialamt darf die Leistungen nicht aufgrund monatlicher fiktiver Mieteinnahmen kürzen.

Einkommen ist nämlich nur das, was tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden kann, also was der um Sozialhilfe nachsuchenden Person als „bereite Mittel“ tatsächlich auch zur Verfügung steht.

Was darf vom Sozialamt als Einkommen gewertet werden?

Als Einkommen darf vom Sozialhilfeträger nur das gewertet werden, was tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden kann, also was der um Sozialhilfe nachsuchenden Person als „bereite Mittel“ tatsächlich auch zur Verfügung steht.

Als solche „bereiten Mittel“ können im Grundsatz nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( BSG ) sowie der obergerichtlichen Rechtsprechung des Senats auf Grundlage des Gebots der Selbsthilfe (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) auch geldwerte Forderungen des Hilfesuchenden gegen Dritte gehören, wenn solche Ansprüche in angemessener Zeit („rechtzeitig“) ohne weiteres durchzusetzen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 R – ).

Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben

Denn das Sozialamt hat keinerlei belastbare Feststellungen dazu getroffen, ob, inwieweit und in welchem Umfang der Antragstellerin im Bedarfszeitraum überhaupt eine Vermietung des Objekts möglich ist. Insbesondere hat es die Sozialbehörde im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 20 Abs. 1 und 2 SGB X) ersichtlich nicht einmal für nötig erachtet, das Objekt – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – in Augenschein zu nehmen und dessen Vermietbarkeit zu überprüfen.

Dazu bestand schon deshalb Anlass, weil die Antragstellerin unwiderlegt geltend gemacht hat, dass das Haus bzw. Teile davon erst nach einer Renovierung vermietbar sind.

Der Sozialhilfeträger hat nach dem Gesetz die Pflicht, die Vermietbarkeit fest zu stellen- pauschale Behauptungen haben keinerlei Rechtsgrundlage

Die pauschale Behauptung des Sozialamtes, dass es – Leute gibt, die extra alte Häuser suchen – ist aus der Luft gegriffen und entbindet nicht von der Pflicht des für eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 SGB X beweisbelasteten Sozialamtes, die Vermietbarkeit zu überprüfen und festzustellen.

Keine Beweislastumkehr zulasten der Antragstellerin

Dazu besteht schon deshalb kein Raum, weil nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin eine Inaugenscheinnahme des Hauses durch das Sozialamt bzw. einen Sachverständigen nicht zulassen würde.

Im Übrigen ist schon fraglich, ob von der über achtzigjährigen, heimpflegebedürftigen Antragstellerin nähere Darlegungen zur Renovierungsbedürftigkeit und damit Vermietbarkeit des Hauses abverlangt werden können, da dazu bautechnischer Sachverstand erforderlich sein dürfte, nachdem nicht einmal der Gutachterausschuss der Stadt genaue Angaben zu dem Haus machen konnte.

Die vom Sozialamt angenommenen Mieteinnahmen i.H.v. 600 Euro monatlich entbehren jeglicher Grundlage

Angaben über die (vermietbare) tatsächliche Wohnfläche der Antragstellerin fehlen – was das Sozialamt offen einräumt. Aber das in Ansatz bringen einer Wohnfläche von 150 qm kann – nur als willkürlich und damit als offenkundig rechtswidrig erachtet werden, zumal die Antragstellerin unwiderlegt mitgeteilt hat, dass ihr die Netto-Wohnfläche nicht bekannt ist.

Wenn das Sozialamt daraufhin und im Anschluss an die unergiebige Auskunft des Gutachterausschusses meint, die Antragstellerin müsse, wenn sie die angesetzte (willkürlich gegriffene) Wohnfläche von 150 qm als zu groß erachte, entsprechende Nachweise vorlegen, läuft dies auf eine gleichsame rechtswidrige, weil gegen § 65 Abs. 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verstoßende, Beweislastumkehr hinaus.

Ohne jede belastbare Grundlage ist auch der vom Sozialamt hochgerechnete fiktive Mietzins von 600 Euro

Aus dem Schreiben des Geschäftsstellenleiters des Gutachterausschusses ergibt sich lediglich, dass der Ausschuss Mietpreise zwischen 3,50 Euro/qm bis 4,50 Euro/qm für die Wohnung „für angemessen“ hält. Auf welchen Anknüpfungstatsachen diese Einschätzung beruht, lässt sich dem Schreiben indes nicht entnehmen. Die Annahme, dass „städtische Gebäude“ (welche?) mit dem Objekt vergleichbar sind (warum und inwieweit?), lässt vollkommen offen, welche Maßstäbe der Ausschuss hier zugrunde gelegt haben will.

Fazit und Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock

Eine Kürzung von Sozialleistungen unter Anrechnung von monatlichen – fiktiven Mietannahmen – ist rechtswidrig, denn dafür besteht auch keine Rechtsgrundlage.

Es ist schon mehr als fraglich, ob von einer über achtzigjährigen, heimpflegebedürftigen Antragstellerin nähere Darlegungen zur Renovierungsbedürftigkeit und damit Vermietbarkeit des Hauses abverlangt werden können, und wenn die Antragstellerin müsse beweisen, wenn sie die angesetzte (willkürlich gegriffene) Wohnfläche von 150 qm als zu groß erachte, entsprechende Nachweise vorlegen, läuft dies auf eine gleichsame rechtswidrige, weil gegen § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verstoßende, Beweislastumkehr hinaus.

Denn wer behauptet, dass monatlich 600 Euro Mieteinnahmen möglich sein und diese auch noch rechtswidrig anrechnet, liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 48 SGB X in der Beweislast.

Das Sozialamt muss beweisen, dass diese Mieteinnahmen realistisch sind und umsetzbar – fiktive Mieteinnahmen darf das Sozialamt nicht anrechnen.

Rechtstipp zum Bürgergeld:

Jobcenter dürfen keine fiktiven Mieteinnahmen anrechnen.

Nicht gezahlte Untermiete an den Hartz IV – Empfänger stellt kein zu berücksichtigendes Einkommen dar. Die Berücksichtigung einer fiktiven Einnahme als bedarfsmindernd ist nach dem SGB II ausgeschlossen ( BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 161/11 R – ).

Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.