Wer den Schritt in den Ruhestand vorbereitet, stรถรt im Rentenantrag auf eine kleine, aber folgenreiche Entscheidung: Soll das Arbeitsentgelt fรผr die letzten Monate bis zum Rentenbeginn hochgerechnet werden โ ja oder nein?
Hinter dieser scheinbar technischen Frage verbirgt sich ein erheblicher Einfluss. Eine unpassende Wahl kann dazu fรผhren, dass Rentenansprรผche dauerhaft geringer ausfallen, und zwar รผber die gesamte Bezugsdauer.
Im Kern geht es darum, welches Einkommen der Rentenberechnung fรผr die letzten drei Monate vor dem Rentenstart zugrunde gelegt wird.
Entweder wird mit den tatsรคchlichen Entgelten gearbeitet, die der Arbeitgeber spรคter meldet, oder die Rentenversicherung rechnet diese drei Monate vorab aus den bisherigen Verdiensten hoch. Welche Variante vorteilhafter ist, hรคngt vom Einzelfall ab โ und genau darin liegt die Schwierigkeit.
Wie die Hochrechnung heute funktioniert
Aktuell wird der Blick auf zwei Grรถรen gerichtet. Maรgeblich sind zum einen die tatsรคchlich erzielten Entgelte in den drei Kalendermonaten vor dem Rentenbeginn. Zum anderen wird ein Zwรถlf-Monats-Durchschnitt gebildet: Was hat die oder der Versicherte in den zwรถlf Monaten zuvor im Durchschnitt verdient? Dieser Durchschnitt dient als Basis fรผr eine mรถgliche Hochrechnung der letzten drei Monate.
Liegt der gebildete Durchschnitt รผber dem tatsรคchlichen Entgelt der letzten drei Monate, fรคllt die Rente mit Hochrechnung in der Regel hรถher aus.
Verdient man in den letzten drei Monaten hingegen mehr als der Durchschnitt der zwรถlf Monate zuvor โ etwa durch Mehrarbeit, Schichtzulagen oder eine Einmalzahlung โ kann die Variante ohne Hochrechnung die bessere sein.
In der Praxis wird die Entscheidung dadurch erschwert, dass die Durchschnittsbildung und die korrekte Zuordnung von Zahlungen (insbesondere von Einmalzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, Bonuszahlungen oder Abschlussprรคmien) durchaus anspruchsvoll sind. Fehler bei der Einschรคtzung sind schnell gemacht und wirken sich dauerhaft aus.
Warum eine falsche Entscheidung teuer werden kann
Die Rentenberechnung ist auf Genauigkeit ausgelegt, kleine Differenzen bei den Entgeltpunkten kรถnnen auf die Monatsrente spรผrbare Auswirkungen haben. Wer die Hochrechnung wรคhlt, obwohl die letzten drei Monate tatsรคchlich besonders gut vergรผtet sind, verschenkt mรถglicherweise Potenzial.
Umgekehrt kann der Verzicht auf die Hochrechnung nachteilig sein, wenn die letzten Monate ausfallen โ etwa wegen reduzierter Arbeitszeit, Krankheit ohne Entgeltfortzahlung oder wegfallender Zuschlรคge.
Weil die Entscheidung die spรคtere Rente รผber die gesamte Laufzeit prรคgt, ist eine sorgfรคltige Betrachtung der individuellen Einkommenssituation unverzichtbar.
Verfahrensfolgen: Warten auf den Bescheid
Zum heutigen Verfahren gehรถrt noch ein weiterer praktischer Aspekt. Wer sich gegen die Hochrechnung entscheidet, erhรคlt den Rentenbescheid erst, wenn der Arbeitgeber die endgรผltigen Entgeltdaten fรผr die letzten Monate an die Rentenversicherung รผbermittelt hat. Das geschieht aus technischen und abrechnungstechnischen Grรผnden oft mit Verzรถgerung.
Die Folge: Der Rentenbescheid trifft nicht selten erst Wochen nach dem eigentlichen Rentenbeginn ein. Auch die erste, mitunter sogar die zweite Rentenzahlung kann sich dadurch verschieben. Fรผr viele Betroffene ist das organisatorisch belastend, weil Planungssicherheit und Liquiditรคt in der รbergangsphase wichtig sind.
Das geplante neue Verfahren: Automatische Hochrechnung fรผr alle
Abhilfe verspricht der Entwurf eines SGB-VI-Anpassungsgesetzes. Er sieht vor, die letzten drei Monate vor Rentenbeginn kรผnftig grundsรคtzlich zunรคchst hochzurechnen โ und zwar einheitlich fรผr alle Versicherten. Die individuelle Entscheidung โHochrechnung: ja oder nein?โ wรผrde damit entfallen.
Diesehat zwei wesentliche Ziele: Zum einen soll der Rentenbescheid frรผhzeitig ergehen kรถnnen, zum anderen soll die Rente pรผnktlich zum Termin ausgezahlt werden. Beides erhรถht die Verlรคsslichkeit des รbergangs in den Ruhestand.
Die Logik dahinter ist schlicht: Eine vorlรคufige Berechnung auf Basis der Hochrechnung schafft Dispositionssicherheit. Niemand muss mehr darauf warten, dass der Arbeitgeber abschlieรend meldet. Gleichzeitig bleibt die Tรผr fรผr Korrekturen offen โ und zwar systematisch.
