Ein Bürgergeld-Bezieher verlor vor Gericht auf ganzer Linie. Er meldete Zuflüsse nicht, griff den falschen Bescheid an und scheiterte schließlich an der Form seines Widerspruchs. Am Ende standen eine Rückforderung von 4.061,10 Euro und monatliche Aufrechnungen von 133,80 Euro.
Die Urteile zeigen: Meldepflicht, Fristen und Form sind im SGB-II-Verfahren knallhart. Hier lesen Sie, was die Gerichte entschieden und welche Regeln Sie unbedingt beachten müssen.
Inhaltsverzeichnis
Warum das Jobcenter Geld zurückforderte
Der Mann (Jahrgang 1986, GdB 100) erhielt Leistungen nach dem SGB II. Auf seinem Konto tauchten Einzahlungen auf. Er erklärte, die Mutter habe ihm Geld für Motorroller, Führerschein und eine Inspektion überwiesen; außerdem habe er Geld aus Online-Umfragen erhalten. Diese Zuflüsse meldete er dem Jobcenter jedoch nicht rechtzeitig.
Das Amt nahm deshalb Leistungen zurück und forderte 4.061,10 Euro zurück. Zudem setzte es eine monatliche Aufrechnung in Höhe von 133,80 Euro fest. Das entspricht 30 Prozent des damaligen Regelbedarfs für Alleinstehende im Jahr 2021 (446 Euro × 0,30 = 133,80 Euro).
Hintergrund: Als Einkommen zählt grundsätzlich alles, was in Geld zufließt – auch Geldgeschenke –, sofern das Gesetz keine Ausnahme vorsieht. Ob und inwieweit Schenkungen anrechenbar sind, hängt vom Einzelfall ab. Die aktuelle Rechtsprechung hat dabei enge Kriterien formuliert.
Frist verpasst, Bescheid verwechselt – und schon ist der Widerspruch weg
Gegen die Rückforderung legte der Betroffene verspätet Widerspruch ein. Die Behörde wertete das Schreiben deshalb als Überprüfungsantrag. Später griff der Mann einen Folge-Bescheid über die Aufrechnung von 133,80 Euro an.
Vor dem Sozialgericht Darmstadt wurde diskutiert, ob sich die Klage nicht in Wahrheit gegen den früheren Aufhebungs- und Erstattungsbescheid richtet. Das Gericht befasste sich in verbundenen Verfahren mit beiden Bescheiden (S 1 AS 580/21, S 1 AS 174/22). Es hielt die Aufrechnung im Ergebnis für zulässig.
Der Fall landete anschließend beim Hessischen Landessozialgericht. Die Richter stellten klar: Der Kläger habe mehrfach ausdrücklich den Aufrechnungsbescheid vom 6. Juli 2021 angegriffen.
Der sogenannte Meistbegünstigungsgrundsatz erlaubt es nicht, einfach den Klagegegenstand auszutauschen. Die Aufrechnung blieb bestehen (Az.: L 6 AS 357/23).
Die Widerspruchsfrist beträgt grundsätzlich einen Monat ab Bekanntgabe des Bescheids. Fehlt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung oder ist sie fehlerhaft, gilt eine Jahresfrist. Diese Regeln sind klar im Sozialgerichtsgesetz verankert.
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Bescheid prüfenForm ist Pflicht: Widerspruch per einfacher E-Mail zählt nicht
Der Mann legte außerdem Widerspruch per E-Mail ein – ohne qualifizierte elektronische Signatur. Später schickte er die E-Mail erneut, diesmal mit eingescanntem Namenszug. Beides genügt nicht.
Das Hessische Landessozialgericht stellte unmissverständlich klar: Ein elektronischer Widerspruch ist nur wirksam, wenn er qualifiziert elektronisch signiert oder als abgesenderauthentifizierte De-Mail versandt wird. Eine einfache E-Mail – auch mit Scan der Unterschrift – wahrt die Schriftform nicht. Das entspricht der Rechtslage nach § 36a SGB I und ständiger Rechtsprechung.
