Arbeitsagentur fordert schriftliche Stellungnahme von Analphabeten und droht mit Arbeitslosengeld-Sperre

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Die Agentur für Arbeit forderte von einem Menschen, der kaum lesen und kaum schreiben kann, eine schriftliche Stellungnahme und drohte ihm eine dreimonatige Sperrzeit beim Arbeitslosengeld an, falls er diese nicht fristgerecht einreiche.

Lese-Rechschreibschwäche und gesetzliche Betreuung

Tom Bruns (Name geändert) ist 21 Jahre alt und geistig behindert. Seine gesetzliche Betreuung erläutert: „Er hat eine Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung besucht. Seit er 2022 dort abgegangen ist, hat er meist gearbeitet. In der Gebäudereinigung und bei Burger King. Aufgrund seines niedrigen Intelligenzniveaus und einer Lese-Rechtschreibschwäche habe ich die Betreuung übernommen. Behördenzusammenhänge versteht er nicht. Auch nicht, wenn ich versuche, sie ihm in einfachen Worten zu erklären.“

Die Betreuerin führt aus: „So hat er mir erst nach rund 5 Wochen erzählt, dass er seinen letzten Job verloren hat. Am gleichen Tag habe ich Arbeitslosengeld beträgt mit dem Hinweis, von dem Umstand erst an dem Tag von dem Jobverlust erfahren zu haben. Er lebte in der Zwischenzeit mit seiner Partnerin von deren Einkommen als Pflegehelferin.“

Anhörungsbogen im Briefkasten

Am Wochenende des 19. Oktobers fand er einen Brief mit einem Anhörungsbogen der Behörde in seinem Briefkasten. Laut Datum war der Brief rund zwei Wochen unterwegs. Die Agentur stellte die Frage, warum Tom sich erst so spät arbeitssuchend gemeldet habe, obwohl die Betreuerin dies bereits im Antrag erklärt hatte.

Gleichzeitig wurde in dem Brief eine dreimonatige Sperre angedroht, sollte Tom keine wichtigen Gründe für die Verspätung nennen können – und das, obwohl er nur etwas lesen und kaum schreiben kann. Seine Betreuerin ergänzt: „Ich als seine Betreuerin habe den Anhörungsbogen nicht erhalten.“

Neuer Job auch ohne Vermittlung

Für Tom bleibt die Forderung der Agentur für Arbeit allerdings ohne Konsequenzen. Er hat selbst initiativ einen neuen Job gesucht und gefunden. Er fängt am 1.11.2025 eine neue Arbeit als Pflegehelfer an, und das in dem Heim, in dem bereits seine Partnerin arbeitet.

Toms Situation steht nicht allen. Immer wieder stoßen wir bei gegen-hartz.de auf ähnliche Fälle, in denen Jobcenter, Agentur für Arbeit oder Sozialamt Menschen mit Einschränkungen zu Unrecht Sanktionen androhen oder diese tatsächlich sanktionieren.

Zu Unrecht deshalb, weil Sanktionen wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht voraussetzen, dass die Betroffenen mitwirken können. Das ist bei Tom Bruns nicht der Fall. Weder versteht er, was die Behörde von ihm verlangt noch kann er den Anhörungsbogen ausfüllen oder ihn auch nur lesen.

So wie Tom geht es vielen Menschen, die Bürgergeld, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe beziehen und psychisch oder geistig eingeschränkt sind. Die Behörden drohen ihnen Strafen an oder sanktionieren sie tatsächlich, obwohl diese Menschen in Wirklichkeit Unterstützung brauchen für das, was sie nicht können.

Fehler der Behörden bedeuten Not für Hilfebedürftige

Solche rechtswidrigen Fehler der Behörden bringen die Betroffenen sehr schnell in existentielle Not. Sie sind hilfebedürftig und darauf angewiesen, dass das soziale System funktioniert. Die Sanktionen stoßen diese Hilfebedürftigen dann in existentielle Not, indem sie ihnen die Mittel entziehen, die sie brauchen, um zu essen, zu trinken oder sich die elementaren Dinge des Alltags zu besorgen.

Den Mitarbeitern der Behörden muss man keine bösen Absichten unterstellen. Sie haben in der Regel keine psychologische oder sozialpädagogische Ausbildung und schlicht nicht die Qualifikation, um die Situation einzuschätzen.

Sie arbeiten nach Schema F und behandeln Menschen mit psychischen oder geistigen Einschränkungen so, als ob sie diese Einschränkungen nicht hätten. Das lässt sich damit vergleichen, einem Menschen, der auf einen Rollator angewiesen ist, Sanktionen anzudrohen, weil er nicht an einer Bergwanderung teilnimmt.

Knallharte Sanktionen für Menschen

Die Ministerin für Arbeit und Soziales, Bärbel Pas, kündigt knallharte Sanktionen für Menschen im Bürgergeld-Bezug an, die wiederholt Termine beim Jobcenter versäumen. Diesen soll das Jobcenter in Zukunft die gesamten Leistungen streichen – nicht nur den Regelsatz für den Lebensunterhalt, sondern sogar die Kosten für Unterkunft und Heizung.

Bas verspricht zwar, dass diese Härten nicht in derselben Form für Bürgergeld-Bezieher mit psychischen oder geistigen Einschränkungen gelten sollen, doch Beispiele wie das von Tom Bruns zeigen, dass die Realität eine andere ist.

Leistungsentzug trifft die Hilflosen

Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die sogenannten Totalsanktionen gerade diejenigen treffen werden, die auf Sozialleistungen am dringendsten angewiesen sind: Menschen, die nicht in der Lage sind, Behördenregeln zu verstehen; psychisch Erkrankte, die keine Termine organisieren können; schwer Depressive, die es in einer akuten Phase nicht einmal schaffen, aus dem Bett aufzustehen.

Zwar werden die Sozialgerichte voraussichtlich die Sanktionen gegen diese Hilfebedürftigen später als die Rechtsbrüche erkennen, die sie sind. Das hilft jedoch den Betroffenen in ihrer akuten Ausweglosigkeit überhaupt nicht, wenn der Sozialstaat sie auf null setzt – statt seine Pflicht zu erfüllen und sich um diese Menschen zu kümmern.