Musterwiderspruch Mietkaution-Anrechnung

Lesedauer 5 Minuten

Ein Musterantrag zur Abwehr der Anrechung an den Hartz IV-Satz des erteilten Darlehens zur Mietkaution. Bitte vor dem Verwenden die Anmerkungen in unserem Artikel lesen!

Musterwiderspruch
Alois Wanderer Wohngasse 5 0000 Biwakhausen

Jobcenter Biwakhausen
Arbeitsweg 6
0000 Biwakhausen

Ort, Datum


Widerspruch gegen den Bescheid vom …..
Az: xy 08/15

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen den Bescheid vom …… lege ich hiermit Widerspruch ein.

Begründung:
Mit dem Bescheid vom ….. wurde mir vom Jobcenter Biwakhausen ein zweckgebundenes Darlehen zur Zahlung meiner Mietkaution bewilligt. Zugleich wurde mir erklärt, dass die Rückzahlungsansprüche mit meinen Ansprüchen auf Sozialleistungen nach § 20 SGB II in Zukunft in Höhe von 10% monatlich aufgerechnet werden.
Eine inhaltsgleiche „Vereinbarung“ wurde zwischen den Parteien getroffen. Der Widerspruch richtet sich gegen die Aufrechnungserklärung, die für materiell-rechtlich rechtswidrig gehalten wird (I). Des Weiteren weise ich darauf hin, dass die Einlegung des Widerspruchs aufschiebende Wirkung entfaltet, sodass eine Aufrechnung vorerst nicht vorgenommen werden darf (II).

I Zur Rechtswidrigkeit der Aufrechnung:
Die materiellrechtlichen Bedenken ergeben sich aus zwei Punkten: Bei der Berechnung des „Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts“ wurden Ausgaben für Mietkautionen nicht berücksichtigt. Wird der Regelbedarf um die Tilgungsraten für ein Kautionsdarlehen gemindert, wird er für Bedarfe genutzt, für die er nicht vorgesehen ist. Das führt zu einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Transparenzgebot (1). Ferner wird eine 10-prozentige Aufrechnung erst nach mehreren Monaten oder Jahren zu einer vollständigen Tilgung des Darlehens führen. Das hat zur Folge, dass Ansparungen zur Deckung unregelmäßig anfallender Bedarfe kaum noch möglich sind, was wiederum zu einer längerfristigen und damit verfassungswidrigen Unterdeckung führen wird (2). Weil die Modalitäten der Tilgung eines Kautionsdarlehens sich zwingend aus § 42a II SGB II ergeben, hat das Jobcenter den ihm verbliebenen Ermessensspielraum aus § 22 VI SGB II zu nutzen und die Kaution in anderer Form, aber nicht als Darlehen, zur Verfügung zu stellen (3).

(1) In seiner Entscheidung vom 09.02.2010 (BVerfGE 125, 175) stellt der erste Senat des BVerfG fest, dass der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, die Höhe der Sozialleistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums „in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen“ (BVerfGE 125, 225). Nach meiner Auffassung wird gegen das so formulierte Transparenzgebot nicht nur dann verstoßen, wenn die Berechnung auf intransparente, empirisch nicht begründete Weise vorgenommen wird. Ein Verstoß ist vielmehr auch dann anzunehmen, wenn die entsprechende Leistung durch hoheitliche Intervention zu einem Zweck herangezogen wird, der nicht als Grundlage in die Berechnung der Leistungshöhe einging. Eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Berechnung wäre wenig wert, wenn sie beliebigen Verwertungszwängen unterworfen werden könnte. Eine transparente und sachlich begründete Berechnung des Regelbedarfs erfüllt daher zweierlei: Sie konkretisiert das Grundrecht auf Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums (Art. 1 I, 20 I GG) und schützt die daraus erwachsenden Ansprüche vor zweckentfremdeten Nutzungen, die dem Berechtigten hoheitlich auferlegt werden (so auch H.-U. Weth in Info also 2011, 276-277).

Die Berechnung der Höhe des Regelbedarfssatzes richtet sich heute nach dem RBEG. Ausgangspunkt bilden die Ausgaben der unteren Einkommensschichten, wie sie in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ermittelt wurden. Die einzelnen berücksichtigten Ausgabeposten sind in Abteilungen zusammengefasst (§§ 5 ff. RBEG). Aus ihnen geht hervor, dass Mietkautionszahlungen nicht berücksichtigt werden. Abteilung 4 wird zwar mit „Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung“ umschrieben, umfasst aber keine Ausgaben für Kautionszahlungen (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 55). Weil Ausgaben für Kautionszahlungen nicht in die Berechnung des Regelsatzes eingegangen sind, verstößt die Aufrechnung der Widerspruchsgegnerin gegen das Transparenzgebot. Die Aufrechnung ist somit rechtswidrig.

(2) Die Rechtswidrigkeit der Aufrechnung ergibt sich zudem schon aus der Dauer, die benötigt wird, um das Darlehn durch 10-prozentige Aufrechnung zu tilgen. Der Regelbedarfssatz lässt nach der gesetzgeberischen Konstruktion den Beziehern einen Spielraum zum eigenverantwortlichen Wirtschaften. Dazu gehört, dass unregelmäßige Bedarfe durch rechtzeitige Ansparungen zu decken sind (§ 20 I S. 4 SGB II). Weil ich aufgrund der Aufrechnung für ca. x Jahre und y Monate 10% weniger Geldmittel zur Verfügung haben werde, wird der verminderte Regelbedarfssatz diesen Bereich des eigenständigen Wirtschaftens nicht ausfüllen können. Sobald ein unregelmäßiger Bedarf auftritt, wird er untergedeckt sein und dies auch mindestens bis zum Zeitpunkt der vollständigen Tilgung des Darlehens bleiben. Eine derartige, zumindest längerfristige Unterdeckung verletzt mich in meinen Rechten aus Art. 1 I, 20 I GG (vgl. BVerfGE 125, 252 ff.; SG Berlin v. 20.09.2011 – S 37 AS 24431/11 ER).

