Schwerbehinderung: So entlarvt man Bewertungsfehler beim GdB Antrag

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Viele Betroffene wissen nicht: Sie dรผrfen die versorgungsรคrztliche Stellungnahme und alle zugrunde liegenden Befunde einsehen โ€“ und kopieren. Das erรถffnet enorme Chancen im Widerspruchsverfahren, etwa bei GdB-Feststellungen, Pflegegrad, Unfall- und Rentenleistungen. Rechtsgrundlage ist ยง 25 SGB X.

Danach muss die Behรถrde Akteneinsicht gewรคhren, wenn die Kenntnis zur Durchsetzung Ihrer Rechte erforderlich ist. Dazu gehรถren ausdrรผcklich auch medizinische Unterlagen, auf die sich die Entscheidung stรผtzt.

Was genau steht Ihnen zu?

ยง 25 SGB X verpflichtet die Behรถrde, Einsicht in die Verfahrensakte zu erlauben. Nur Entwรผrfe und reine Vorarbeiten sind bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens ausgenommen โ€“ nicht aber die versorgungsรคrztliche Stellungnahme, wenn sie als Entscheidungsgrundlage herangezogen wurde.

Medizinische Inhalte dรผrfen nur in Ausnahmefรคllen รผber einen Arzt vermittelt werden, etwa wenn unmittelbare Gesundheitsnachteile drohen; das beschrรคnkt Ihr Einsichtsrecht aber nicht. Und: Sie dรผrfen Auszรผge selbst fertigen, fotografieren oder Kopien verlangen; die Behรถrde kann hierfรผr einen angemessenen Kostenersatz berechnen.

Behรถrden dรผrfen ihre Entscheidung nicht auf Unterlagen stรผtzen, deren Bekanntgabe sie verweigern. Das betonen juristische Kommentare ausdrรผcklich โ€“ die Akteneinsicht kann nicht โ€žins Leereโ€œ laufen, indem wesentliche Belege im Verborgenen bleiben.

Warum die versorgungsรคrztliche Stellungnahme der Schlรผssel ist

Die interne รคrztliche Bewertung (hรคufig โ€žversorgungsรคrztliche Stellungnahmeโ€œ oder โ€žรคrztlicher Dienstโ€œ) prรคgt den Bescheid: Welche Diagnosen wurden anerkannt? Wie wurden Funktionsbeeintrรคchtigungen nach den Versorgungsmedizinischen Grundsรคtzen (VMG) bewertet?

Gerade hier passieren Fehleinschรคtzungen โ€“ etwa, wenn aktuelle Befunde fehlen, Dauerschรคden verharmlost oder Wechselwirkungen mehrerer Leiden nicht zum Gesamtbild (Gesamt-GdB, Pflegebedarf, MdE) zusammengefรผhrt werden.

Wer die Stellungnahme kennt, kann den Widerspruch gezielt auf Lรผcken, Widersprรผche und Bewertungsfehler aufbauen. (Fรผr die Praxis der Aktenรผbersendung/Kopien und typische Modalitรคten verweisen selbst Unfallversicherungstrรคger auf ยง 25 SGB X.)

So kommen Sie an die Unterlagen โ€“ Schritt fรผr Schritt

1. Kurz und klar beantragen:
โ€žHiermit beantrage ich Akteneinsicht nach ยง 25 SGB X in meine vollstรคndige Verwaltungsakte einschlieรŸlich der versorgungsรคrztlichen Stellungnahme und sรคmtlicher Befundberichte/Gutachten, auf die sich der Bescheid bezieht. Bitte รผbersenden Sie mir Kopien bzw. ermรถglichen Sie mir, die Akte vor Ort zu fotografieren.โ€œ

2. Bezug zum Verfahren herstellen:
Nennen Sie Aktenzeichen/Bescheiddatum und den Zweck (โ€žzur Widerspruchsbegrรผndungโ€œ). Das erfรผllt das Merkmal der โ€žErforderlichkeitโ€œ.

3. Format wรคhlen:
Bitten Sie um Kopien/Scans oder um Einsicht vor Ort โ€“ Sie dรผrfen selbst fotografieren; bei Kopien kann die Behรถrde Kostenersatz verlangen. Anwรคlt:innen erhalten Akten oft zur Kanzleieinsicht.

4. Arztvorbehalt aktiv nutzen โ€“ aber nicht akzeptieren, wenn er missbraucht wird:
Besteht die Behรถrde auf โ€žVermittlung durch einen Arztโ€œ, benennen Sie eine/n Vertrauensarzt/-รคrztin. Wichtig: Das beschneidet Ihr Einsichtsrecht nicht; es geht nur um das โ€žWieโ€œ der Kenntnisvermittlung.

