Hartz IV: Bedarfs- & Einstandsgemeinschaft

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Hartz IV: Bedarfsgemeinschaft und Einstandsgemeinschaft in SGB II und XII
Eine grundsätzliche und umfassende Ausarbeitung für Beratungstellen und enagierte Erwerbslose. Der Beitrag ist von der "Unabhängige Sozialberatung – Beratungs- und Beschwerdestelle für Erwerbslose Bochum" zur Verfügung gestellt worden. Die Begriffe „Bedarfsgemeinschaft“ und „Einstandsgemeinschaft“ (oder „Einsatzgemeinschaft“) werden in der Literatur fälschlicherweise oftmals synonym gebraucht. Gelegentlich wird auch der Begriff „Haushaltsgemeinschaft“ im Sinne von „Einsatz­gemeinschaft“ verwendet. Das hat teils historische Gründe, teils werden im „Ämtersprech“ und dadurch auch im Beratungsdeutsch diese Begriffe falsch eingesetzt.

SGB XII
Das SGB XII selbst kennt die Begriffe „Bedarfsgemeinschaft“ und Einsatzgemein­schaft“ nicht. Die Tatbestände als solche werden geregelt über den § 19 SGB XII: nicht getrennt lebende Ehegatten (und PartnerInnen) stehen füreinander ein und ggf. für Kinder, Kinder nicht für ihre Eltern. Nicht verheiratete Partner in Haushalt sollen nicht besser gestellt werden als Verhei­ratete. Im § 20 SGB XII werden sie über die „Haushaltsgemeinschaft“ des § 36 SGB XII in Anspruch genommen, ebenso die Kinder und alle weiteren MibewohnerInnen, auch nicht verwandte (Vermutung der Bedarfsdeckung, der aber widersprochen wer-den kann). Unter Verwandten entspricht das dem Gedanken der „Familiennotge­meinschaft“.

SGB II – Bedarfsgemeinschaft
Das SGB II führt teilweise neue Begriffe ein und gebraucht teilweise gewohnte Begriffe anders als vom BSHG bisher. Im SGB II wird über den Begriff der „Bedarfsgemeinschaft“ (BG) der Kreis der (potentiell) Leistungsberechtigten definiert. Das sind entweder eine erwerbsfähige hilfebedürftige Person ggf. mit PartnerIn und KinderN oder eine erwerbsfähige hilfe­bedürftige Person unter 25 mit ihren Eltern (ggf. mit PartnerIn) und deren weiteren Kindern. Vereinfachte Faustregel: Vater – Mutter – Kind – und Schluss! Keine Drei-Generationen-BG, keine Onkel-Tanten-BG, auch keine reine Geschwister-BG! Hilfe­bedürftigkeit besteht für jedeN Einzelnen, wenn die Gesamt-BG kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen hat. Das Konstrukt der „Bedarfsgemeinschaft“ soll auch den Nachrang der Grundsicherung sicherstellen.

Zur Bedarfsgemeinschaft können auch Menschen gehören, die selbst gar nicht leis­tungsberechtigt sind (z.B. der über 65jährige Vater). Die Bedarfsgemeinschaft kann sogar durch eine nicht leistungsberechtigte Person begründet sein (z.B. der/die al­leinerziehende erwerbsfähige Studierende, im Grunde BaföG-berechtigt; die Kinder erhalten Sozialgeld nach § 28 SGB II; wäre das studierende Elternteil nicht erwerbs­fähig, so erhielten die Kinder Leistungen nach dem 3. Kap. SGB XII). Die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft (= Abrechnung über ein- und dieselbe BG-Nr.) wird in § 7 SGB II geregelt.

„Eine „Bedarfsgemeinschaft“ ist eine „Berücksichtigungsgemeinschaft“ hinsichtlich des zu ermittelnden Bedarfs, d.h. es wird nicht der Bedarf eines einzelnen, sondern der einer Gruppe ermittelt.“ (Prof. W.Luthe 2005). Das ist allerdings grundsicherungsrechtlich nicht korrekt, da hier der Individualisie­rungsgrundsatz des Grundgesetzes gilt: jeder Mensch hat ein eigenständiges An­recht auf Sicherung des persönlichen Lebensunterhalts, seinen eigenen einzelnen „Bedarf“. Es könnte höchstens heißen: „Gemeinschaft von Einzelbedarfen“. Darauf hat auch das BSG im Nov. 2006 hingewiesen und eine Neugestaltung und Individualisierung der Leistungsbescheide verlangt. Das ist ab dem 1. Juli 2007 auch geschehen – die Bescheide bleiben genau so unzulänglich und schwer durchschau­bar wie zuvor.

