Das jüngste Urteil aus Berlin und Brandenburg hat für Aufsehen gesorgt und wirkt sich unmittelbar auf die Rechte von Bürgergeld-Beziehenden aus. Die Richterinnen und Richter stellten klar, dass Sozialwohnungen in keinem Fall als unangemessen gelten dürfen, selbst wenn ihre Miete über dem Richtwert liegt, den das Jobcenter für „angemessene“ Wohnkosten festgelegt hat.
Konkret bedeutet dies: Liegt eine Wohnung innerhalb des sozialen Wohnungsbaus, ist eine Kürzung der Mietzahlungen durch das Jobcenter nicht zulässig, insbesondere dann, wenn in der entsprechenden Region – wie in vielen Teilen Berlins – ein angespannter Wohnungsmarkt vorherrscht.
Inhaltsverzeichnis
Warum weigerte sich das Jobcenter, die volle Miete zu übernehmen?
Der Fall, der diesem Urteil zugrunde liegt, reicht mehrere Jahre zurück. Bereits 2017 hatte das Sozialgericht in Berlin eine Entscheidung gefällt, die sich auf den Zeitraum 2015/2016 bezog.
Doch erst im März 2023 konnte sich das Landessozialgericht in zweiter Instanz endgültig durchsetzen. Im Kern ging es dabei um die Wohnung einer Bürgergeld-Bezieherin: Sie zahlte 640 Euro, doch das Jobcenter sah nur 480 Euro als angemessen an.
Grundlage für diese Begrenzung war eine behördliche Ausführungsvorschrift, die sich an den durchschnittlichen Mieten im unteren Wohnsegment orientiert.
Genau an diesem Punkt kritisierte das Gericht das Vorgehen der Behörde als unzureichend, weil durchschnittliche Werte nicht alle Marktgegebenheiten abdecken und sozialer Wohnraum nur dann zur Verfügung steht, wenn er tatsächlich zu mieten ist.
Wo liegt das Problem, wenn das Jobcenter den Mietpreis als „unangemessen“ einstuft?
Das Landessozialgericht nahm besonders das Argument auseinander, einfache Wohnungen seien zu den vorgeschriebenen Mietobergrenzen auch in ausreichender Zahl verfügbar. Gerade in Berlin ließ sich das aus Sicht der Richterinnen und Richter nicht belegen.
Sie stützten sich dabei auf Erhebungen der zuständigen Senatsverwaltung, wonach 76.000 Bürgergeldhaushalte in einer ähnlichen Situation Teile ihrer Miete selbst tragen mussten, weil die Jobcenter-Richtwerte überschritten wurden.
Hinzu kam eine offizielle Feststellung einer Angebotslücke von 345.000 Single-Wohnungen im Stadtgebiet. Unter diesen Umständen könne nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass alle Hilfebedürftigen problemlos günstigen Wohnraum finden.
Lesen Sie auch:
– Bürgergeld Gerichtshammer: Vater schmeißt Sohn raus – Jobcenter verneint eigene Wohnung
Ist eine einheitliche Mietobergrenze überhaupt realistisch?
In ihrer Urteilsbegründung merkten die Richterinnen und Richter an, dass es ihnen in dieser angespannten Lage nicht möglich sei, einen generellen Grenzwert für Berliner Mieten festzuschreiben.
Selbst die Orientierung an der Wohngeldtabelle, erhöht um einen Zuschlag von zehn Prozent, reiche für die Hauptstadtverhältnisse nicht aus, weil selbst mancher Sozialwohnungsbau dann als zu teuer gelten würde.
Damit steht fest: Eine landesweit einheitliche, starre Festlegung der Mietobergrenze kann die tatsächliche Marktsituation nicht angemessen widerspiegeln, wenn gleichzeitig an vielen Ecken sozialer Wohnraum fehlt und die wenigen vorhandenen Wohnungen schnell vermietet sind.
Was ist das zentrale Anliegen des Gesetzgebers?
Das Gericht verwies im Laufe des Prozesses mehrfach darauf, dass Sozialwohnungen eigens für jene Personen errichtet werden, die staatliche Unterstützung benötigen.
