Wenn eine Krankenkasse die Krankengeldzahlung einstellt, kann das fรผr viele Versicherte zu erheblichen Problemen fรผhren. Daher ist es umso wichtiger zu wissen, wie man sich gegen eine unrechtmรครige Einstellung wehren kann. Ein aktuelles Beispiel liefert ein Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Wรผrttemberg ย (Aktenzeichen: L 5 KR 3444/24 ER-B).
Dort wurde eine Krankenkasse verpflichtet, einem Versicherten vorlรคufig weiter Krankengeld auszuzahlen, nachdem die Zahlung zuvor eingestellt worden war. Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte erlรคutert.
Was war der Grund des Verfahrens?
Im konkreten Fall war ein Versicherter wegen psychischer Beschwerden arbeitsunfรคhig geschrieben. Der Medizinische Dienst (MD) bestรคtigte im April 2024 nach persรถnlicher Untersuchung zunรคchst die Arbeitsunfรคhigkeit.
Monate spรคter, im September, kam der MD auf Anfrage der Krankenkasse jedoch zu einer gegenteiligen Einschรคtzung โ ohne den Betroffenen erneut zu untersuchen.
Warum kommt es hรคufig zur Einstellung des Krankengeldes?
In der Praxis treten immer wieder Fรคlle auf, in denen die Krankenkasse das Krankengeld einstellt, obwohl die Betroffenen sich noch arbeitsunfรคhig fรผhlen. Die Grรผnde dafรผr sind vielfรคltig und lassen sich oft auf Zweifel der Krankenkasse oder des Medizinischen Dienstes zurรผckfรผhren. Insbesondere kรถnnen folgende Punkte eine Rolle spielen:
- Zweifelhafte oder fehlende Nachweise รผber die fortdauernde Arbeitsunfรคhigkeit.
- Zweifel an der formellen Ordnungsmรครigkeit der Arbeitsunfรคhigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen).
- Unzureichende Mitwirkung des Versicherten bei der Aufklรคrung des Sachverhalts, beispielsweise wenn geforderte Unterlagen nicht beigebracht werden.
- Bewertungen des MD, die auf Aktenlage basieren, ohne dass eine erneute persรถnliche Untersuchung durchgefรผhrt wird.
Im genannten Fall stellt sich zudem heraus, dass die Krankenkasse nicht ausreichend versucht hatte, den Sachverhalt genauer zu ermitteln. Stattdessen verlieร sie sich auf eine kurze Stellungnahme des MD, in der unterstellt wurde, dass keine wesentlichen Grรผnde fรผr eine fortdauernde Arbeitsunfรคhigkeit bestรผnden.
Welche Rolle spielt der Medizinische Dienst (MD) bei der Beurteilung der Arbeitsunfรคhigkeit?
Der MD muss medizinische Fragestellungen fรผr die Krankenkasse zu bewerten. Oft zieht die Krankenkasse den MD hinzu, wenn Unklarheiten รผber die Arbeitsunfรคhigkeit bestehen oder wenn sie eine zweite Meinung benรถtigt. Dabei sollte der MD den Patienten persรถnlich untersuchen und sich ein eigenes Bild vom Gesundheitszustand machen. Im vorgestellten Fall hatte der MD jedoch beim zweiten Mal lediglich die Aktenlage geprรผft, was das LSG Baden-Wรผrttemberg als โvollkommen unbrauchbarโ bezeichnet hat.
Wann und wie kann eine einstweilige Anordnung beantragt werden?
Wer als Versicherter der Meinung ist, dass die Krankengeldzahlung zu Unrecht eingestellt wurde, kann gegen den Bescheid Widerspruch einlegen. Zugleich kann beim Sozialgericht ein Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt werden, sofern eine akute finanzielle Notlage droht.
Im konkreten Fall hatte der Versicherte den Eilantrag zunรคchst beim Sozialgericht Freiburg gestellt, das den Antrag ablehnte, weil es eine ausreichende finanzielle Absicherung durch Ehegattenunterhalt sah. Erst durch eine Beschwerde beim Landessozialgericht Stuttgart wurde dem Antrag stattgegeben, sodass die Krankenkasse verpflichtet wurde, das Krankengeld vorlรคufig weiter zu zahlen.
Welche Besonderheiten zeigt das Beispiel des LSG Baden-Wรผrttemberg?
Der Beschluss des LSG Baden-Wรผrttemberg vom 18.12.2024 hebt besonders hervor, dass Krankenkassen und der MD eine ordnungsgemรคร durchgefรผhrte Untersuchung vorweisen mรผssen, bevor sie die Zahlung von Krankengeld einstellen. Dies gilt vor allem in Fรคllen, in denen eine langwierige psychische Erkrankung wie Depression im Raum steht.
