Ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Baden-Wรผrttemberg zeigt: Eine Hรถherstufung zum Schwerbehindertenstatus ist nur mit fundierter medizinischer Dokumentation mรถglich. Wer ohne stichhaltige Befunde klagt, riskiert hohe Kosten und wenig Erfolg. (Az: L 12 SB 864/22)
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Klage gescheitert: Keine Schwerbehinderung trotz mehrfacher Erkrankungen
Das Landessozialgericht Baden-Wรผrttemberg hat in einem wegweisenden Fall den Gesamtgrad der Behinderung (GdB) auf 40 festgesetzt โ und damit eine Entscheidung des Sozialgerichts Ulm revidiert.ย Eine Klรคgerin hatte argumentiert, sie erfรผlle die Voraussetzungen fรผr einen GdB von 50.
Das Gericht sah das anders: Zwar lagen mehrere gesundheitliche Einschrรคnkungen vor, deren Auswirkungen รผberschnitten sich jedoch funktionell. Die Folge: Die Einzeldiagnosen summierten sich nicht zu einer Schwerbehinderung im rechtlichen Sinne.
Die medizinischen Einzelfรคlle reichten von leichtem Asthma รผber Depressionen bis zu Wirbelsรคulenbeschwerden. Keine der Diagnosen war jedoch schwer genug ausgeprรคgt, um die Schwelle zum GdB 50 zu rechtfertigen. Entscheidend war fรผr das Gericht nicht die Anzahl der Erkrankungen, sondern deren reale funktionale Auswirkung im Alltag.
Warum vier Einzel GdB von 20 nicht ausreichen
Die Klรคgerin brachte vier Einschrรคnkungen mit jeweils einem Einzel GdB von 20 vor. Dazu kamen zwei weitere Beeintrรคchtigungen mit geringerer Bewertung. Dennoch blieb die Gesamtbewertung bei 40. Grund: Die Symptome รผberschneiden sich in ihrer funktionalen Wirkung. Beispielsweise fรผhrten weder die Hauterkrankung (Lichen ruber) noch die Schlafapnoe zu einem zusรคtzlichen, eigenstรคndigen Belastungsprofil.
Entscheidungshilfe fรผr Betroffene: Ein GdB von 50 wird nicht durch Addition kleiner Einzelwerte erreicht, sondern durch das Zusammenspiel diagnostizierter Erkrankungen mit deutlichem Funktionsverlust. Reicht keine Einzelstรถrung an die Bewertungsgrenze von 30 oder 40 heran, bleibt der Gesamt GdB meist deutlich darunter.
Gerichte prรผfen Funktion โ nicht Empfinden
Das Gericht wies explizit darauf hin, dass subjektiv empfundene Belastungen nicht entscheidend seien. Was zรคhlt, sind objektive medizinische Daten. In diesem Fall zeigten Lungenfunktionstests normale Werte, die Wirbelsรคule war trotz Schmerzsymptomatik voll beweglich, die Hauterkrankung stabil. Auch bei der Depression lagen nur leichtgradige Symptome ohne gravierende Alltagseinschrรคnkungen vor.
Was das fรผr Sie bedeutet: Emotionale Schilderungen allein รผberzeugen kein Gericht. Nur รคrztlich dokumentierte Funktionsverluste mit messbarer Alltagsrelevanz bringen Sie nรคher an den GdB 50.
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Therapieerfolg kann GdB verringern
Ein oft รผbersehener Aspekt: Wer mit Hilfsmitteln wie CPAP-Masken oder orthopรคdischen Hilfen gut zurechtkommt, mindert seine gesundheitlichen Einschrรคnkungen โ und damit auch den rechtlichen Anspruch auf eine hรถhere Behinderungseinstufung. Im aktuellen Fall spielte genau das eine Rolle: Die Schlafapnoe der Klรคgerin war durch die Maske so gut kompensiert, dass keine zusรคtzliche funktionale Belastung mehr angenommen wurde.
Was der Unterschied zwischen GdB 40 und 50 finanziell bedeutet
Die Entscheidung hat spรผrbare finanzielle Konsequenzen. Ein GdB von 50 bringt:
- einen hรถheren Steuerfreibetrag (1.140 Euro statt 860 Euro),
- fรผnf zusรคtzliche Urlaubstage im Arbeitsverhรคltnis,
- besonderen Kรผndigungsschutz,
- und unter Umstรคnden eine vorgezogene Altersrente ohne Abschlรคge.
Fรผr Menschen kurz vor der Rente oder in belastenden Berufen sind das gewichtige Grรผnde, eine Hรถherstufung anzustreben. Umso wichtiger ist es, nicht ohne sorgfรคltige Vorbereitung ein Verfahren anzustoรen.
Wie Sie einen erfolgreichen Verschlimmerungsantrag vorbereiten
Wer einen GdB-Antrag stellen oder erhรถhen mรถchte, sollte konkrete medizinische Nachweise einreichen. Dazu gehรถren unter anderem:
- Lungenfunktionstests bei Atemwegserkrankungen (z.โฏB.
- Bodyplethysmografie),
- funktionelle Wirbelsรคulenbefunde (z.โฏB. Bewegungsausmaร, bildgebende
- Verfahren nur bei auffรคlligen Befunden),
- standardisierte psychologische Tests bei Depression oder Angststรถrungen (z.โฏB. PHQ9, HADS).
Achtung: Reine Beschreibungen von Beschwerden oder Reha-Entlassbriefe ohne belastbare Testdaten reichen in der Regel nicht aus.
Gutachten: Teuer und riskant
Viele Klรคger greifen zu einem Gutachten nach ยง 109 SGG, um das Verfahren zu beeinflussen. Sie dรผrfen dabei selbst die Gutachterin oder den Gutachter wรคhlen โ mรผssen die Kosten aber vorab tragen. Wenn das Gutachten negativ ausfรคllt, bleibt neben dem Honorar auch das Risiko eines verlorenen Prozesses. Besser: Beratung durch den Sozialverband VdK oder SoVD, der oft vorab eine realistische Einschรคtzung geben kann.