Zahl der Bezugssperren ist 2013 auf ein neues Höchstniveau gestiegen
04.02.2014
Steigende Arbeitslosigkeit bedeutet auch steigender Druck auf Arbeitslose: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Existenz gefährdenden Bezugssperren nach einer leichten Entspannung 2012 wieder auf eine neue Rekordhöhe gestiegen: Das AMS verhängte mit 105. 295 Bezugssperren um 6.394 Sperren bzw. um 6,5 % mehr als im Vorjahr. Die Sperrquopte sank nur leicht von 302 auf 295 verhängte Sperre pro 1.000 Arbeitslose und liegt damit fast gleichauf mit dem berüchtigten Hartz-IV Deutschland (308 Sperren pro 1000 Hartz IV Empfänger 2012)! Im Gegensatz zu Hartz IV sind in Österreich aber alle Sperren 100%.
Die meisten Sanktionen wurden wegen versäumter Kontrolltermine verhängt: 56.054 (+1.177 Sperren = +2,1%), gefolgt von 33.078 einmonatigen Sperren wegen Selbstkündigung (+5.628 Sperren = + 20,5%) und 15.816 6 oder 8 Wochen dauernden Sperren wegen angeblicher Vereitelung eines vom AMS zugewiesenen Arbeitsverhältnisses oder einer AMS-Zwangsmaßnahme (-551 Sperren = -3,4 %). Die komplette Einstellung des AMS-Bezugs wegen angeblicher genereller Arbeitsunwilligkeit nach § 9 AlVG ist von einem zwar geringen Niveau aber stark um 67,6% von 207 auf 347 Sperren gestiegen.
Die größte Zunahme der Anzahl der Sperren durch AMS gab es in der Steiermark mit plus 14,6%, gefolgt von Kärnten mit plus 13,6% und Oberösterreich mit plus 9,7%. Umgerechnet auf die Zahl der Arbeitslosen stieg die in Vorarlberg mit plus 7,4% am meisten, gefolgt von der Steiermark mit plus 5,2% und Kärnten mit plus 1,7%, die größten Rückgänge bei der Sperrquote gab es im Burgenland mit minus 10,3 % und Wien mit minus 8,9%. Die Sperrquote fällt allerdings sehr unterschiedlich aus: Am häufigsten sperrt das AMS Vorarlberg mit 390 Sperren pro 1.000 Arbeitslose und Oberösterreich mit 388 Sperren pro 1.000 Arbeitslose. In der Steiermark ist diese mit 245 Sperren pro 1.000 Arbeitslose am niedrigsten.
Langfristig betrachtet, wurde der Druck auf Arbeitslose mit wachsender Massenarbeitslosigkeit stetig erhöht: 2000 entfielen auf 1000 Arbeitslose „nur“ 250 Sperren, einen vorläufigen Höchststand erreichte der Sanktionsdruck 2008 und 2011 mit 336 bzw. 335 Sperren pro 1000 Arbeitslose. Das heißt: unter Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) wurde die repressive Politik der schwarz-blauen Koalition von Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) – der damals für das AMS zuständig war – nicht nur weiter geführt sondern auch noch weiter verschärft!
Massive Willkür bei den Bezugssperren
Eine nähere Untersuchung der Sanktionspraxis ergibt deutliche Unterschiede. Ist die Spannbreite (prozentuelle Differenz zwischen niedrigstem Wert und höchstem Wert) über alle Sperrgründe hinweg gerechnet bundesweit mit 63% noch moderat. Werden die Sperrquoten bei den verschiedenen Sperrarten untersucht, so wird die Schwankungsbreite deutlich größer, was auf eine recht unterschiedliche und somit willkürliche Handhabung der Bezugssperren hindeutet.
Bei der angeblichen „Vereitelung“ von Arbeitsverhältnissen und Schulungen beträgt diese satte 350% (Kärnten: 18 Sperren p.T. / Vorarlberg 81 p.T.), das heißt in Vorarlberg wird 4,5 mal so oft gesperrt als in Kärnten! Bei den Sperren wegen Selbstkündigung beträgt die Spanne ca. 240% (Wien 54 Sperren p.T. / Vorarlberg 184 p.T.) und bei Terminversäumnissen ca. 180 % (Steiermark 79 Sperren p.T. / Oberösterreich 221 p.T.). Vorarlberg ist im wahrsten Sinne ein „Ausreißer“, da es vor allem bei Sperren wegen Selbstkündigung, deren Ursache am geringsten vom AMS beeinflusst werden kann, am meisten abweicht und ohne Vorarlberg die Spannbreite von 240% auf 137% sinkt.