Darรผber hinaus stellte das Gericht klar, dass AU-Bescheinigungen nicht an ein bestimmtes Formular gebunden sind. Es genรผgt, dass ein Arzt โ auch wenn er nicht Vertragsarzt ist โ die Arbeitsunfรคhigkeit nachvollziehbar bescheinigt. Die Krankenkasse hatte hier Zweifel angemeldet, die jedoch vom Gericht zurรผckgewiesen wurden.
Der Einwand der Krankenkasse, die Bescheinigungen entsprรคchen nicht den formalen Vorgaben, wurde verworfen.
Das LSG betonte, dass die Krankenkasse erst dann an der Wirksamkeit der AU-Bescheinigung zweifeln kรถnne, wenn tatsรคchlich wesentliche Mรคngel vorlรคgen oder keine medizinische Begrรผndung ersichtlich sei.
Wie werden die Mitwirkungspflichten des Versicherten und die Aufklรคrungspflichten der Krankenkasse beurteilt?
Der Versicherte ist verpflichtet, an der Aufklรคrung des Sachverhalts mitzuwirken und die fรผr die Leistungsgewรคhrung erforderlichen Unterlagen einzureichen. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass er รคrztliche Atteste beschaffen und gegebenenfalls Zusatzinformationen einholen muss, sofern dies zumutbar ist.
Gleichzeitig entbindet diese Mitwirkungspflicht die Krankenkasse jedoch nicht davon, den Sachverhalt selbst aufzuklรคren. Insbesondere muss der MD bei Unklarheiten eine persรถnliche Untersuchung veranlassen, bevor eine Entscheidung zum Nachteil des Versicherten getroffen wird.
Gerade wenn die behandelnden รrzte ihrer Pflicht zur Vorlage von Befunden nicht nachkommen, kann dies nicht zu Lasten des Versicherten gehen. Ein ergรคnzendes medizinisches Gutachten muss dann vonseiten der Krankenkasse in Auftrag gegeben werden.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Beschluss fรผr Versicherte?
Der Beschluss des LSG Baden-Wรผrttemberg zeigt, dass die Gerichte hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung stellen. Versicherte sollten wissen, dass sie:
- Sich gegen eine voreilige Einstellung des Krankengeldes zur Wehr setzen kรถnnen.
- Auch formlos erstellte รคrztliche Bescheinigungen als Nachweis ihrer Arbeitsunfรคhigkeit nutzen kรถnnen.
- Nicht alleine die Beweislast tragen, sondern auch die Krankenkasse aktiv aufklรคren muss.
- Bei einer drohenden finanziellen Notlage eine einstweilige Anordnung beantragen sollten.
Wie lรคsst sich die Krankengeldzahlung effektiv sichern?
Eine gute Vorbereitung ist ausschlaggebend: Wer lรคngerfristig erkrankt ist, sollte regelmรครig mit dem behandelnden Arzt die notwendigen Unterlagen abstimmen und auf eine lรผckenlose Dokumentation achten. Befindet sich der Versicherte bereits im Streit mit der Krankenkasse, kann der Gang zum Fachanwalt fรผr Sozialrecht helfen. Dieser begleitet den Prozess des Widerspruchs oder die Beantragung einer einstweiligen Anordnung vor dem Sozialgericht.
So zeigt das Beispiel aus Baden-Wรผrttemberg, dass sich Versicherte keinesfalls mit einer schnellen Ablehnung des Eilantrags zufriedengeben mรผssen. Ein weiterfรผhrender Beschwerdeweg kann durchaus erfolgreich sein und zur vorlรคufigen Weiterzahlung von Krankengeld fรผhren.
Fazit aus dem Urteil
Der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Wรผrttemberg verdeutlicht, dass eine sorgfรคltige medizinische Prรผfung notwendig ist, bevor eine Krankengeldzahlung eingestellt wird. Weder eine auf bloรer Aktenlage beruhende Stellungnahme des Medizinischen Dienstes noch formale Einwรคnde gegen AU-Bescheinigungen genรผgen, um das Krankengeld zu entziehen.
Fรผr Versicherte, die von einer unberechtigten Leistungseinstellung bedroht sind, bleibt festzuhalten, dass rechtliche Schritte durchaus erfolgversprechend sein kรถnnen. Wer konsequent Widerspruch einlegt und gegebenenfalls die Gerichte anruft, wahrt seine Chance auf eine faire Prรผfung des eigenen Leistungsanspruchs.