Ob eine Information des Jobcenters Bürgergeld-Bezieher erreicht oder nicht, kann für die Betroffenen existenzielle Folgen haben. Wenn die Leistungsberechtigten eine entsprechende Nachricht der Behörde, die sie zur Mitwirkung verpflichtet, nicht erhalten, dann verletzen sie nicht ihre Mitwirkung.
Deshalb kann das Jobcenter Ihnen auch nicht wegen fehlender Mitwirkung die Leistungen kürzen, wenn Sie etwa ein Stellenangebot nicht bekommen haben. Umso wichtiger ist es also, zu wissen, wann der Zugang einer Postsendung als belegt gilt. Das Bundesarbeitsgericht hat im Januar 2025 für Klarheit gesorgt. (2 AZR 68/24)
Inhaltsverzeichnis
Der Anscheinsbeweis für den Zugang
Rechtlich gilt beim Zugang einer Postsendung der sogenannte Anscheinbeweis. Wenn jemand behauptet, er hätte eine Sendung nicht erhalten, die der Sender ihm zugeschickt hat, dann kann das stimmen oder auch nicht.
Sendungen gehen auf dem Postweg verloren, vielleicht hat der Postbote das Schreiben in den falschen Briefkasten geschickt oder jemand hat es aus dem Briefkasten entwendet. Das alles ist möglich, und ebenso ist es möglich, dass ein Empfänger leugnet, ein Schreiben bekommen zu haben. Darum gilt es als Beweis, wenn es den Anschein hat, dass eine Sendung zugegangen ist.
Was gilt nicht als Anscheinsbeweis?
Einfache Briefe gelten per se nicht als Anscheinsbeweis für den Zugang einer Sendung. Auch der Einlieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens belegt nicht, dass eine Sendung bei einem konkreten und gewollten Empfänger angekommen ist.
Der Ausdruck des online abgerufenen Sendungsstatus mit Sendungsnummer und Zustellungsdatum ist noch kein Nachweis für einen Zugang.
Worum ging es im konkreten Fall?
Der Fall, den letztlich das Bundesarbeitsgericht entschied, handelte von einer Kündigung. Eine Arbeitgeberin hatte einer Arbeitnehmerin außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Die Arbeitnehmerin hatte daraufhin mit Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben, mit Bezug auf ihre bestehende Schwangerschaft.
Das Arbeitsgericht entschied, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Das Regierungspräsidium erteilte hingegen der Arbeitgeberin die Zustimmung zur Kündigung. Im Kündigungsschutzverfahren berief sich die Arbeitgeberin darauf, dass sie das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt hätte. Die Arbeitnehmerin bestritt, dass dieses Kündigungsschreiben ihr zugegangen war.
Das Bundesarbeitsgericht sieht die Kündigungsschutzklage als berechtigt an
Das Arbeitsgericht wies die Klage der Arbeitgeberin ab, das Landesarbeitsgericht gab ihr jedoch in der Berufung statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine Kündigung aufgelöst worden sei. Dem stimmte das Bundesarbeitsgericht zu.
Beweis für den Zugang der Kündigung fehlt
Eine Kündigung sei erst wirksam mit dem Zugang der schriftlichen Kündigung. Einen Beweis für diesen Zugang hätte die Arbeitgeberin nicht erbracht, und sie sei in der Beweispflicht. Das haben Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht entschieden.
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Kein Beweis, weder dem Anschein nach noch durch Zeugen
Es gebe weder einen Zeugenbeweis noch einen Anscheinsbeweis. Es sei auch nicht ersichtlich, ob die Arbeitgeberin einen Fensterbriefumschlag benutzt hätte, der dieselbe Adresse wie das vermeintlich zugestellte Kündigungsschreiben erkennen ließe, oder ob sie einen fensterlosen Umschlag mit der zutreffenden Anschrift der Arbeitnehmerin versehen hätte.
Der im vorliegenden Verfahren vorgelegte Einlieferungsbeleg genügte nicht. Dabei handelte es sich um ein Einwurf-Einschreiben, aus dem neben dem Datum und der Uhrzeit der Einlieferung die jeweilige Postfiliale und die Sendungsnummer ersichtlich waren. Hinzu kam ein von der Arbeitgeberin im Internet abgefragter Sendungsstatus („Die Sendung wurde am 28.07.2022 zugestellt.“).
Das reicht nicht für einen Beweis des ersten Anscheins, dass das Schreiben der Arbeitnehmerin tatsächlich zugegangen sei. Die Arbeitgeberin hätte den Auslieferungsbeleg für die von ihr am 26.07.2022 eingelieferte Postsendung nicht vorgelegt und sei hierzu wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Fristablaufs auch nicht mehr in der Lage.
Wörtlich heißt es: „Die Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründeten ohne die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger.“
Außerdem gebe es keine Angaben für den zuständigen Postbediensteten und weitere Einzelheiten der Zustellung.
Ein Einlieferungsbeleg weist nicht den Zugang nach
Ein Einlieferungsbeleg begründet keine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, dass ein Schreiben eingegangen sei, denn die Absendung eines Schreibens sei kein Nachweis für dessen Zugang. Das gelte ebenso für den Ausdruck des Sendungsstatus.
In diesem Fall zeige dieser weder, wer die Sendung zugestellt haben soll, noch sei er ein Ersatz für einen Auslieferungsbeleg, und er rechtfertige auch nicht den Schluss, dass das Schreiben in den Briefkasten der Arbeitnehmerin gelangt sei.
Kein konkreter Empfänger
Der Sendungsstatus lässt auch nicht erkennen, an wen die Zustellung erfolgt sein soll (direkt an den Empfänger, an eine andere Person in dessen Haushalt oder Einwurf in den Hausbriefkasten), noch zu welcher Uhrzeit, unter welcher Adresse oder zumindest in welchem Bezirk.
Das Gericht betonte, dass ein solcher Sendungsstatus als Anscheinsbeweis, also ohne Kenntnis des Zustellers, keine Möglichkeit gebe, einen Gegenbeweis anzutreten oder ihn auch nur zu erschüttern.
Die Arbeitgeberin hätte hingegen einen Auslieferungsbeleg anfordern können, und dazu hätte sie 15 Monate Zeit gehabt, in der die Deutsche Post AG Kopien speichert.
Was bedeutet das Urteil für Bürgergeld-Berechtigte?
Das Bundesarbeitsgericht hat Punkte klargestellt, die immer wieder für Konflikte mit dem Jobcenter sorgen.
Erstens: Der Absender trägt die Beweispflicht dafür, ob eine Sendung zugegangen ist, entweder durch einen Zeugenbeweis oder durch einen Anscheinsbeweis.
Zweitens: Wenn derjenige nicht bekannt ist, der eine Sendung einwirft (eingeworfen haben soll), dann fehlt ein Anscheinsbeweis. Auch der Empfänger muss konkret benannt werden.
Auf all diese Punkte können Sie sich berufen, wenn Sie ein Schreiben des Jobcenters nicht erhalten haben, aber das Jobcenter behauptete, es sei Ihnen zugegangen. Im Ernstfall schützt Sie das vor Sanktionen.