SGB II – Einstandsgemeinschaft
Die Einstandsgemeinschaft wird in § 9 „Hilfebedürftigkeit“ geregelt. Dort heißt es:

§ 9 Abs. 2, 3 und 5
(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkom­men oder Vermögen beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Part­ners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Versch­wägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

beachte auch: § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II: „Zur Bedarfsgemeinschaft gehören:
„ … 4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Num­mern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. …“

Zu beachten ist, dass das Einkommen und/oder Vermögen unverheirateter min­derjähriger Kinder NICHT zu berücksichtigen ist zur Deckung der Bedarfe anderer Personen in der BG. Diese Kinder gehören dann zur Haushaltsgemeinschaft (HG) nach § 9 Abs. 5 SGB II. Ihr Einkommen kann nach den Vorschriften der ALG II-V für die Mitglieder der HG eingesetzt werden. Ihr Vermögen allerdings nicht,

Die „uneheliche“ Einstandsgemeinschaft in § 7 Abs. 3 und 3a SGB II
Der Begriff „Einstandsgemeinschaft“ kommt in genau dieser Form m. W. in keinem Gesetzestext vor, sondern wird jeweils umschrieben bzw. durch obergerichtliche Entscheidungen konkretisiert. Voraussetzung ist. dass tatsächlich die Sorge für die Gemeinschaft vorrangig wahrgenommen wird vor der Befriedigung eigener Bedürf­nisse oder der Erfüllung eigener Verpflichtungen. Ein Liebesverhältnis und/oder ein sexuelles Verhältnis gehören nicht zu den Voraussetzung. Für die Trennung einer solchen „Gemeinschaft“ bedarf es keinerlei Formalitäten. Synonyme können sein: Einstehensgemeinschaft, Verantwortungsgemeinschaft. Einsatzgemeinschaft, eheähnliche Einstandsgemeinschaft, Einstandspartnerschaft …

Sich-füreinander-verantwortlich-Fühlen, durch innere Bindungen von einer Intensität, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner auch für den Lebensunterhalt des ande­ren als selbstverständlich erscheinen lassen. Hier wird es sicherlich noch viel Streit geben bis zum Bundesverfassungsgericht, ebenso um den sog. „Stiefkinderunterhalt“ in der „unehelichen Lebensgemeinschaft“. Auch in der Vergangenheit gab es bereits einige Entscheidungen zum Sachverhalt:

Bundesverfassungsgericht:
Mit dem Begriff "eheähnliche Gemeinschaft" in § 137 Abs. 2 AFG (Vorläufer des SGB III) ist bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift eine Lebensgemein­schaft zwischen Mann und Frau gemeint, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.

Bundesgerichtshof:
Eine eheähnliche Gemeinschaft setzt eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraus, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegensei­tiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Gleichgeschlechtliche und ihrer Art nur vorübergehend angelegte Partnerschaften scheiden damit von vornherein aus.

Bundesverwaltungsgericht:
Eine eheähnliche Gemeinschaft i.S.d. § 122 Satz 1 BSHG liegt nur dann vor, wenn sie als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und sich – im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – durch innere Bindun­gen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründen.

Bundesverfassungsgericht:
Mit dem Begriff "eheähnliche Gemeinschaft" in § 137 Abs. 2 AFG ist bei verfas­sungskonformer Auslegung der Vorschrift eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau gemeint, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemein­schaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehun­gen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Gemeinschaften zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern oder Verwandten fallen nicht unter diesen Begriff. (BVerfG, Urt. v. 17 November 1992 – 1 BvL 8/87; BVerfGE 87, 234; NJW 1993, 643; JZ 1993, 144, mit Anm. Seewald, Otfried, 148)

