Witwenrente: Nullrente nach Erbschaft? Was jetzt angerechnet wird

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In Deutschland beziehen Millionen Menschen eine Witwenrente. Weil eigenes Einkommen oberhalb eines Freibetrags zu 40 Prozent auf diese Hinterbliebenenrenten angerechnet wird, kommt es oft zu Kรผrzungen โ€“ im Extremfall bis hin zur sogenannten โ€žNullrenteโ€œ, bei der zwar ein Anspruch besteht, aber keine Auszahlung erfolgt.

In Medienberichten wurde zuletzt von rund 538.000 derart betroffenen Fรคllen gesprochen; die Deutsche Rentenversicherung (DRV) unterscheidet in ihrer Statistik ausdrรผcklich laufende Zahlungen und Nullrenten. Entscheidend ist, was rechtlich als โ€žeigenes Einkommenโ€œ gilt โ€“ und welche Rolle Erbschaften dabei spielen.

Der Grundsatz: Eine Erbschaft ist kein anrechenbares Einkommen

Die klare Antwort auf die hรคufige Frage โ€žIch habe ein Haus oder Geld geerbt โ€“ wird das auf die Witwenrente angerechnet?โ€œ lautet: Nein, die Erbschaft als solche ist kein eigenes Einkommen. MaรŸgeblich ist das Sozialrecht zur Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten: Angerechnet wird nur eigenes, selbst erwirtschaftetes Einkommen.

Ein Nachlass entstammt dem Vermรถgen der verstorbenen Person und ist daher nicht automatisch anrechenbar.

Relevant wird eine Erbschaft erst, wenn sie Ertrรคge abwirft oder durch VerรคuรŸerung steuerpflichtige Gewinne entstehen โ€“ dann handelt es sich um eigenes Einkommen aus Vermรถgen. Rechtsgrundlagen sind ยง 97 SGB VI in Verbindung mit ยง 18a SGB IV; fรผr bestimmte โ€žAlt-Fรคlleโ€œ gilt ยง 114 SGB IV (dazu unten).

Wann aus der Erbschaft anrechenbares Einkommen wird

Sobald die geerbten Werte genutzt oder verwertet werden, flieรŸen unter dem โ€žNeurechtโ€œ (ab 1. Januar 2002) grundsรคtzlich Vermรถgenseinkรผnfte in die Anrechnung ein.

Dazu gehรถren Zinsen aus angelegtem Kapital, Mieteinnahmen aus geerbten Immobilien sowie โ€“ sofern steuerpflichtig โ€“ Gewinne aus privaten VerรคuรŸerungsgeschรคften, etwa beim schnellen Weiterverkauf eines geerbten Hauses innerhalb der Zehn-Jahres-Frist des ยง 23 EStG.

Bei der Ermittlung von Kapitaleinnahmen ist der Sparer-Pauschbetrag als Werbungskostenpauschale zu berรผcksichtigen.

Werden geerbte Vermรถgenswerte hingegen nicht genutzt, entstehen auch keine anrechenbaren Vermรถgenseinkรผnfte. Ein bloรŸer Eigentumsรผbergang โ€“ beispielsweise das geerbte, selbst bewohnte Haus ohne Vermietung oder VerรคuรŸerung โ€“ fรผhrt daher nicht zu einer Kรผrzung der Witwen- oder Witwerrente.

Alt- und Neurecht: Die fรผr viele entscheidende Weichenstellung

Fรผr Hinterbliebene, deren Ehe vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde und bei denen mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren ist, gilt Bestandsschutz (โ€žAlt-Fรคlleโ€œ). In diesen Fรคllen werden โ€“ vereinfacht gesagt โ€“ nur Erwerbseinkommen und bestimmte Erwerbsersatzeinkommen angerechnet; Vermรถgenseinkรผnfte wie Zinsen, Mieten oder Gewinne aus privaten VerรคuรŸerungsgeschรคften bleiben auรŸen vor.

MaรŸgeblich ist ยง 114 SGB IV. Fรผr alle anderen gilt das โ€žNeurechtโ€œ des ยง 18a SGB IV mit der Einbeziehung von Vermรถgenseinkommen. Diese Unterscheidung ist zentral, weil sie darรผber entscheidet, ob Ertrรคge aus einem geerbten Vermรถgen die Rente kรผrzen kรถnnen oder nicht.

Freibetrag und 40-Prozent-Regel: So funktioniert die Anrechnung

Nach dem Sterbevierteljahr โ€“ den drei Kalendermonaten nach dem Sterbemonat, in denen keine Einkommensanrechnung stattfindet โ€“ prรผft die DRV jรคhrlich, ob das eigene Nettoeinkommen den Freibetrag รผbersteigt.

Fรผr den Zeitraum 1. Juli 2025 bis 30. Juni 2026 betrรคgt dieser Freibetrag 1.076,86 Euro pro Monat; fรผr jedes waisenrentenberechtigte Kind erhรถht er sich um 228,42 Euro.

Nur der Teil des Nettoeinkommens, der รผber dem Freibetrag liegt, wird zu 40 Prozent auf die Hinterbliebenenrente angerechnet. Die DRV rechnet dabei mit pauschalen Netto-Werten. Waisenrenten sind grundsรคtzlich von der Einkommensanrechnung ausgenommen.

