Meinungsfreiheit: Behörden-Kritik erlaubt

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Strafrechtliche Verurteilung wegen Kritik an Ausländerbehörde verstößt gegen Recht auf Meinungsfreiheit
Laut Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen Strafgerichte bei der Beurteilung von Kritik an öffentlichen Stellen insbesondere das Recht auf Meinungsfreiheit berücksichtigen. Es müsse möglich sein, scharf zu kritisieren, ohne dafür staatliche Sanktionen fürchten zu müssen. Das gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit (Aktenzeichen: 1 BvR 444/13 und 1 BvR 527/13).

Mitarbeiter einer Flüchtlingsorganisation kritisierten Ausländerbehörde
Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war die scharfe Kritik von Mitarbeitern einer Flüchtlingsorganisation, die sie anlässlich des „Antirassismustag 2010“ über einen im Internet verliehenen „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“ über das Rechtsamt und eine namentlich genannte Sachbearbeiterin äußerten. Der „Denkzettel“, für dessen Inhalt die betroffenen Mitarbeiter mitverantwortlich waren, kritisierte, dass die Behörde einem Flüchtling absichtlich eine Vortäuschung seiner fachärztlich bescheinigten Gehörlosigkeit unterstellte hatte. Bei einer Stellungnahme im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits seien laut Beschwerdeführern wissentlich vorliegende Fakten ignoriert worden, um die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis des Flüchtlings voranzutreiben. Die Organisation sah darin eine diskriminierende, unmenschliche Umgangsweise mit Flüchtlingen.

Das zuständige Amtsgericht war anderer Meinung und verurteilte die Beschwerdeführer wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) gegen die Sachbearbeiterin. Dass wissentlich Tatsachen und Fakten ignoriert worden seien, sei nicht bewiesen worden. So hätten der Sachbearbeiterin die ärztlichen Stellungnahmen zur Gehörlosigkeit des Flüchtlings nicht vorgelegen. Folglich habe die Frau auch nicht absichtlich Tatsachen ignoriert. Das hätten die Mitarbeiter der Flüchtlingsorganisation bei sorgfältigen Nachforschungen feststellen können, urteilte das Amtsgericht.

Das Landgericht lehnte daraufhin die Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit ab, denn das Gericht sah in den Äußerungen vor allem eine Diffamierung der betroffenen Sachbearbeiterin. Das sei kein legitimes Mittel zur Meinungsbildung.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kam jedoch zu einem anderen Urteil. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und Landgerichts verletzten demnach die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG). Laut BverfG handelte es sich bei den Äußerungen der Mitarbeiter der Flüchtlingsorganisation nicht um Schmähkritik wie insbesondere vom Landgericht angenommen. Eine Schmähkritik zeichne sich einerseits zwar durch überzogene Äußerungen aus, jedoch dürfe andererseits auch nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern vielmehr nur die Diffamierung einer Person beabsichtigt sein. Im vorliegenden Fall bestehe durch die Äußerungen aber stets ein Sachbezug.

Juristische Androhungen gegen das Portal gegen-hartz.de
Jüngst wurden auch gegenüber dem Portal gegen-hartz.de juristische Androhungen seitens einer öffentliche Stelle ausgesprochen. Hintergrund ist die Kritik an einer Entscheidung des Jobcenters Ennepe-Ruhrkreis, nach der einem an Diabetes erkrankten Hartz IV-Bezieher die Kostenerstattung für teure Medikamente verweigert wurde. Die Behörde begründete ihre Entscheidung damit, dass ein diesbezüglich laufendes Verfahren noch keinen rechtskräftigen Beschluss hervorgebracht habe. Gegen-hartz.de widerlegte diese Behauptung und handelte sich dafür eine juristische Drohung des Jobcenters ein.

Zwar liegt in diesem Fall eine zivilrechtliche statt eine strafrechtliche Angelegenheit vor, inhaltlich kann das aktuelle Urteil des BverfG jedoch auch hier Berücksichtigung finden. Gegen-hartz.de wird weiterhin über Missstände im Hartz IV-System berichten und wenn nötig auch gerichtlich für das Recht auf Meinungsfreiheit klagen. (ag)

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