In den meisten Fällen wird bei Beginn eines Arbeitsverhältnisses eine Probezeit vereinbart. In dieser Zeit gelten nicht die gesetzlichen Bestimmungen zum Kündigungsschutz im vollen Umfang.
Bisher trifft das auch für Menschen mit besonderem Kündigungsschutz zu, der erst nach Ablauf der Probezeit greift. Der Europäische Gerichtshof hat nun jedoch geurteilt, dass Menschen mit einer als Schwerbehinderung eingestuften Beeinträchtigung auch während der Probezeit schon besonderen Kündigungsschutz genießen.
Kündigung in der Probezeit
Inhaltsverzeichnis
Die Probezeit, die maximal sechs Monate umfassen darf, dient dazu, die Eignung des Vertragspartners zu prüfen – also festzustellen, ob der Arbeitnehmer die erforderlichen Qualifikationen mitbringt oder die Stelle den Fähigkeiten und Erwartungen des Arbeitnehmers entspricht. Zu diesem Zweck ermöglicht die Probezeit eine leichtere Kündigung für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer.
Während der Probezeit beträgt die Kündigungsfrist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich zwei Wochen. Sie kann außerdem jederzeit und nicht nur zum 15. oder zum Ende des Monats erfolgen.
Lesen Sie auch: 5 Gründe, warum der Bürgergeld-Bescheid überprüft werden sollte
Eine kurzfristige Kündigung war bisher selbst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer während des regulären Arbeitsverhältnisses besondere Kündigungsschutzrechte durch das Arbeitsrecht genießt.
Besonderer Kündigungsschutz
Einen besonderen Kündigungsschutz genießen nach deutschem Arbeitsrecht Arbeitnehmer, die
- in Mutterschutz oder Elternzeit sind,
- nahe Angehörige in häuslicher Pflege versorgen,
- körperlich oder geistig vor besondere Herausforderungen gestellt (schwerbehindert) sind,
- Mitglied einer gewählten Interessenvertretung sind, oder
- Wehrdienst leisten.
Betroffene haben meistens sehr gute Chancen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage eine Weiteranstellung zu erwirken oder unter Umständen bereits außergerichtlich eine Abfindung zu erhalten. Doch der besondere Kündigungsschutz galt im deutschen Recht bisher erst nach Ablauf der ersten sechs Monate des Anstellungsverhältnisses.
Lesen Sie auch:
– Kündigung: Darf mich der Arbeitgeber während einer Krankheit kündigen?
– Kündigung – Die meisten Gekündigten lassen Abfindungsanspruch verfallen
Europäischer Gerichtshof weitet besonderen Kündigungsschutz in Probezeit aus
Im Falle eines körperlich beeinträchtigten Angestellten einer belgischen Bahngesellschaft hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der besondere Kündigungsschutz bereits in die Probezeit gilt und entsprechend eine alternative Beschäftigung an einem geeigneten Arbeitsplatz geprüft werden muss (Az.: C-485/20 HR Rail, 10.02.2022).
Der Betroffene konnte aufgrund eines Herzschrittmachers nicht mehr in der Nähe elektromagnetischer Gleisanlagen arbeiten und bekam deshalb eine Schwerbehinderung attestiert. Die Bahngesellschaft kündigte ihm schließlich, da sich in der Probezeit herausgestellt habe, dass er die Aufgaben, für die er ursprünglich eingestellt worden war, nicht erfüllen könne.
Das angerufene Arbeitsgericht wandte sich daraufhin an den Europäischen Gerichtshof, um klären zu lassen, ob Artikel 5 der europäischen Gleichbehandlungsrahmenrichtline, nach der eine ableistische Diskriminierung am Arbeitsplatz verboten ist, auch in der Probezeit Anwendung finde.
Urteil gilt auch für deutsches Arbeitsrecht
Der Europäische Gerichtshof sieht keinen Grund für eine Ausnahme von der allgemeinen Schutzregelung während der Probezeit. Im deutschen Recht ist dies bisher explizit ausgeschlossen, um Einstellungshürden zu verringern – so die Begründung des Gesetzgebers. Doch das europäische Urteil ist höhere Rechtssprechung und überschreibt damit das geltende Recht.
Auch in der Probezeit wird es daher für Arbeitgeber künftig darauf ankommen, genau zu prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern auf einem anderen Arbeitsplatz möglich ist, selbst wenn dafür Umschulungen oder Fortbildungen nötig sind. Werden Betroffene dennoch gekündigt, ist eine Abfindung im Rahmen einer Kündigungsschutzklage zu prüfen.
Wie genau sich das Urteil für die Betroffenen auswirkt, wird sich in den Arbeitsgerichten zeigen müssen. Es besteht sogar die Befürchtung, dass eine grundsätzliche Befristung oder gar gänzlicher Verzicht von Neueinstellungen betroffener Personen die Folge sein könnte. Doch auch das widerspricht selbstverständlich dem Diskriminierungsschutz.
Betroffene, die besonderen Kündigungsschutz genießen, sollten im Zweifelsfall unbedingt einen Anwalt hinzuziehen, um ihre Rechte und Abfindungsansprüche durchzusetzen. Künftig auch während der Probezeit. Arbeitnehmer.Support ist zum Beispiel eine Kanzlei, die sich auf Arbeitnehmerrechte spezialisiert hat. Bild: Firma V / AdobeStock