Schwerbehinderung: Amt handelt willkürlich – Gericht schreitet ein

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Ein Betroffener kämpfte monatelang um die korrekte Anerkennung seiner Behinderung – doch das Versorgungsamt stellte sich taub. Erst eine Untätigkeitsklage brachte Klarheit: Das Sozialgericht Detmold verurteilte die Behörde zur Entscheidung und warf ihr eine „missbräuchliche Rechtsauffassung“ vor.

GdB zu niedrig? So lief der Fall

Alles begann mit einem Antrag auf Verschlimmerung der Behinderung: Der Kläger, bereits mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40 eingestuft, forderte im August 2023 eine Neubewertung seines Gesundheitszustands. Daraufhin wurde er ärztlich begutachtet. Im November 2023 erkannte das Amt immerhin einen GdB von 50 an – aus Sicht des Betroffenen aber immer noch zu niedrig. Deshalb legte er Widerspruch ein.

Statt diesen zu prüfen, zog sich die Behörde zurück. Erst im Februar 2024 kam eine zweite Begutachtung – dieses Mal mit dem Ergebnis: GdB 60. Das Versorgungsamt stellte daraufhin per „Abhilfebescheid“ fest, dass der Fall damit abgeschlossen sei. Doch das sah der Kläger anders: Für ihn war das Verfahren keineswegs beendet – schließlich hatte er nie gesagt, dass ein GdB von 60 seinem Gesundheitszustand tatsächlich gerecht wird.

Wann endet ein Widerspruchsverfahren wirklich?

Die Frage, wann ein Widerspruchsverfahren als erledigt gilt, war Mittelpunkt des Streits. Das Versorgungsamt meinte, durch die teilweise Anerkennung (GdB 60) habe sich die Sache erledigt – ohne jemals formell über den Widerspruch zu entscheiden oder den Betroffenen um eine Rückmeldung zu bitten.

Das Gericht sah das anders: Wenn jemand Widerspruch gegen einen Bescheid einlegt, dann muss die Behörde klar und abschließend darauf reagieren. Nur weil der neue Bescheid etwas besser ausfällt, ist das Verfahren nicht automatisch beendet. Ein bloßer Hinweis wie „Das Verfahren ist hiermit erledigt“ ersetzt keinen rechtskräftigen Widerspruchsbescheid.

Reagiert das Amt nicht? Das können Sie tun

In Fällen wie diesem bleibt Betroffenen oft nur ein Ausweg: die sogenannte Untätigkeitsklage. Sie ist zulässig, wenn ein Widerspruch länger als drei Monate unbearbeitet bleibt – oder wenn klar ist, dass die Behörde sich weigert, überhaupt noch zu entscheiden.

Genau das geschah hier. Der Kläger hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass der GdB 60 aus seiner Sicht nicht ausreichend ist. Die Behörde hingegen behauptete, das Verfahren sei technisch abgeschlossen – man könne gar nichts mehr entscheiden.

Das Gericht widersprach: Es sei Aufgabe der Behörde gewesen, aktiv nachzufragen, ob mit dem neuen Bescheid der Widerspruch noch weiter verfolgt wird. Ein „technischer Abschluss“ des Falls sei irrelevant – wenn nötig, müsse der Vorgang eben wieder neu angelegt werden.

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Gericht: Amt hat willkürlich gehandelt

Deutlich war das Urteil des Sozialgerichts Detmold (Az.: S 1 SB 486/24). Die Richter erklärten die Klage für vollständig begründet und verurteilten die Behörde nicht nur zur Entscheidung, sondern auch zu 300 Euro Verschuldungskosten.

Die Begründung: Der Behörde sei mehrfach die klare Rechtslage erklärt worden. Dennoch habe sie sich geweigert, zu handeln. Dieses Verhalten sei rechtsmissbräuchlich – das Amt habe die Rechte des Klägers gezielt ignoriert. Besonders kritisch: Die Behörde wollte nicht einmal anerkennen, dass ein Widerspruch ohne konkrete GdB-Zahl trotzdem den Anspruch auf eine vollständige Prüfung begründet.

Was bedeutet das Urteil für andere Betroffene?

Das Urteil stärkt die Rechte von Menschen, die sich mit unvollständigen Bescheiden und verweigerter Amtstätigkeit konfrontiert sehen. Besonders wichtig:

Auch ein Teil-Abhilfebescheid beendet ein Widerspruchsverfahren nicht automatisch.
Die Behörde muss aktiv nachfragen, ob der Widerspruch weiterbesteht, wenn unklar ist, was genau begehrt wurde.
Untätigkeitsklagen sind ein wirksames Mittel, wenn Behörden nicht reagieren – schon nach drei Monaten ohne Entscheidung.
Eine Rechtsauffassung der Behörde, die Betroffenen bewusst vom Rechtsweg abhält, kann Kostenfolgen haben.

GdB zu niedrig – was tun?

Wenn auch Sie davon ausgehen, dass Ihr festgestellter GdB nicht Ihrer tatsächlichen Einschränkung entspricht, beachten Sie diese Punkte:

  1. Widerspruch einlegen – am besten schriftlich und mit Begründung.
  2. Nicht abschrecken lassen, wenn das Amt den GdB leicht erhöht – prüfen Sie, ob das wirklich genügt.
  3. Nachhaken, wenn keine Antwort kommt – spätestens nach drei Monaten darf eine Untätigkeitsklage erhoben werden.
  4. Dokumentieren Sie alles: Bescheide, Gutachten, Schriftwechsel – das erleichtert die Klage erheblich.