Die Richter betonten: Die Behörde hatte über die zulässigen Wege der elektronischen Einlegung ausreichend informiert. Eine noch ausführlichere Belehrung würde die Rechtsmittelbelehrung überfrachten. Mit Unwissenheit lässt sich die Formverletzung nicht heilen.
Meldepflicht bei Geldzuflüssen: Was gilt konkret?
Grundsatz: Zuflüsse sind zu melden. Nach § 11 SGB II zählen Einnahmen in Geld als Einkommen, soweit keine gesetzliche Ausnahme greift. Das betrifft auch Überweisungen von Dritten, Bargeldeinzahlungen oder Einnahmen aus Nebenaktivitäten.
Ob einzelne Zuwendungen anrechnungsfrei sind, entscheidet die Rechtslage im Detail. Das Bundessozialgericht hat 2024 die Grenze eng gezogen und klargestellt, dass nur bestimmte zweckgebundene Zuwendungen ausnahmsweise nicht anzurechnen sind. Sie müssen die Lage nicht „so günstig“ beeinflussen, dass Bürgergeld daneben ungerechtfertigt wäre.
Praxisrelevant ist außerdem die Verteilung einmaliger Einnahmen und die Aufrechnung bestandskräftiger Rückforderungen. Bei Aufrechnungen gilt eine gesetzliche Obergrenze; im streitigen Zeitraum lag diese Grenze bei 30 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfs. Genau diese 30 Prozent setzte das Jobcenter hier an.
So sichern Sie Ihre Ansprüche – in der richtigen Reihenfolge
- Sofort melden: Informieren Sie das Jobcenter schriftlich über jede Zahlung, die auf Ihr Konto fließt. So vermeiden Sie Rückforderungen und Sanktionen. Verlangen Sie eine Eingangsbestätigung. (Rechtsgrundlage: § 11 SGB II).
- Frist prüfen: Ab Zustellung läuft die Ein-Monats-Frist für den Widerspruch. Fehlt die Belehrung oder ist sie falsch, haben Sie bis zu einem Jahr Zeit. Lassen Sie die Frist im Zweifel fachkundig berechnen.
- Richtigen Bescheid angreifen: Widerspruch immer gegen den Bescheid, der die Leistung aufhebt oder kürzt – nicht gegen spätere Umsetzungs- oder Aufrechnungsbescheide. Das hat das LSG Hessen ausdrücklich betont.
- Form einhalten: Schriftlich mit Unterschrift per Post, zur Niederschrift in der Behörde oder elektronisch mit qualifizierter elektronischer Signatur bzw. De-Mail. Eine einfache E-Mail reicht nie.
Formwirksamer Widerspruch – was zählt wirklich?
| Zulässig | Unzulässig |
| Schriftlicher Widerspruch mit eigenhändiger Unterschrift (per Post/Fax) | Einfache E-Mail ohne qualifizierte Signatur |
| Persönliche Einlegung zur Niederschrift bei der Behörde | E-Mail mit eingescanntem Namenszug |
| Elektronischer Widerspruch mit qualifizierter elektronischer Signatur | „Normale“ E-Mail über ein Standard-Postfach |
| Versendung als abgesenderauthentifizierte De-Mail | Upload ohne qeS in unsicheren Portalen |
Rechtsgrundlage: § 84 SGG (Frist/Form), § 36a SGB I (elektronische Kommunikation).
Was bedeutet das Urteil für Betroffene?
Die Entscheidungen aus Darmstadt und Kassel sind ein Weckruf. Wer Geldzuflüsse nicht meldet oder formale Mindeststandards missachtet, riskiert erhebliche Rückforderungen und jahrelange Aufrechnungen.
Gleichzeitig schaffen die Urteile Klarheit: Die Form des Widerspruchs ist keine Schikane, sondern gesetzliches Muss. Wer die Regeln kennt, schützt seinen Anspruch – und vermeidet teure Fehler.
Handlungstipp: Wenn Sie unsicher sind, reichen Sie den Widerspruch parallel schriftlich per Post und – sofern verfügbar – elektronisch mit qeS ein. Bewahren Sie Einlieferungs- oder Sende-nachweise auf. So sichern Sie fristgerecht Ihre Rechte.