Schutzmechanismus bei hรถheren tatsรคchlichen Verdiensten
Zentraler Bestandteil des Gesetzesentwurfs ist ein Korrekturmechanismus zugunsten der Versicherten. Zwar wird die Rente zunรคchst mit dem hochgerechneten Entgelt festgesetzt. Sobald der Arbeitgeber die tatsรคchlichen Entgelte meldet, prรผft die Rentenversicherung automatisch neu โ ohne Antrag, ohne zusรคtzliche Hรผrden.
Ergibt diese Prรผfung, dass die Rente aufgrund der tatsรคchlichen Entgelte niedriger wรคre als die bereits laufende hochgerechnete Rente, bleibt es beim hรถheren Betrag. Ein weiterer Bescheid ist in diesem Fall nicht erforderlich.
Ergibt sich hingegen, dass die Rente anhand der tatsรคchlichen Entgelte hรถher ausfallen mรผsste, erlรคsst die Rentenversicherung einen neuen Bescheid, gleicht alle bereits gezahlten Monate durch eine Nachzahlung aus und zahlt fortan die erhรถhte Rente. Das Verfahren ist damit asymmetrisch zugunsten der Versicherten angelegt: Schlechterstellungen werden vermieden, Verbesserungen automatisch realisiert.
Ein Gewinn an Einfachheit und Rechtssicherheit
Das vorgesehene Modell bietet mehrere Vorteile. Erstens steigt die Planbarkeit: Ein frรผher, verlรคsslicher Rentenbescheid und eine termingerechte erste Zahlung reduzieren Unsicherheiten im รbergang.
Zweitens sinkt die Komplexitรคt fรผr Antragstellerinnen und Antragsteller, weil die belastende Vorentscheidung entfรคllt.
Drittens wirkt der Korrekturmechanismus als Sicherheitsnetz, das Einmalzahlungen oder kurzfristige Entgeltspitzen in den letzten drei Monaten angemessen berรผcksichtigt, ohne dass Betroffene dies aktiv verfolgen mรผssen.
Auch aus Verwaltungssicht ist das Verfahren schlรผssig: Die Rentenversicherung kann zรผgig festsetzen und spรคter prรคzisieren, sobald die finalen Daten vorliegen โ mit klaren Regeln, die Benachteiligungen ausschlieรen.
Zeitplan
Der Entwurf sieht vor, das neue Verfahren zum 1. Januar 2027 in Kraft treten zu lassen. Bis dahin bleibt es bei den bekannten Regeln. Wichtig ist: Es handelt sich um einen Gesetzentwurf. Im parlamentarischen Verfahren โ insbesondere in den Beratungen im Deutschen Bundestag โ sind รnderungen mรถglich.
Umfang, Detailregelungen und Zeitplan kรถnnen sich daher noch verschieben. Wer in den kommenden Jahren in Rente geht, sollte die Entwicklung im Blick behalten und Informationen aus verlรคsslichen Quellen heranziehen.
Was Betroffene bis 2027 beachten sollten
Bis zur geplanten Umstellung gilt weiterhin die Eigenentscheidung รผber die Hochrechnung. Wer kurz vor dem Renteneintritt steht, sollte deshalb die Entgeltentwicklung im letzten Jahr vor dem Rentenbeginn realistisch einschรคtzen.
Schwankungen durch Schicht-, Leistungs- oder Funktionszulagen, saisonale Mehrarbeit oder absehbare Einmalzahlungen kรถnnen das Bild maรgeblich verรคndern. Ebenso sind Reduktionen โ etwa beim รbergang in Teilzeit gegen Ende des Erwerbslebens โ relevant.
In der Praxis empfiehlt es sich, die letzten zwรถlf Monate anhand der Entgeltnachweise durchzugehen und die erwarteten tatsรคchlichen Entgelte der letzten drei Monate so gut wie mรถglich zu prognostizieren.
Wo Unsicherheiten bestehen, kann fachkundige Beratung helfen, die Wirkung auf Entgeltpunkte und Rentenhรถhe zu quantifizieren. Damit sinkt das Risiko, eine Entscheidung zu treffen, die sich auf lange Sicht als nachteilig erweist.
Fazit: Mehr Fairness, weniger Bรผrokratie โ aber Geduld ist gefragt
Die geplante automatische Hochrechnung mit nachgelagerter, versichertenfreundlicher Korrektur adressiert zwei Schwรคchen des bisherigen Systems: die Komplexitรคt der Entscheidung im Antrag und die Verzรถgerungen bei Bescheid und Auszahlung.
Sollte das SGB-VI-Anpassungsgesetz in dieser Form in Kraft treten, gewinnt die Rentenberechnung an Einfachheit, Geschwindigkeit und Rechtssicherheit.
Bis zum vorgesehenen Start am 1. Januar 2027 bleibt es jedoch bei der bisherigen Wahlmรถglichkeit, deren Konsequenzen sorgfรคltig abgewogen werden mรผssen. Gerade in dieser รbergangszeit gilt: Wer die eigenen Zahlen kennt und im Zweifel Rat einholt, sichert sich die besten Chancen auf die individuell optimale Rente.