Bundesgerichtshof:
Eine eheähnliche Gemeinschaft setzt eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraus, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegensei­tiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Gleichgeschlechtliche und ihrer Art nur vorübergehend angelegte Partnerschaften scheiden damit von vornherein aus.
(BGH, Urt. v. 13 Januar 1993 – VIII ARZ 6/92; BGHZ 121, 116; NJW 1993, 999; JZ 1993, 950, mit Anm. Medicus, Dieter, 952, JR 1993, 503, mit Anm. Haase, 506, Heinz, Karl Eckhart, JR 1994, 89; ZMR 1993, 261, m. Anm. Merschmeier, Andreas, ZMR 1994, 13; FuR 1993, 156, mit Anm. Finger, Peter, 159)

Bundesverwaltungsgericht:
Eine eheähnliche Gemeinschaft i.S.d. § 122 Satz 1 BSHG liegt nur dann vor, wenn sie als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und sich – im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – durch innere Bindun­gen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründen (im Anschluss an BVerfGE 87, 234 [264 f.] – Aufgabe der bisherigen Rechtspre­chung). (BVerwG, Urt. v. 17 Mai 1995 – 5 C 16.93; BVerwGE 98, 195; NJW 1995, 2802; DÖV 1995, 865; DVBl. 1995, 1184; FamRZ 1995, 1352; ZfSH/SGB 1995, 640; FEVS 1996, 1; MDR 1996, 216; Anm. Schellhorn in FuR 1995, 311)

Bemerkenswert erscheinen auch folgende Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (201/202):
„In Anbetracht der Rechtsprechung einiger Oberverwaltungsgerichte (vgl. …), dem Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft sei der Einwand abgeschnitten, er unter­stütze den bedürftigen Partner nur vorschussweise anstelle des nicht oder nicht rechtzeitig leistungsbereiten Sozialhilfeträger (zur grundsätzlichen Beachtlichkeit dieses Einwands im Sozialhilferecht vgl. BVerwGE 90, 154 [156]; 98, 18 [19 f.]), sieht sich der Senat schließlich zu folgendem Hinweis veranlasst: Die Intention, bedarfs­deckende Leistungen für den Lebensunterhalt eines anderen nur vorschussweise im Wege der „Nothilfe“ anstelle des Sozialhilfeträgers zu erbringen, ist unvereinbar mit der Annahme einer eheähnliche Gemeinschaft. Denn diese ist geprägt durch das Sich- füreinander- verantwortlich- Fühlen, durch innere Bindungen von einer Intensität, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner auch für den Lebensunterhalt des anderen als selbstverständlich erscheinen lassen.

Ist der vermögende Partner hierzu nicht bereit, sondern allenfalls zu einer darlehensweisen Überbrückungshilfe, so besteht – wie im Falle der Verwendung des Einkommens ausschließlich zur Befriedigung eige­ner Bedürfnisse oder zur Erfüllung eigener Verpflichtungen (BVerfGE 87, 234, 8265]) – eine eheähnliche Gemeinschaft noch nicht oder nicht mehr.“ * siehe dazu: OVG Mannheim, Urt. v. 14 April 1997 – 7 S 1816/95; FEVS 1998, 29; ZFSH/SGB 1998, 471
OVG Lüneburg, Beschl. v. 26 Januar 1998 – 12 M 345/98; FEVS 1998, 545, OVG Saarlouis, Beschl. v. 03 April 1998 – 8 V 4/98; FEVS 1998, 557, VGH München, Beschl. v. 01 Juli 1998 – 12 CE 98.1061; FEVS 1999, 107, o OVG Schleswig, Beschl. v. 02 Januar 2002 – 2 M 104/01; FEVS 2003, 166, VGH München, Beschl. v. 16 Januar 2002 – 12 CE 01.2310; FEVS 2002, 550; BayVBl. 2003, 179

Synonyme: Einstehensgemeinschaft, Verantwortungsgemeinschaft. Wirtschaftsgemeinschaft, eheähnliche Einstandsgemeinschaft, Einsatzgemeinschaft, Sich-füreinander-verantwortlich-Fühlen, durch innere Bindungen von einer Intensität, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner auch für den Lebensunterhalt des anderen als selbstverständlich erscheinen lassen. (Stand Mai, 03.05.2009)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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