Hartz IV gleich Langzeitarbeitslos?

Lesedauer 2 Minuten

Die wenigstens Bezieher von Hartz IV sind tatsächlich "Langzeitarbeitslos"

11.12.2012

Wenn es in der öffentlichen Debatte um Hartz IV geht, wird automatisch suggeriert, Hartz IV beträfe in der Mehrheit Langzeitarbeitslose. Nach Angaben des Arbeitsmarktforscher Joachim Möller stimmt das noch nicht einmal im Ansatz. Auf Hartz IV sind vor allem Menschen betroffen, deren Lohn zu gering ist oder weil sie als „zu alt“ für den regulären Arbeitsmarkt gelten. Nur ein geringer Teil der Hartz IV Betroffenen ist bereits eine längere Zeit erwerbslos.

Die "gegen-hartz.de" Redaktion erhält beinahe täglich Hassmails. Darin steht zum Beispiel: „Euch müsste man alle ins Arbeitslager stecken“. Oder: „Faules Pack, ich muss auch für mein Geld arbeiten“. Derlei Mails sind nicht verwunderlich. Wenn in den Medien über Hartz IV gesprochen wird, klingt oft unterschwellig der Vorwurf mit, Hartz IV sei eine Art Notfallprogramm für Menschen, die eine längere Zeit ohne reguläres Beschäftigungsverhältnis sind und nun mit Zwang aktiviert werden müssten. Auch der offizielle Name „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ impliziert, Hartz IV sei ein reines „Arbeitslosen-Programm“. Wer noch nie mit Hartz IV in Berührung kam, weiß nicht, dass Hunderttausende ihren kargen Lohn mit Hartz IV aufbessern müssen, um überhaupt das Existenzminimum zu überschreiten. Unter den etwa sechs Millionen Hartz IV Betroffenen sind rund 1,3 Millionen Beschäftigte, die von aufstockenden Hartz IV-Leistungen betroffen sind. Und seit dem Ausbau des Niedriglohnsektor ist die Betroffenengruppe stark steigend.

Unter den etwa sechs Millionen SGB II-Beziehern sind zudem 1,7 Millionen Kinder (meist unter 15 Jahre), die mit ihren Eltern in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft leben. 4,3 Millionen Berechtigte gelten laut Statistiken als „erwerbsfähig“ und etwa zwei Millionen sind in der Tat arbeitslos. Rund 500.000 unternehmen einen sogenannte Arbeitsgelegenheit (Ein-Euro-Job), eine Weiterbildung. Sie gelten laut offizieller Lesart nicht als „Arbeitslos“ und werden regelmäßig aus den Arbeitslosenstatistiken heraus gerechnet. Andere befinden sich im Mutterschutz, in der Erziehungszeit oder pflegen schwer Kranke Angehörige. Das zeigt, dass Hartz-IV-Bezieher keineswegs den Stereotypen entsprechen, die häufig von Boulevardblättern wie „Bild“ gezeichnet werden.

Homogen sind auch erwerbslose Hartz IV Bezieher nicht. Darunter befinden sich nämlich Hochschulabsolventen wie auch über 60Jährige, die nach Jahrzehntelangem Schuften ihre Stelle verloren haben und auf dem Arbeitsmarkt als „zu alt“ gelten. Viele von ihnen, vor allem Ältere, sind chronisch Krank und können nicht mehr als drei Stunden pro Tag arbeiten. Dennoch gelten auch sie zum Rechtskreis des SGB II. Nicht-erwerbsfähig sind meist Kinder unter dem 15 Lebensjahr und Betroffene, die weniger als drei Stunden pro Tag regulär arbeiten können. Diese Menschen sind dann auf Sozialhilfe angewiesen.
Von den etwa zwei Millionen Hartz-4-Beziehern ist nur eine Million länger als ein Jahr erwerbslos. Es zeigt sich also, dass nur eine Minderheit der Betroffenen wirklich Langzeitarbeitslos ist. Langzeiterwerbslose stecken vielfach in schwierigen Lebenssituationen, weil sie als bereits mit 50 Jahren als „zu alt“ für den Arbeitsmarkt gelten, ihre Ausbildung durch Technologisierungen nicht mehr benötigt wird oder aufgrund eines Migrationshintergrundes über zu wenig Deutschkenntnisse verfügen.

Und trotzdem hält die Bundesregierung an der entwürdigenden Sanktionspraxis fest, weil hierin das unbestätigte Vorurteil enthalten ist, dass Zwang als Mittel angewendet werden muss, um angebliche Arbeitsverweigerung zu bestrafen. Im letzten Jahreszeitraum über eine Million mal. Von nun an werden Hassmails mit einem Link auf diesen Artikel verwiesen. (sb)

Bild: Gerd Altmann / pixelio.de

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

Wird geladen ... Wird geladen ...