(3) Soweit ein Kautionsbedarf durch Darlehen gedeckt wird, ist nach dem neugefassten gesetzgeberischen Willen eine Tilgung durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10% auf den Regelbedarf zwingend vorgeschrieben (§ 42a II S. 1 SGB II). Da eine solche Aufrechnung verfassungswidrig ist (vgl. (1) u. (2)), reduziert sich der gebliebene Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Form, in der der Kautionsbedarf gedeckt wird, auf null. § 22 VI S. 3 ist verfassungskonform so auszulegen, dass der Kautionsbedarf durch Zuschuss oder auf sonstige Weise, nicht aber durch ein Darlehen, zu decken ist. Von der Soll-Vorschrift ist daher nicht deshalb abzuweichen, weil ein atypischer Fall vorliegt, sondern weil höherrangiges Recht es fordert.

II Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
Gemäß § 42a II S. 2 SGB II hat die Aufrechnungserklärung in Form eines Verwaltungsaktes zu ergehen. Ein Widerspruch gegen diesen entfaltet Suspensivwirkung nach § 86a I S. 1 SGG, da die Ausnahmen des § 86a II SGG, auch i. V. m. § 39 SGB II, nicht greifen (so auch SG Stuttgart v. 08.02.2012 – S 14 AS 595/12 ER).
Das Jobcenter führt in seinem oben genannten Schreiben aus, dass die Tilgungsaufrechnung nicht bloß durch Verwaltungsakt angeordnet, sondern auch vertraglich vereinbart worden sei. Weitere Aufrechnungen zur Tilgung könnten daher nach Einlegung des Widerspruchs zwar nicht mehr auf den Verwaltungsakt, aber weiterhin auf die Vereinbarung gestützt werden. Sollte auch diese widerrufen werden, würde das gesamte Darlehen, bzw. der verbleibende Darlehensrest, zur sofortigen Rückzahlung fällig. Den wiedergegebenen Ausführungen kann jedoch nicht gefolgt werden. Zunächst ist fraglich, ob überhaupt ein Vertrag zwischen dem Jobcenter und mir zustande gekommen ist (1). Sollte dies trotz der hier geäußerten Bedenken zu bejahen sein, ist er zumindest insoweit unwirksam, wie mit ihm die Schutzwirkung des § 42a II S. 2 SGB II umgangen wird (2). Schließlich kann das Darlehen auch nach Widerruf der Vereinbarung nicht zurückgefordert werden, da dem Widerspruchsführer ein Anspruch auf die Leistung aus § 22 VI SGB II zusteht (3).

(1) Fraglich ist, ob überhaupt eine Vereinbarung vorliegt, oder ob es sich lediglich um einen durch gegenseitige Unterschrift bekundeten Verwaltungsakt handelt. Das Vorliegen einer Vereinbarung würde voraussetzen, dass ich zumindest die Möglichkeit hatte, das Ergebnis der Vereinbarung zu beeinflussen. Das ist im vorliegenden Fall fraglich, da die „Einigung“ durch Eintragung in einem vorgefertigten Formular festgehalten wurde und einzelne Vertragspositionen überhaupt nicht zur Disposition gestellt wurden. Die Frage kann allerdings offen bleiben, da weitergehende Bedenken an der Wirksamkeit der Vereinbarung durchgreifen.

(2) § 42a II S. 2 SGB II schreibt für die Erklärung der Aufrechnung zwingend die Form des Verwaltungsaktes vor. Die Regelung dient einerseits der Rechtssicherheit, aber auch dem Schutz des Aufklärungsgegners, indem sie ihm effektiven Rechtsschutz ermöglicht. Da der Formzwang bindenden Charakter hat, ist die getroffene Vereinbarung insoweit unwirksam, wie sie den von § 42a II S. 2 SGB II intendierten Schutzzwecken zuwider läuft. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs entfaltet daher auch Wirkung auf (eventuell) getroffene Vereinbarungen. Hilfsweise wird sie jedenfalls nach § 46 I SGB I widerrufen.

(3) Bleibt zum Schluss zu klären, wie es um die Behauptung des Jobcenters steht, dass mit einem Widerruf der Rechtsgrund für die Auszahlung des Darlehns entfalle und somit sofort zurück gezahlt werden müsse. Dem ist entgegenzusetzen, dass nach der gesetzlichen Konstruktion der Anspruchsgrundlage aus § 22 VI S. 1, 2 SGB II eine Mietkaution als Bedarf auf jeden Fall dann anerkannt werden soll, wenn der Wohnungswechsel vom kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist. Im vorliegenden Fall ist der Umzug vom kommunalen Träger veranlasst worden, weil meine ursprüngliche Wohnung als unangemessen bewertet wurde. Da ansonsten keine Umstände ersichtlich sind, die auf einen atypischen Fall hindeuten, ist das Jobcenter dahingehend gebunden, die Kaution als Bedarf anzuerkennen und die Mittel zur Verfügung zu stellen, die ihn decken. Daraus ergibt sich, dass ich einen Anspruch auf Deckung des Kautionsbedarfs habe, sodass auch nach einem Widerruf der (möglicherweise bestehenden) Vereinbarung das Kautionsdarlehen nicht zurückgefordert werden kann.

Mit freundlichen Grüßen
Alois Wanderer

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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