Praxisbeispiel: Geerbtes Haus, spรคtere Vermietung

Erbt eine Witwe ein schuldenfreies Einfamilienhaus und nutzt es zunรคchst selbst, entsteht kein anrechenbares Vermรถgenseinkommen. Vermietet sie das Haus spรคter, werden die nach Steuerrecht ermittelten Einkรผnfte aus Vermietung und Verpachtung โ€“ nach Abzug der Werbungskosten โ€“ im Neurecht als Vermรถgenseinkommen berรผcksichtigt.

Liegen die so ermittelten Nettoeinkรผnfte insgesamt oberhalb des Freibetrags, reduziert sich die Witwenrente um 40 Prozent des รผbersteigenden Betrags. Unter dem Altrecht blieben diese Vermietungseinkรผnfte unberรผcksichtigt.

Praxisbeispiel: Verkauf der geerbten Immobilie

Wird ein geerbtes Haus innerhalb von zehn Jahren nach Anschaffung durch den Erblasser verkauft und entsteht dabei ein steuerpflichtiger Gewinn, handelt es sich um ein privates VerรคuรŸerungsgeschรคft nach ยง 23 EStG. Unter dem Neurecht ist dieser Gewinn grundsรคtzlich anrechenbares Vermรถgenseinkommen.

Erfolgt der Verkauf dagegen steuerfrei โ€“ etwa, weil die gesetzlichen Voraussetzungen erfรผllt sind โ€“, fehlt es an anrechenbarem Vermรถgenseinkommen. Fรผr Alt-Fรคlle wรคren VerรคuรŸerungsgewinne ohnehin nicht zu berรผcksichtigen.

Erbschaftsteuer und Versorgungsfreibetrag

Erbschaften kรถnnen der Erbschaftsteuer unterliegen. Neben den persรถnlichen Freibetrรคgen gibt es einen besonderen Versorgungsfreibetrag: Ehegatten und eingetragene Lebenspartner erhalten zusรคtzlich 256.000 Euro; Kindern steht ein altersabhรคngiger Versorgungsfreibetrag zu.

Dieser besondere Freibetrag wird allerdings gekรผrzt, wenn dem Hinterbliebenen Versorgungsbezรผge zustehen, die nicht der Erbschaftsteuer unterliegen โ€“ dazu zรคhlen regelmรครŸig gesetzliche Witwen- und Witwerrenten. Grundlage ist ยง 17 ErbStG; die Kรผrzung erfolgt um den kapitalisierten Wert dieser Versorgungsbezรผge nach dem Bewertungsgesetz.

Meldepflichten, Stichtage und typische Fallstricke

Wichtig ist die zeitnahe Information der DRV รผber eigenes, anrechenbares Einkommen oder deutliche Verรคnderungen โ€“ maรŸgeblich ist bei laufenden Renten in der Regel das Nettoeinkommen des vorangegangenen Kalenderjahres; die DRV prรผft und passt jeweils zum 1. Juli an. Das Sterbevierteljahr ist einkommensfrei, erst danach greift die 40-Prozent-Regel.

Wer Vermรถgenseinkรผnfte erzielt โ€“ etwa aus der Vermietung eines geerbten Objekts oder aus Kapitalertrรคgen oberhalb des Sparer-Pauschbetrags โ€“, sollte entsprechende Nachweise bereithalten. Die Erbschaft als solche ist nicht meldepflichtig; meldepflichtig sind aber die aus ihr entstehenden Einkรผnfte, soweit sie nach dem jeweils anwendbaren Recht angerechnet werden.

Fazit: Erben ja โ€“ aber die Ertrรคge entscheiden

Eine Erbschaft kรผrzt die Witwen- oder Witwerrente nicht automatisch. Entscheidend ist, ob und in welcher Rechtslage Vermรถgenseinkรผnfte entstehen. Unter dem Neurecht werden Zinsen, Mieten und steuerpflichtige VerรคuรŸerungsgewinne erfasst; unter dem Altrecht bleiben Vermรถgenseinkรผnfte auรŸen vor.

Neben der sozialrechtlichen Einkommensanrechnung sollten Hinterbliebene die erbschaftsteuerliche Seite im Blick behalten, insbesondere die Kรผrzung des besonderen Versorgungsfreibetrags durch nicht steuerpflichtige Versorgungsbezรผge. Wer unsicher ist, sollte die individuelle Situation โ€“ inklusive Alt-/Neurecht, Freibetrรคgen und Ertrรคgen aus der Erbschaft โ€“ mit der DRV, einem unabhรคngigen Rentenberater oder einem im Sozial- und Erbschaftsteuerrecht versierten Anwalt prรผfen.

Rechtsgrundlagen und weiterfรผhrende Informationen: ยง 97 SGB VI (Einkommensanrechnung), ยง 18a SGB IV (Art des zu berรผcksichtigenden Einkommens), ยง 114 SGB IV (Alt-Fรคlle), ยง 23 EStG (private VerรคuรŸerungsgeschรคfte), ยง 17 ErbStG (Versorgungsfreibetrag), aktuelle DRV-Hinweise zu Freibetrรคgen, Sterbevierteljahr und Rechenbeispielen.