Minusrunde bei der Grundsicherung nach § 28a SGB XII rechtswidrig

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Seit dem 1. Januar 2025 werden Geflüchteten, die Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen, spürbar geringere Geldbeträge ausgezahlt als noch 2024.

Die Bundesregierung verweist auf die Regelbedarfsstufen‑ Fortschreibungsverordnung 2025 (RBSFV 2025): Bei der turnusmäßigen Fortschreibung seien diesmal rechnerisch niedrigere Euro‑Beträge herausgekommen. Deshalb – so die amtliche Lesart – müsse das Existenzminimum von Asylsuchenden abgesenkt werden.

Warum wird im Bürgergeld und in der Sozialhilfe nicht gekürzt?

Für Empfängerinnen und Empfänger nach dem SGB II und SGB XII greift eine sogenannte Besitzstands‑ oder Bestandsschutzklausel. § 28a Absatz 5 SGB XII verbietet Kürzungen: Liegt die neue Berechnung unter dem Vorjahreswert, bleibt der alte Betrag in Kraft, bis eine spätere Fortschreibung wieder steigt. Deshalb gilt für das Bürgergeld 2025 das Niveau von 2024 unverändert fort.

Gilt der Bestandsschutz nicht auch im AsylbLG?

Der Wortlaut von § 3a Absatz 4 AsylbLG verweist ausdrücklich auf „die Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der RBSFV“. In der Gesetzesbegründung hatte der Bundestag bereits 2014 betont, alle „Berechnungsregeln“ des § 28a müssten im AsylbLG „exakt nachvollzogen“ werden. Damit ist – jedenfalls grammatikalisch und systematisch – auch die Besitzstandsklausel des Absatzes 5 erfasst.
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Wie haben die Gerichte auf die Kürzung reagiert?

1. Sozialgericht Marburg (14. 02. 2025, S 16 AY 11/24 ER): stellte fest, dass § 28a Abs. 5 SGB XII unmittelbar anzuwenden ist und die Kürzung daher rechtswidrig sei.

2. Sozialgericht Halle (17. 03. 2025, S 17 AY 3/25 ER): schloss sich dieser Auffassung in einem Eilverfahren an und verpflichtete den Landkreis, die Vorjahressätze weiterzuzahlen.

3. Sozialgericht Stuttgart (25. 03. 2025, S 9 AY 4251/23): bestätigte in einem Hauptsacheurteil, dass die Nichtanwendung des Besitzschutzes gegen das Gesetz verstößt; den Klägern wurden Nachzahlungen zugesprochen.

Die Richterinnen und Richter argumentieren einhellig: § 28a Abs. 5 sei eine „Berechnungsregel“, die durch den Verweis des § 3a Abs. 4 AsylbLG vollumfänglich übernommen werde. Damit sei eine Absenkung der existenzsichernden Leistungen für Asylsuchende gesetzlich ausgeschlossen.

Welche Folgen hat das für Betroffene – und für die Sozialämter?

Rechtlich besteht ein Anspruch darauf, dass die Beträge aus 2024 weitergewährt werden, bis eine künftige Fortschreibung wieder steigende Werte liefert. Behörden, die dennoch gekürzt haben, verstoßen gegen Bundesrecht.

Betroffene können deshalb binnen eines Jahres nach Zugang ihres Bescheids Widerspruch einlegen und, falls nötig, Klage vor dem Sozialgericht erheben. Auch schon bestandskräftige Bescheide lassen sich unter Umständen mit einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X abgeschwächt noch korrigieren.

Die ersten Eilentscheidungen zeigen, dass Gerichte bereit sind, eine vorläufige Auszahlung anzuordnen, sobald eine existenzielle Unterdeckung plausibel gemacht wird.

Für die Kommunen bedeutet dies nicht nur erhebliche Rückstellungen für mögliche Nachzahlungen. Es droht auch ein Flickenteppich divergierender Verwaltungs‑ und Gerichtspraxis, solange keine höchstrichterliche Klärung vorliegt. Einige Behörden haben die Kürzung bereits ausgesetzt, andere warten auf eine Revision durch die Landessozialgerichte.

Könnte der Gesetzgeber die Lücke nachträglich schließen?

Technisch wäre eine Klarstellung im AsylbLG möglich, die den Besitzstandsschutz ausdrücklich ausschließt. Ein solcher Schritt hätte jedoch verfassungsrechtliche Fallstricke: Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass das physische und soziokulturelle Existenzminimum „realitätsgerecht“ gedeckt wird. Ob eine pauschale Leistungskürzung bei ohnehin knapp bemessenen AsylbLG‑Sätzen diesem Maßstab genügte, ist zweifelhaft – zumal die Bundesregierung selbst für Bürgergeld‑Beziehende eine Erhöhung als erforderlich ansah.
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Wie geht es jetzt weiter?

Die betroffenen Sozialgerichte haben den Ball faktisch an die Landes‑ und Bundesbehörden zurückgespielt. Widersprüche und Eilverfahren werden die Instanzen in den kommenden Monaten beschäftigen. Sollte ein Landessozialgericht die Rechtsauffassung der ersten Instanz bestätigen, ist mit einer Sprungrevision zum Bundessozialgericht zu rechnen.

Experten wie der Rechtsanwalt Sven Adam aus Göttingen gehen davon aus, dass die Bundesregierung spätestens dann politisch reagieren muss – sei es durch eine Anpassung der Verordnung, eine Gesetzesänderung oder die Anerkennung der Besitzstandsklausel.

Bis dahin gilt: Wer ab 1. Januar 2025 gekürzte AsylbLG‑Beträge erhält, sollte die Bescheide genau prüfen lassen. Der Anspruch auf das Existenzminimum endet nicht an der Unterkunftstür – auch nicht in einer „Minusrunde“.