Hartz IV: Regierung kürzt Behinderten-Bezüge

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Hartz IV: Regierung verteidigt Kürzungen von Behinderten

09.09.2011

Während der Sozialverband Deutschland (SoVD) und der Sozialverband VdK ein sofortiges Ende der Benachteiligung von behinderten Menschen anlässlich einer Veröffentlichung eines Gutachtens der Hans Böckler Stiftung zur Neuregelung der Hartz IV Regelbedarfe bei Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe fordert, verteidigte die Bundesregierung in einer Antwort auf die Frage der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping die Kürzungen von behinderten Menschen um monatlich 73 Euro, wenn Erwachsene bei ihren Eltern leben. Denn statt des vollen bei Hartz IV üblichen Regelsatzes von 364 Euro, erhalten Behinderte lediglich 291 Euro monatlich, wenn sie das 25. Lebensjahr überschritten haben und mit anderen Erwachsenen in einem Haushalt leben.

Die Linken Politikerin und Arbeitsmarktexpertin Katja Kipping fragte deshalb im Rahmen einer kleiner Anfrage die Bundesregierung: "Zu welchem Ergebnis ist die Bundesregierung bezüglich der in dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses Hartz IV (Protokollerkärung) zugesagten Überprüfung des Regelsatzes für die Regelbedarfsstufe 3 mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, gekommen bzw. wann ist mit dem Überprüfungsergebnis und dessen gesetzlicher Umsetzung zu rechnen?"

Die Bundesregierung verteidigt Kürzungen
"Die in der Fragestellung angesprochene Protokollerklärung des Vermittlungsausschusses zum Abschluss des Vermittlungsverfahrens für ein Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch nennt für die Überprüfung das anzustrebende Ziel, für Erwachsene mit einer Behinderung, die im Haushalt ihrer Eltern leben, anstelle der Regelbedarfsstufe 3 die Regelbedarfsstufe 1 anzuwenden. Das Verfahren für diese Überprüfung bleibt dabei ebenso offen wie die konkreten Folgewirkungen einer solchen Überprüfung.

Über den Inhalt der Protokollerklärung hinaus gilt es Folgendes zu beachten:
Unter die Regelbedarfsstufe 3 fallen nicht nur behinderte Menschen ab Vollendung des 25. Lebensjahres, sondern bereits ab Vollendung des 18. Lebensjahres. Für eine zusätzliche Differenzierung durch Einführung einer Altersgrenze von 25 Jahren gibt es im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) keine Begründung. Unter die Regelbedarfsstufe 3 fallen ferner beispielsweise auch ältere Menschen, die im Haushalt eines ihrer Kinder leben.

Die für erwachsene Leistungsberechtigte geltenden Regelbedarfsstufen 1 bis 3 knüpfen an dem objektiven Kriterium der Führung eines Haushaltes an. Das Entstehen von Kosten für die Haushaltsführung und deren Verteilung bestimmen die Differenzierung zwischen den drei Regelbedarfsstufen. Wird die Differenzierung danach, ob allein ein Haushalt geführt wird oder aber kein Haushalt geführt wird und damit die Unterscheidung zwischen den Regelbedarfsstufen 1 und 3 für eine leistungsberechtigte Person mit einer Behinderung aufgehoben, dann würde dies Folgendes bedeuten: Behinderte Menschen ohne eigenen Haushalt werden behinderten Menschen mit einem eigenen Haushalt gleichgestellt und damit besser gestellt. Ferner läge eine Ungleichbehandlung mit nicht behinderten Menschen vor.

Beides könnte unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht gerechtfertigt werden. Einbezogen werden muss in einen solchen Vergleich jedoch auch die Regelbedarfsstufe 2. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Benachteiligung von Paarhaushalten kommt, insbesondere von Ehepaaren. Für eine statistisch basierte Ermittlung von Regelbedarfen für Erwachsene in Mehrpersonenhaushalten steht zur Zeit kein Verfahren zur Aufteilung der über die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nur auf Haushaltsebene ermittelbaren Verbrauchsausgaben auf einzelne im Haushalt lebende Erwachsene zur Verfügung.

Vor diesem Hintergrund bestehen aus Sicht der Bundesregierung kurzfristig keine Möglichkeiten für eine Überprüfung der Regelbedarfsstufe 3 mit dem Ziel, für behinderte Menschen, die im Haushalt ihrer Eltern leben, die Regelbedarfsstufe 1 anzuerkennen.

