Künftig verschärfte Anrechnung von Einkommen aus Teilzeitarbeit bei Hartz IV?
04.02.2014
Laut einer Statistikrevision der Bundesagentur für Arbeit (BA) soll die Zahl der Hartz IV-Aufstocker mit Vollzeitbeschäftigung weitaus geringer sein, als bisher erklärt. Stattdessen soll ein wesentlich größerer Anteil der Aufstocker die Teilzeitbeschäftigten ausmachen. Landkreise und Arbeitgeber sehen nun "fehlende Anreize für eine Vollbeschäftigung" als Ursache. Schuld sollen die "Zuverdienstregelungen bei Hartz IV" sein, nach denen Leistungsberechtigte grundsätzlich 100 Euro anrechnungsfrei, bis 1.000 Euro Zuverdienst 20 Prozent und darüber zehn Prozent ihres Gehaltes aus einer Teilzeitbeschäftigung einbehalten dürfen. Der Rest wird mit der Grundsicherung verrechnet. Diese Regelung könnte jedoch zukünftig gekippt werden.
Teilzeitbeschäftigten wird unterstellt, sich auf Hartz IV und Minijob auszuruhen
Von den 1,2 Millionen erwerbstätigen Hartz IV-Beziehern gehen der BA zufolge nur noch 218.446 einer Vollzeitbeschäftigung nach. Der weitaus größere Teil arbeitet demnach in Teilzeitjobs. „Die neuen Zahlen der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten im SGB II zeigen deutlich, dass nur wenige der Betroffenen ganztägig arbeiten", berichtete der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Hans-Günter Henneke, gegenüber der „Welt“. „Von 1,2 Millionen Aufstockern arbeitet mehr als die Hälfte ausschließlich geringfügig, 30 Prozent sozialversicherungspflichtig in Teilzeit und nur 18 Prozent in Vollzeit." Henneke fordert eine Analyse der Ursachen. „Sind die Beschäftigungsmöglichkeiten beschränkt? Oder streben die Betroffenen gar keinen größeren Tätigkeitsumfang an?"
Nur allzu gern nennen Arbeitsmarkt-Experten Letzteres als Ursache für die hohe Zahl der Teilzeitbeschäftigten bei Hartz IV. Vollbeschäftigung würde sich für die Bezieher von Grundsicherung schlichtweg nicht lohnen. Schuld sollen die Zuverdienstregelungen sein, nach denen ein erwerbstätiger Leistungsberechtigter mit einem Minijob für 400 Euro 160 Euro pro Monat anrechnungsfrei zusätzlich zum Hartz IV-Regelsatz erhält. „Ein Hartz-IV-Empfänger hat nur wenig Anreize, seine Tätigkeit zu einer Vollzeitbeschäftigung auszuweiten", erklärte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln gegenüber der Zeitung. Bei einer Vollzeitbeschäftigung belaufe sich der Verdienst im Vergleich zum Minijob lediglich auf 1,16 Euro mehr pro Stunde.
Debatte um Zuverdienstregelungen bei Hartz IV wird realitätsfern geführt
„Viele erwerbsfähige SGB-II-Empfänger empfinden die aufsteigende Anrechnung von Einkommen schlicht als Verlust", argumentiert auch Henneke. „Vor diesem Hintergrund sind die derzeitigen Anreize im SGB II zu möglichst bedarfsdeckender Beschäftigung sehr wenig wirksam.“ Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) übt ebenfalls Kritik an den derzeit geltenden Zuverdienstregelungen. „Offensichtlich ist es derzeit für viele attraktiv, nur ein geringes Erwerbseinkommen zum Arbeitslosengeld II hinzuzuverdienen", so die BDA gegenüber der Zeitung. „Um wirksame Anreize zur Ausweitung der Arbeitszeit zu setzen, müssen die Regelungen zur Anrechnung von eigenem Erwerbseinkommen auf das Arbeitslosengeld II überarbeitet werden, die bisher niedrige Hinzuverdienste überproportional begünstigen.“
Völlig unberücksichtigt in dieser Debatte bleibt jedoch, dass Langzeitarbeitslose häufig große Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Nicht etwa die Zuverdienstregelungen halten viele Hartz IV-Bezieher davon ab, eine Vollzeitbeschäftigung anzunehmen, sondern vielmehr fehlende Jobangebote, zum Teil veraltetes Fachwissen aufgrund langjähriger Arbeitslosigkeit oder geringe Qualifikation. Hinzu kommt die fehlende Unterstützung vom Jobcenter bei der Arbeitssuche. Statt sinnvoller Umschulungen und Fortbildungen werden Leistungsbezieher teilweise mit Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs massiv unter Druck gesetzt. Wird eine solche Maßnahme oder die Bewerbung auf ein völlig unpassendes Jobangebot verweigert, drohen Sanktionen in Form von Geldkürzungen. Seit Einführung von Hartz IV mit seinem Leitsatz „Fördern und Fordern“ werden Hartz IV-Bezieher massiv unter Druck gesetzt. Vor allem schwer in Arbeit zu vermittelnde Erwerbslose werden selten gefördert, müssen aber natürlich sämtliche Forderungen seitens des Jobcenters erfüllen.
Einkommen aus Teilzeitbeschäftigung sollen stärker als Einkommen aus Vollbeschäftigung angerechnet werden
Mit den Zuverdienstregelungen haben Leistungsbezieher die Gelegenheit, wenigstens etwas Geld hinzu zu verdienen. Eine Teilzeitstelle findet sich allemal leichter als eine sozialversicherungspflichtige Vollbeschäftigung. Doch auch damit könnte zukünftig Schluss sein, sollten sich BDA, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mit ihrer Forderung durchsetzen. Wie die Zeitung berichtet hatten sich die drei Wirtschaftsverbände bereits vor drei Jahren für eine radikale Umgestaltung der bisherigen Zuverdienstregelungen stark gemacht. „Die Freibetragsregelung muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden und Anreize setzen eine Vollzeittätigkeit aufzunehmen und den Hilfebezug aus eigene Kraft schnellstmöglich zu beenden", forderten sie. Nach ihrem Modell, dass in Kooperation mit dem IW erarbeitet wurde, soll selbsterwirtschaftetes Einkommen in Höhe von bis zu 200 Euro vollständig auf den Regelsatz angerechnet werden, denn dadurch entfalle der Anreiz für eine geringfügige Beschäftigung, so das Argument der beteiligten Wirtschaftsverbände. Dafür soll vollzeitnahes Einkommen in geringerem Maß auf das Arbeitslosengeld II (ALG II) angerechnet werden. Von einem Einkommen bis 800 Euro sollen 40 Prozent und zwischen 800 und 1.000 Euro 20 Prozent anrechnungsfrei sein. Auf diese Weise werde die Eigeninitiative gefördert und ein Anreiz zur Aufnahme einer Vollbeschäftigung geschaffen. Unter Schwarz-Gelb wurde der Vorschlag von BDA, BDI und DIHK aber nicht aufgegriffen. Ob die neue Bundesregierung einen anderen Kurs einschlägt, bleibt abzuwarten. (ag)
Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de
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