Bürgergeld: Sozialgericht hob Jobcenter-Willkür auf

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Alleinerziehenden wurden die Bürgergeld-Leistungen komplett gestrichen

Sanktionen über 30 Prozent sollen beim Bürgergeld nicht mehr angewendet werden. Wenn Bezieher von Bürgergeld ihre Mitwirkungspflichten verletzen, können die Jobcenter die Leistungen ganz oder teilweise streichen.

Häufig wird diese Möglichkeit zur “Totalsanktion” seitens der Jobcenter zur Schikane missbraucht. Das Sozialgericht Karlsruhe hat in einem aktuellen Urteil (Az: S 12 AS 2046/22) klargestellt, wo die Grenze zwischen zulässiger Praxis und Willkür liegt.

Vollständige Streichung des Bürgergeldes bei Pflichtverstoß?

Das Sozialrecht räumt dem Jobcenter einen gewissen Spielraum für individuelle Entscheidungen ein.

Dies führt in der Praxis häufig zu Problemen: Wer Bürgergeld bezieht, ist oft auf die Gnade der Jobcenter angewiesen. So erging es einer alleinerziehenden Mutter, die mit ihrer dreijährigen Tochter Bürgergeld bezog. Die Unterhaltszahlungen des Kindesvaters erhielt sie nur in bar. Als das Jobcenter Kontoauszüge von ihr verlangte, reichte sie diese teilweise geschwärzt ein.

Das Jobcenter nahm dies zum Anlass, die Leistungen nach § 66 SGB I vollständig zu streichen. Zur Begründung hieß es, die Mitwirkungspflichten der Frau erforderten mehr als geschwärzte Kontoauszüge. Der Ablehnungsbescheid lautete:

“Sie (…) haben keine Gründe mitgeteilt, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Ihren Gunsten (…) berücksichtigt werden können. Nach Abwägung des Sinns und Zwecks der Mitwirkungsvorschriften mit Ihrem Interesse an den Leistungen sowie dem öffentlichen Interesse an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit werden die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für Sie und Ihr Kind (…) ab dem 1. April 2022 vollständig entzogen.”

Komplette Streichung der Bürgergeldleistungen muss begründet sein

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagte die betroffene Bürgergeldbezieherin vor dem Sozialgericht gegen die Streichung der Zahlungen.

Die Richter entwickelten auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Sanktionen aus dem Jahr 2019 zwei Voraussetzungen für die Streichung von Leistungen nach § 66 SGB I:

  • Vor der Kürzung muss dem Betroffenen nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.
  • Bei einer Kürzung von mehr als 30 % muss das Jobcenter genau darlegen, welche besonderen Gründe eine so drastische Kürzung rechtfertigen. Vage und allgemeine Begründungen reichen nicht aus.

Diese Anforderungen sollen insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen, der die Jobcenter auch dann bindet, wenn sie – wie hier – Ermessen ausüben.

Jobcenter erleidet Niederlage vor dem Sozialgericht

Das Gericht gab der alleinerziehenden Mutter letztlich Recht und hob die Sanktionsbescheide des Jobcenters auf.

Die Behörde habe im konkreten Fall grob fahrlässig verkannt, dass die vollständige Streichung der Leistungen auch bei eingeschränkter Mitwirkung der Leistungsempfängerin eine unbillige Härte für Mutter und Tochter darstelle.

Das Jobcenter habe sich weder persönlich bei der Frau erkundigt noch die Streichung ausreichend begründet, so das Gericht.

In dem Bescheid hieß es lediglich, das öffentliche Interesse überwiege das Interesse der Betroffenen. Eine derart vage und allgemeine Formulierung reiche bei weitem nicht aus, um eine vollständige Streichung der Zahlungen zu rechtfertigen, urteilten die Richter.

Auch Bürgergeld-Bezieher dürfen Kontoauszüge teilweise schwärzen

Zudem könnten Kontoauszüge sensible Daten enthalten, die für die Arbeit des Jobcenters nicht relevant seien. Deshalb haben Bürgergeldbezieher auch das Recht, Überweisungsbeträge sowie Teile der Buchungstexte und Verwendungszwecke zu schwärzen.

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