Zur Entwicklung der für eine Überprüfung der Regelbedarfsstufe 3 erforderlichen Verfahren sieht der vom Vermittlungsausschuss in das Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG; Artikel 1 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) aufgenommene § 10 RBEG vor, für die nächste Regelbedarfsermittlung eine konzeptionelle und statistische Weiterentwicklung zu erarbeiten. Ein entsprechender Bericht ist dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Juli 2013 vorzulegen. Er soll auch Vorschläge für die Ermittlung von Regelbedarfen für Erwachsene, die in Mehrpersonenhaushalten leben, enthalten; dies umfasst auch erwachsene behinderte Menschen, die im Haushalt der Eltern leben.

Eine Bewertung der Höhe von Regelbedarfen für im Haushalt der Eltern lebende Erwachsene mit einer Behinderung ist jedoch aus sozialhilferechtlicher Sicht möglich: Die Funktion der Regelbedarfsstufen liegt darin, den für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlichen Lebensunterhalt abzudecken, soweit dieser pauschalierbar ist. Aufgrund der Ermittlung der Regelbedarfe auf der Grundlage von durchschnittlichen Verbrauchsausgaben einkommensschwacher Haushalte handelt es sich dabei um auf Durchschnittswerten beruhende Bedarfe. Dies wiederum bedeutet, dass die Regelbedarfsstufen Durchschnittsbedarfe darstellen und folglich keine individuellen Fallkonstellationen berücksichtigen. Es werden deshalb in den Regelbedarfsstufen beispielsweise keine durch eine Behinderung verursachten zusätzlichen Bedarfe berücksichtigt. Hierfür sieht das SGB XII spezielle Leistungen vor. Sind solche Bedarfe dem von der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abzudeckenden Lebensunterhalt (Lebensunterhaltsbedarf) zuzuordnen, erfolgt eine Bedarfsdeckung über Mehrbedarfe und einmalige Bedarfe. Handelt es sich im Einzelfall um längerfristig oder dauerhaft bestehende und auch über Mehrbedarfe nicht abzudeckende Bedarfslagen, die unabweisbar sind und in ihrer Höhe nachweisbar erheblich von durchschnittlichen Bedarfen abweichen, besteht die Möglichkeit der abweichenden Regelsatzfestsetzung.

Die Regelsätze nach der Regelbedarfsstufe 3 decken damit, ebenso wie die übrigen Regelbedarfsstufen, einen wesentlichen Bestandteil des Existenzminimums ab, nicht jedoch einen darüber hinausgehenden Lebensunterhalt. Sie stellen deshalb auch keinen finanziellen Ausgleich für besondere Bedarfe dar, die durch die Folgen einer Behinderung entstehen. Bedarfe, die zur Verhinderung einer drohenden oder zur Beseitigung oder Milderung einer bestehenden Behinderung und zur Eingliederung von behinderten Menschen in die Gesellschaft erforderlich sind, werden durch Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII abgedeckt.

Eine Anhebung des zu zahlenden Regelsatzes von der Regelbedarfsstufe 3 auf die Regelbedarfsstufe 1 würde deshalb voraussetzen, dass für behinderte Menschen, die weder einen eigenen Haushalt noch mit einem Partner einen gemeinsamen Haushalt führen, in der Durchschnittsbetrachtung ein spezieller und gegenüber anderen Leistungsberechtigten vor allem höherer Lebensunterhaltsbedarf zu unterstellen wäre. Hierfür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.

Zusammengefasst bedeutet dies aus Sicht der Bundesregierung, dass es kurzfristig keine Handlungsmöglichkeiten gibt. Sozialhilferechtlich gibt es keine Begründung für eine Anhebung des Regelsatzes für behinderte Menschen, die unter die Regelbedarfsstufe 3 fallen. Eine ergebnisoffene valide und statistisch unterlegte Überprüfung der Regelbedarfsstufe 3 kann erst erfolgen, wenn für die hierfür erforderliche Regelbedarfsermittlung eine entsprechend dem in § 10 RBEG enthaltenen Auftrag weiterentwickelte Konzeption zur Verfügung steht." (sb, pm, Bundestag)

Bild: Uta Herbert / pixelio.de

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