Dieser Eindruck der Willkür ergibt sich auch bei Betrachtung der zeitlichen Verläufe: Lediglich bei den Sperren wegen Selbstkündigung verlaufen die Kurven der Sperrquote der verschiedenen Bundesländer in etwa gleichförmig, die Rangfolge verändert sich nur selten. Auffallend ist, dass bei den § 10 Sperren, die stark von Bezugssperren wegen Vereitelung von AMS-Zwangsmaßnahmen geprägt werden, starke Änderungen in Sperrquoten und Rangfolgen statt finden und mehr Ausdruck der jeweiligen politischen Wetterlage als der Lage am Arbeitsmarkt sein dürften.
Dass Sanktionen oft willkürlich verhängt werden, entspricht nicht nur unserer durch die Beratung von über 1.000 Arbeitslosen gewonnenen Erfahrung, sondern auch der Tatsache, dass bislang rund 30% der Berufungen statt gegeben wurde, obwohl die zuständige AMS-Landesgeschäftsstelle, also die Vorgesetzten der Täter selbst, darüber entschieden haben!
Kampf gegen rechtswidrige Bezugssperren: Mission Impossible?
Grundsätzliches Problem ist, dass die Sanktionspraxis des AMS mit einem demokratischen Rechtsstaat unvereinbar ist: Der Bezug und somit die Existenzgrundlage wird auf reinen Verdacht hin eingestellt, ohne dass der vom AMS Beschuldigte Gelegenheit zur Stellungnahme („Parteiengehör“) hatte.
Die Arbeitslosen werden nicht über ihre Rechte aufgeklärt, wie jenes auf das Stellen von Beweisanträgen oder dass sie während einer Sperre eventuell Mindestsicherung, reduziert um 25%m, beziehen können. Arbeitslose haben keinen Rechtsbeistand. Selbst bei einer Berufungen, gibt es keine Verfahrenshilfe. Erst beim Verwaltungsgerichtshof gibt es eine Verfahrenshilfe, doch verhindert ein „Neuerungsverbot“ dass nun endlich jene Argumente und Tatsachen, die gesperrte Arbeitslose wegen mangelnder Rechtskenntnis oder wegen der Lähmung durch die akute Existenzbedrohung nicht einbringen konnten, vorgebracht werden können. Arbeitslose ohne Rechtsschutzversicherung oder finanzielle Rücklagen sind daher der AMS-Bürokratie völlig ausgeliefert!
Entsprechend selten kämpfen die im Stich gelassenen Menschen um ihre Rechte: Im Schnitt berufen lediglich 3% der Arbeitslosen gegen AMS-Bezugssperren, bei Sanktionen wegen angeblicher „Vereitelung“ eines Kurses oder Arbeitsverhältnisses immerhin etwa 13% und gegen die Einstellung des Bezuges wegen des Vorwurfs genereller Arbeitsunwilligkeit etwa 9%. Bei einer schikanös kurzen Berufungsfrist von nur 2 Wochen bleibt aber nicht viel Zeit sich um sein Recht zu erkundigen und Hilfe zu suchen.
Bis zum Verwaltungsgericht gehen dann lediglich etwa 30 Arbeitslose im Jahr. Also gerade etwa 1,5% jener, die bei der Berufung keinen Erfolg hatten oder 0,03% der Gesperrten. Drei Viertel davon kommen aus Wien, wer in einem Bundesland lebt, dem nutzt der Verwaltungsgerichtshof so gut wie gar nicht. Die Erfolgsquote ist auch hier etwa 30%, sprich: lediglich 0,01% der Sperren werden beim Verwaltungsgerichtshof korrigiert!
