Jobcenter zwingt Krebskranke in Arbeitsmaßnahme

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Fallmanagerin zwingt Krebskranke in Arbeitsmaßnahme
Hartz-IV-Abhängige sind keine Zahlen, sondern Menschen. Abstrakte Statistiken verschleiern die Gewalt und das Leid, denen sie als Opfer ausgesetzt sind. Manche Erfahrungen sind dabei so ungeheuerlich, dass sie das Grundgesetz verhöhnen, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist. Eines dieser Opfer erzählte uns, wie es ihm beim Jobcenter erging: Mitten in einer Krebsbehandlung zwang eine Fallmanagerin die kranke Frau in eine Arbeitsmaßnahme.

Liebe Frau Reinhardt (Name von der Redaktion geändert). Sie sind Hartz-IV-Abhängige und haben unangenehme Erfahrungen mit dem Jobcenter gemacht. Können Sie uns diese schildern?
Frau Reinhardt: Ich musste innerhalb eines Jahres dreimal operiert werden, da ich einen großen Tumor hatte. Mir ging und geht es deswegen nicht gut – physisch ebenso wie psychisch. Nach der zweiten OP wurde ich sowohl von meinem Arzt als auch vom Amtsarzt des Jobcenters für ein dreiviertel Jahr arbeitsunfähig geschrieben, da ich mich in dieser Zeit erholen sollte.

Noch innerhalb dieser Rehazeit wurde ich von der Arge zu einem Termin geladen. Bei dem Gespräch teilte die Fallmanagerin mir mit, dass sie mich bei einer Maßnahme angemeldet habe, die über ein halbes Jahr ging.

Wie reagierten Sie?
Ich machte die Dame darauf aufmerksam, dass ich arbeitsunfähig sei.

Und was sagte sie dazu?
Sie sagte, „stellen Sie sich nicht so an, Arbeit hat noch keinen umgebracht.“ Dann machte sie mir unmissverständlich klar, ich würde mit 60% Abzug santioniert, falls ich diese Maßnahme verweigerte. Außerdem ergänzte sie: „Ich habe schließlich studiert, und Sie nicht, also bin ich offensichtlich besser aufgestellt als Sie.“

Die Fallmanagerin drohte ihnen also und wollte sie zwingen, trotz Arbeitsunfähigkeit zu arbeiten. Wie ging es weiter?
Ich knickte ein – aus Angst. Innerhalb des Jobcenters wurde ich zum Maßnahmenbetreuer geschickt und musste dort meine Teilnahme schriftlich zusagen. Ich machte auf meine Erkrankung aufmerksam, doch der Herr wiegelte ab und meinte, dass ihn das nicht interessiere.

Ich ging nach Hause, erzählte es meinem Mann, und der begleitete mich daraufhin am nächsten Tag zur Jobcenter. Wir legten schriftlich bei der Beschwerdestelle Widerspruch gegen die Fallmanagerin ein. Ich ging trotzdem in die Maßnahme, meine Angst vor Sanktionen war zu groß, da wir schon ohne Abzüge kaum über die Runden kommen.

Wie sah diese Maßnahme aus?
Die war der Brecher: Als gelernte Altenpflegerin und frisch operiert landete ich in einem Floristikunternehmen. Ohne Bezahlung, – mir wurden nur die Fahrtkosten ersetzt. Ich schleppte Blumentöpfe, räumte Lager auf und stand stundenlang auf Messen rum. Jeden Tag hatte ich Schmerzen und stand ständig unter Tabletten, weil ich es nur so aushielt.

Meine Krankmeldungen häuften sich, es ging mir immer schlechter, und ich befürchtete das Schlimmste. Dann kam es wie befürchtet: Ich musste zum dritten Mal operiert werden. Kaum waren die Wunden verheilt, stand ich dann wieder in der Maßnahme.

Jetzt ist die Maßnahme beendet?
Ja, und ich habe meine Teilnahme nicht verlängern lassen. Meine schriftliche Beschwerde über das Verhalten der Fallmanagerin führte indessen zu einem Teilerfolg: Ich habe jetzt eine neue Fallmanagerin, die wirklich menschlich ist.

Wie geht es ihnen heute?
Gut geht es mir nicht. Ich habe regelrechte Panik, dass die arge mir wegen der Beschwerde oder wegen dieses Interviews Probleme macht. Es gibt nichts Schlimmeres als Existenzangst. Das Gespräch führte Dr. Utz Anhalt

Bild: Edler von Rabenstein – fotolia

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