5. Frist im Blick:
Die Widerspruchsfrist (meist 1 Monat) lรคuft weiter. Beantragen Sie ggf. Fristverlรคngerung mit Hinweis auf ausstehende Akteneinsicht โ€“ andernfalls fristwahrend Widerspruch einlegen und nach Akteneinsicht begrรผnden. (Allgemeine Verfahrenspraxis; gestรผtzt auf ยง 25 SGB X und Rechtsschutzgrundsรคtze.)

Worauf Sie bei der Auswertung achten sollten

Gezielt prรผfen Darum entscheidend
Diagnosen & Zeitbezug Sind alle Diagnosen enthalten? Liegen sie im maรŸgeblichen Zeitraum? Fehlen aktuelle Arztbriefe/Reha-Berichte?
Funktion statt Diagnose Bewertet wurde nicht โ€žKrankheitโ€œ, sondern Funktionsbeeintrรคchtigung im Alltag/Erwerbsleben. Werden Einschrรคnkungen ausreichend begrรผndet?
VMG-Zitate Verweist die Stellungnahme korrekt auf die Versorgungsmedizinischen Grundsรคtze(Tabellen, Spannen, Kombinationsregeln)?
Gesamtbewertung Wird das Zusammenwirken mehrerer Leiden gebildet (Gesamt-GdB/MdE), statt nur additiv Einzelsรคtze zu wiederholen?
Abweichungen von Befunden Wo weicht die Stellungnahme von Facharztbefunden ab? Gibt es Begrรผndung โ€“ oder nur pauschale Formulierungen?
Widersprรผche/Leerstellen Fehlen Befundberichte, auf die verwiesen wird? Sind Datumsangaben unplausibel? Dokumentieren und monieren!

Typische Abwehrargumente der Behรถrden โ€“ und was dagegen hilft

โ€žInterne Unterlagen/Entwรผrfeโ€œ โ€“ trifft auf die versorgungsรคrztliche Stellungnahme nicht zu, wenn sie Grundlage der Entscheidung ist. Entwรผrfe sind nur bis Abschluss des Verwaltungsverfahrens ausgenommen.

โ€žGesundheitsschutzโ€œ โ€“ dann Vermittlung รผber einen Arzt; Ihr Recht bleibt bestehen, benennen Sie eine/n Vertrauensarzt/-รคrztin.
โ€žKeine Kopien/kein Fotografierenโ€œ โ€“ ยง 25 Abs. 5 SGB X erlaubt eigene Abschriften/Fotos und behรถrdliche Ablichtungen gegen angemessenen Kostenersatz.

Was bringt das im Widerspruch?

Mit Aktenkenntnis lรคsst sich die Begrรผndung prรคzise aufbauen: konkrete Aktenstelle zitieren, Lรผcke benennen (z. B. fehlender Reha-Entlassungsbericht), VMG-Regel anfรผhren, aktuellen Befund beilegen und Neubewertung verlangen.

So erhรถhen Sie die Chancen auf Abhilfe im Vorverfahren โ€“ ohne sofortige Klage. (Diese Vorgehensweise entspricht dem gesetzlich verankerten Akteneinsichtsrecht und der gelebten Verwaltungspraxis.)

Mustertext fรผr Ihren Antrag

Betreff: Antrag auf Akteneinsicht nach ยง 25 SGB X โ€“ [Ihr Name], AZ: [XXXX]

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit beantrage ich Akteneinsicht in die vollstรคndige Verfahrensakte, inklusive der versorgungsรคrztlichen Stellungnahme, aller Befundberichte, eingeholten Gutachten sowie der behรถrdlichen Bewertungsvermerke, auf die sich der Bescheid vom [Datum] stรผtzt.

Bitte รผbersenden Sie mir Kopien/Scans (alternativ: terminieren Sie eine persรถnliche Akteneinsicht; ich fertige eigene Fotoabschriften an).
Die Einsicht ist zur Wahrnehmung meiner Rechte im laufenden Widerspruchsverfahren erforderlich.
Mit freundlichen GrรผรŸen

Fazit

Wer seine Akte kennt, argumentiert besser. Die versorgungsรคrztliche Stellungnahme ist dabei der Dreh- und Angelpunkt โ€“ und kein Geheimdokument. Fordern Sie sie ein, prรผfen Sie kritisch, und untermauern Sie Ihren Widerspruch mit Aktenzitaten, VMG-Bezug und frischen Befunden. Das ist Ihr Recht.