Die internationale Forschung bestätigt: Bezugssperren sind wirkungslos und Schaden mehr als sie nutzen
Auffallend ist, dass es in Österreich nach wie vor keine unabhängige und kritische Untersuchung der Auswirkungen von Bezugssperren gibt, obwohl zahlreiche neuere Studien aus Deutschland oder aus Großbritannien eine sehr destruktive Wirkung von Bezugssperren belegen und durchwegs zu den gleichen Ergebnissen kommen. Die gebetsmühlenartig von Politikern vorgetragenen Mythen, dass sich Menschen nur unter Strafandrohung eine Arbeit suchen würden und Sanktionen daher unbedingt notwendig seien, entpuppen sich da als reine Ideologie zur Verschleierung der realen Herrschafts- und Gewaltverhältnisse.
Sanktionen sind wirkungslos: Die Ansprüche an eine Arbeit verringern sich kaum noch, es kommt weder zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur noch eine „Annäherung an den Arbeitsmarkt“ und schon gar nicht wird die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme einer Beschäftigung erhöht.
Sanktionen belasten finanziell und führen zu einer Sippenhaftung: Sozialen Notlage wird durch neue Schulden verschärft und verlängert. Zahlen muss in erster die Familie; Kinder leiden besonders.
Sanktionen schaden der Gesundheit und der sozialen Integration: Gesundheitliche Belastungen durch Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens: Schlafstörungen und Depressionen sowie psychosomatische Beschwerden (Durchfälle, Beklemmungsgefühle, …) sind häufige Auswirkungen. Bezugssperren können auch zu dauerhaften gesundheitlichen Schäden wie zum Beispiel zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Der Zwang, Geld zu sparen führt erst recht zur sozialen Isolation und zur Abkapselung von der Gesellschaft.
Sanktionen treffen die Falschen, nämlich schlecht gebildete, die sich nicht auskennen und sich daher auch am wenigsten wehren können. Menschen, die aufgrund traumatischer Erfahrungen in der Kindheit oder in der ehemaligen Arbeit angeschlagen sind, werden besonders oft zusätzlich durch Sanktionen weiter demoralisiert und geschädigt.
Sanktionen zerstören Leistungsanreize für die – oft parteinahe – Kursindustrie. Menschen, die permanent in Angst vor Sanktionen leben, trauen sich nicht, ihre Rechte einzufordern. Die Arbeitslosen können so leichter in AMS-Zwangsmaßnahmen gesteckt werden, die grundsätzlich nicht passen oder einfach schlechte Qualität haben und eher der Verfälschung der Arbeitslosenstatistik dienen als wirklich helfen.
Und vor allem: Sanktionen schaffen nicht jene über 500.000 Arbeitsplätze, die fehlen. Sanktionen unterhöhlen daher, so wie bereits die UNO im November 2013 an Österreich kritisiert hatte, das Menschenrecht auf frei gewählte Arbeit.
Das menschenrechtswidrige Sanktionenregime abschaffen!
Das traditionell in Österreich schon immer repressive Sanktionenregime soll offenbar über das Versagen der Politik hinweg täuschen, ausreichend Arbeitsplätze, die auch fair bezahlt und den Fähigkeiten und Interessen der Menschen entsprechen, bereit zu stellen. Aus dem grundlegenden Menschenrecht auf frei gewählte Arbeit macht sie durch das Sanktionenregime die Pflicht, Arbeit um jeden Preis, auch nicht Existenz sichernde prekäre Teilzeitarbeit, anzunehmen und sich auch dann laufend um Arbeit zu bemühen, auch wenn wegen gesundheitlicher Einschränkungen wie zum Beispiel (Teil)Invalidität überhaupt keine Chance auf Erfolg gewähren. Dieser permanente Druck ist eine Form massiver struktureller Gewalt und macht die Menschen, die nicht schuld an den fehlenden Arbeitsplätzen sind, erst recht krank und jobunfit.
Menschen, die Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, werden wie unmündige Sklaven behandelt und durch eine oft willkürlich arbeitende Bürokratie völlig entrechtet und in ihrer Menschenwürde schwer verletzt. Da das AMS Bezugseinstellungen auf reinen Verdacht hin verhängt, besteht de facto eine kafkaeske Beweislastumkehr: Der Beschuldigte muss beweisen unschuldig zu sein um sich seine Existenz zu sichern. (pm)
Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de
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