In diesem Sinne könnten solche Wohnungen, die bereits durch Förderkriterien oder gesetzliche Auflagen als sozial eingestuft sind, nicht willkürlich als zu teuer abgestempelt werden.
Dies steht auch hinter dem zweiten Leitsatz des Urteils, der festhält, dass Wohnungen nach den Vorgaben des sozialen Wohnungsbaus und des Wohngeldgesetzes nicht als unangemessen eingestuft werden dürfen, wenn sie sich in einer Region befinden, in der der Wohnungsmarkt nachweislich angespannt ist.
Welche Konsequenzen hat die Entscheidung für betroffene Haushalte?
Das Urteil schafft Klarheit für alle Bürgergeldhaushalte, die bisher Teile ihrer Miete selbst aufbringen mussten, obwohl sie in einer förderfähigen oder sozial gebundenen Wohnung leben.
Nun ist das Jobcenter in der Pflicht, die tatsächlichen Kosten zu übernehmen, sofern die betreffenden Wohnungen bestimmte Vorgaben erfüllen.
Für die betroffene Klägerin bedeutet dies konkret, dass der volle Mietbetrag von 640 Euro erstattet werden muss. Der Quadratmeterpreis ihrer Wohnung lag nachweislich unterhalb des Durchschnitts anderer Sozialwohnungen, weshalb eine Kürzung der Leistungen nicht hinnehmbar war.
Warum könnte der Fall noch vor dem Bundessozialgericht landen?
Obwohl das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (AZ: L 32 AS 1888/17) eine deutliche Position bezogen hat, ist aufgrund der grundsätzlichen Tragweite der Fall noch nicht endgültig abgeschlossen. Es besteht die Möglichkeit, eine Revision vor dem Bundessozialgericht anzustrengen, um ein höchstrichterliches Urteil zu erwirken.
Sollte es dort erneut bestätigt werden, hätten Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger deutschlandweit eine noch gefestigtere Rechtsposition, wenn sie in einer vergleichbaren Lage an ihre Jobcenter herantreten.
Welche Signalwirkung hat die Entscheidung für den Wohnungsmarkt in Berlin?
Die Landessozialgerichte haben zwar keinen direkten Einfluss auf die Schaffung neuen Wohnraums, doch die Entscheidung setzt ein klares Zeichen dafür, dass die Realität des Wohnungsmarktes bei der Bemessung der „angemessenen“ Kosten nicht ausgeblendet werden darf.
Gerade in einer Metropole wie Berlin, in der seit Jahren ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum herrscht, kann dieses Urteil helfen, Druck auf politische Entscheiderinnen und Entscheider auszuüben, damit die Förderung von Sozialwohnungen aufrechterhalten oder sogar ausgebaut wird.
Zugleich bekommen Vermieterinnen und Vermieter ein deutliches Signal, dass geförderte Wohnungen tatsächlich ihrem Zweck zugutekommen sollen: den Menschen, die dringend auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind.
Lesen Sie auch:
– Verdächtigungen von den Nachbarn stoppte Bürgergeld
Wie geht es nun für Betroffene und Behörden weiter?
Die Entscheidung aus Berlin und Brandenburg ist zweifellos ein Meilenstein. Viele Betroffene werden jedoch weiterhin Schwierigkeiten haben, angemessene Wohnungen zu finden.
Dennoch stärkt das Urteil ihre Verhandlungsposition und sorgt dafür, dass Sozialwohnungen nicht mit fragwürdigen Richtwerten aus dem Leistungsbezug gedrängt werden. Auf der anderen Seite sind die Jobcenter nun noch intensiver gefordert, ihre bisherigen Maßstäbe zu überdenken und bei Abweichungen von pauschalen Mietsätzen genauer zu prüfen, ob in der jeweiligen Region tatsächlich genügend bezahlbarer Wohnraum verfügbar ist.
Wenn dies offenkundig nicht der Fall ist, kann die Behörde die Übernahme der tatsächlichen Mietkosten nicht ohne Weiteres verweigern.