Bürgergeld: Sozialgericht rügte Jobcenter-Mitarbeiter für Lüge und Sozialneid

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Gerichte sind für ihre sachliche Wortwahl bekannt, so sehr, dass juristischen Laien oft erst zwischen den Zeilen “übersetzt” werden muss, wenn sich in trockenen Aussagen Kritik verbirgt.

Harte Worte gegen Übergriffe

Wenn also ein Sozialgericht gegenüber Mitarbeitern eines Jobcenters an die Stelle eines förmlich-behördlichen Sprachgebrauchs direkte harte Worte setzt, dann muss sich das Jobcenter einiges geleistet haben.

In diesem Fall vor dem Sozialgericht Karlsruhe konnten wir die Mischung aus Willkür, Anmaßung und primitiver Übergriffigkeit von seiten des Jobcenters kaum fassen.

Das Sozialgericht Karlsruhe erkannte beim Jobcenter “missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter”. In dem Fall ging es darum, dass das Jobcenter sich weigerte, die Kosten des Umzugs einer Leistungsberechtigten zu übernehmen. Einen sachlichen Grund dafür gab es nicht, so das Gericht. ( 01.10.2014 – S 12 AS 2387/22)

Depressive Mutter und pflegebedürftige Kinder

Eine Mutter von zwei pflegebedürftigen Kindern hatte beim Jobcenter Karlsruhe die Übernahme der Kosten eines Umzugs beantragt. Sie bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II und leidet selbst unter schweren Depressionen.

Die Betroffene hatte die bisherige Mietwohnung gekündigt, um in den Ort Ettlingen zu ziehen – wohlgemerkt in eine deutlich günstigere Wohnung.

Der Grund war, dass ihre eigene Mutter ihr dort gelegentlich unter die Arme greifen und die pflegebedürftigen Kinder hüten konnte.

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Kostenvoranschlag von Speditionsunternehmen

Die Leistungsberechtigte holte drei Kostenvoranschläge von Speditionen ein. Sie erfüllte also dem Jobcenter gegenüber ihre Pflichten, damit ein solcher Antrag genehmigt wird. Es ging dabei um sieben Stockwerke ohne Fahrstuhl, durch die die Möbel geschleppt werden mussten.

Bevollmächtigter soll Möbel schleppen

Doch der zuständige Sachbearbeiter lehnte ab, mit der Begründung, sie solle den Umzug selbst mit Freunden, Familie, Bekannten oder kostengünstigen Alternativen durchführen, zum Beispiel mit studentischen Helfern oder kraitativen Einrichtungen.

Das Jobcenter schlug sogar vor, ihr Bevollmächtigter solle beim Schleppen helfen oder Kartons fahren. Der Sachbearbeiter schrieb wörtlich, das habe sein eigener Rechtsanwalt schon fünfmal geschafft.

Der Sachbearbeiter erwartete zudem, dass die Laienhelfer einen Starkstromherd anschließen würden.

Forderungen des Jobcenters “ohne Substanz”

Die Frau legte erfolglos Widerspruch ein und zog dann vor das Sozialgericht Karlsruhe. Dieses stellte sich eindeutig hinter die Klage und schüttete dem Jobcenter sinngemäß “einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf”.

Das Jobcenter hätte einfach “ins Blaue hinein” geschrieben, denn die isoliert lebende Frau hätte keine Freunde vor Ort, die ihr beim Umzug helfen könnten.

Eine Mithilfe der beiden Brüder, der Schwester und der Großmutter sei ebenfalls nicht möglich. Die Forderung des Jobcenters, Bekannte, Freunde oder Verwandte sollten den Umzug erledigen sei, so das Gericht, “ohne jede Substanz”.

Sachbearbeiter Münchhausen

Das Gericht ging sogar noch weiter und bezeichnete den Sachbearbeiter des Jobcenters als unglaubwürdig.

Er habe nachweislich unwahre Behauptungen zulasten der Klägerin aufgestellt “wegen vermeintlich verfügbarer Umzugshelferangebote der Caritas, wegen des vermeintlich üblichen Stundenlohns studentischer Umzugshelfer, wegen der Mietkosten eines vermeintlich geeigneten Umzugsfahrzeugs und wegen der vermeintlichen Wirtschaftlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Umzugsdienstleistungen.”

Der Umzug spart Kosten der Unterkunft

Tatsächlich so das Gericht, würde die Betroffene dem Jobcenter durch den Umzug monatlich 126,11 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung ersparen.

“Der Umzug ist notwendig und zweckdienlich

Zudem sei der Umzug wegen der psychischen Gesundheit der pflegebedürftigen Tochter notwendig, da diese am aktuellen Wohnort unter Streitereien mit Nachbarskindern leide.

Diese seien so gravierend, dass “polizeiliche Ermittlungen wegen Beleidigung, Körperverletzung, Diebstahl sowie Stalking eingeleitet und eine therapeutische Behandlung der seelischen Folgen veranlasst worden seien”.

Drittens sei der Wechsel nach Ettlingen besonders zweckförderlich, weil die dort lebende Großmutter zeitweilig die Betreuung der Kinder übernehmen könne.

“Einmalige Leistung wird schnell wieder ausgeglichen”

Es sei zwar richttig, so das Gericht, dass Leistungsbezieher Umzugskosten so niedrig wie möglich halten müssten. Doch regele der Paragraf 22 des Sozialgesetzbuches II ganz klar: “Sind Eigenbemühungen aber wegen Alter, Krankheit oder Behinderung nicht zumutbar, müssen die Kosten für ein Umzugsunternehmen übernommen werden.”

Der Betrag für die Spedition von 2.200 Euro sei eine einmalige Aufwendung, die durch die niedrigeren Kosten der Unterkunft bereits nach 17,4 Monaten ausgeglichen seien.

Spott über den Sachbearbeiter

Die Aussage des Sachbearbeiters, sein Rechtsanwalt hätte schon fünfmal einen Umzug durchgeführt, beantwortete das Gericht mit feinem Spott.

So heißt es wörtlich: “Ein Rechtsanwalt stellt regelmäßig einen dreistelligen Stundensatz als Honorar in Rechnung.” Er sei zwar um ein vielfaches teurer als Beschäftigte einer Umzugsfirma, aber nicht notwendig effektiver beim Transportieren von Hausrat.

Profis sind notwendig

Für die Einbauküche seien professsionelle Handwerker nötig, so das Gericht: “Der Ausbau und Einbau (…) erfordert weitergehende handwerkliche Kenntnisse, die im Normalfall weder von einem Leistungsberechtigten noch von dessen freiwilligen oder studentischen Gelegenheitshelfern erwartet werden können.”

Sozialneid des Sachbearbeiters ist unwichtig

Das Gericht nahm an negativer Beurteilung des Verhaltens des Sachbearbeiters kein Blatt vor den Mund: “Die Angemessenheit von Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II bemisst sich nicht nach dem im Einzelfall missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter.”

Das Gericht sah den Mitarbeiter also aufgrund seiner Missgunst nicht in der Lage, nach sachlichem Ermessen zu handeln und seinen Job zu tun: “Bei der behördlichen Ermessensausübung (…) kommt es nicht darauf an, ob Mitarbeiter des zuständigen Jobcenters Menschen im Grundsicherungsbezug generell keine Geldleistungen gönnen, die Jobcenterbeschäftigte ihrerseits als nicht hilfebedürfte Erwerbstätige nicht ebenfalls von der öffentlichen Hand beanspruchen können.”