Schwerbehinderung: Gericht stoppt Diskriminierung – 10.000 Euro Entschädigung

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Ein schwerbehinderter Bewerber erhält vom Landesarbeitsgericht (LAG) Köln eine Entschädigung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern zugesprochen. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Arbeitgeber mehrfach gesetzliche Pflichten gegenüber dem Bewerber verletzt hatte. (Az: 10 Sa 286/23)

Die Pflichtverstöße betrafen zentrale Schutzmechanismen für schwerbehinderte Menschen im Bewerbungsverfahren. Die Entscheidung setzt klare Maßstäbe für Arbeitgeber im Umgang mit Bewerbungen von Menschen mit Behinderung.

Versäumnisse beim Umgang mit Schwerbehindertenvertretung

Der Kläger hatte sich bereits im Januar 2022 auf eine Stelle beworben. Der Arbeitgeber nutzte dabei eine digitale Bewerbermanagement-Software („Concludis“), die der Schwerbehindertenvertretung lediglich einen passiven Lesezugang gewährte.

Eine gezielte Benachrichtigung über die eingegangene Bewerbung erfolgte jedoch nicht. Laut dem LAG Köln reicht diese Form der Informationsweitergabe nicht aus, um der gesetzlichen Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung nachzukommen.

Die zuständige Vertrauensperson befand sich zum Zeitpunkt der Bewerbung auf einer Schulung, was dazu führte, dass die Information erst verzögert wahrgenommen wurde.

Auch die Vertreterin sei nicht direkt informiert worden, sondern musste selbstständig die Plattform kontrollieren. Dies widerspricht nach Auffassung des Gerichts dem Wortlaut und dem Sinn des § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX, der eine unmittelbare Unterrichtung verlangt.

Agentur für Arbeit nicht korrekt einbezogen

Ein weiterer Fehler des Arbeitgebers: Die Agentur für Arbeit wurde nicht aktiv und individuell kontaktiert, wie es § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX vorschreibt. Stattdessen ließ der Arbeitgeber über ein externes Dienstleistungsunternehmen eine Stellenanzeige schalten. Die Agentur wurde lediglich auf diesem Weg informiert – ohne gezielte Kommunikation mit einer zuständigen Vermittlungsperson.

Das Gericht machte deutlich: Eine allgemeine Veröffentlichung über ein Online-Portal ersetzt nicht die persönliche Einbindung der Agentur. Nur der direkte Austausch gewährleistet, dass die zuständigen Sachbearbeiter frühzeitig tätig werden können. Ohne diesen Kontakt kann eine erfolgreiche Vermittlung schwerbehinderter Bewerber vereitelt werden.

Betriebsrat ebenfalls nur unzureichend informiert

Auch der Betriebsrat erfuhr nicht aktiv vom Eingang der Bewerbung. Zwar hatte dieser Zugriff auf das digitale Bewerberportal, musste jedoch selbstständig nach neuen Bewerbungen suchen.

Das Landesarbeitsgericht wertete dies als unzureichend: Der Arbeitgeber sei verpflichtet, den Betriebsrat über den konkreten Eingang einer Bewerbung zu unterrichten – und zwar umgehend.

Diese passive Informationspolitik verletze die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und das Prinzip der frühzeitigen Beteiligung. Das Gericht verwies auf die bestehende Praxis, bei der eine individuelle und gezielte Unterrichtung gesetzlich vorgesehen sei – automatisierter Portalzugang genüge nicht.

Mehrere Pflichtverletzungen führen zur Entschädigung

Nach Auffassung der Richter liegt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung vor. Maßgeblich war dabei nicht, ob der Kläger objektiv schlechter qualifiziert war, sondern ob die Verfahren benachteiligend gestaltet wurden. Das Gericht stellte klar: Bereits die Summe der Verfahrensmängel genügt, um eine Diskriminierung zu vermuten – auch ohne direkten Benachteiligungswillen.

Diese rechtliche Bewertung stützt sich auf § 15 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) in Verbindung mit § 164 SGB IX. Die Beweislast lag somit beim Arbeitgeber. Da dieser nicht darlegen konnte, wann genau die Unterrichtungen erfolgt waren und welche Prozesse die Diskriminierung hätten ausschließen können, sprach das Gericht dem Kläger eine Entschädigung zu.

Anspruch auf höhere Entschädigung abgelehnt

Der Kläger hatte im Rahmen einer Anschlussberufung eine höhere Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern gefordert. Er begründete dies mit dem Verhalten des Arbeitgebers im Vorfeld des Prozesses, das von mangelnder Kooperationsbereitschaft geprägt gewesen sei. So habe dieser keine Verantwortung übernommen und Vergleichsgespräche verweigert.

Das Landesarbeitsgericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Es sah in dem Verhalten des Arbeitgebers keinen hinreichenden Grund, über die zugesprochene Entschädigung hinauszugehen. Das Schmerzensgeld in Höhe von 10.510,66 Euro – also zwei Monatsgehältern – sei unter Berücksichtigung der Verstöße angemessen.

Keine Revision – Urteil ist rechtskräftig

Weder die Berufung des Arbeitgebers noch die Anschlussberufung des Klägers hatten Erfolg. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn blieb in weiten Teilen bestehen. Das LAG Köln ließ keine Revision zu, da es sich um eine einzelfallbezogene Entscheidung handelt.

Damit ist das Urteil rechtskräftig. Der Fall verdeutlicht, dass Arbeitgeber beim Umgang mit Bewerbungen schwerbehinderter Menschen höchste Sorgfalt walten lassen müssen – nicht nur in der Auswahlentscheidung, sondern bereits im Bewerbungsprozess.

Warum dieser Fall wichtig ist

Für schwerbehinderte Menschen ist der Zugang zum Arbeitsmarkt häufig durch strukturelle Hürden erschwert. Die gesetzlichen Vorschriften sollen sicherstellen, dass Ihre Bewerbung unter fairen Bedingungen geprüft wird. Arbeitgeber müssen dazu nicht nur Gleichbehandlung versprechen – sie müssen sie auch praktisch gewährleisten.

Der Fall zeigt, dass Gerichte auf die Einhaltung dieser Regeln bestehen und Verstöße empfindlich sanktionieren. Wer gesetzliche Beteiligungspflichten umgeht oder vernachlässigt, riskiert nicht nur Imageschäden, sondern auch hohe Entschädigungszahlungen.

Arbeitgeber müssen Verfahren diskriminierungsfrei gestalten

Das Urteil des LAG Köln unterstreicht, dass formale Gleichbehandlung allein nicht genügt. Nur wer Bewerbungsprozesse transparent, verbindlich und partizipativ gestaltet, erfüllt seine gesetzlichen Pflichten. Die Beteiligung von Agentur für Arbeit, Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat ist nicht optional – sie ist integraler Bestandteil eines rechtmäßigen Bewerbungsverfahrens.

Für Betroffene bietet das Urteil Orientierung: Wer den Verdacht hat, im Bewerbungsverfahren benachteiligt worden zu sein, kann sich auf klare gesetzliche Vorgaben stützen. Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber, sobald erste Hinweise auf eine Diskriminierung erkennbar sind.