Schwerbehinderung: Kündigung trotz Krankheit durch schlechtes bEM? – Gericht urteilt

Lesedauer 3 Minuten

Welche Pflichten haben Arbeitgeber im Rahmen des bEM, und welche Folgen hat dessen fehlerhafte Umsetzung? Dieser Artikel analysiert ein wegweisendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das die Anforderungen an das bEM sowie die Rolle des Integrationsamts bei krankheitsbedingten Kündigungen definiert. (AZ: 2 AZR 162/22)

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ist ein Instrument, das Unternehmen laut § 167 Abs. 2 SGB IX einsetzen müssen, um Beschäftigten nach einer mindestens sechs Wochen andauernden Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Jahres Wege zurück in den Beruf zu ermöglichen.

Ziel ist es, weitere Fehlzeiten zu minimieren und eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Dabei handelt es sich um einen offenen Klärungsprozess, der individuelle Lösungen entwickeln soll, wie die Anpassung von Arbeitsplätzen oder den Einsatz rehabilitativer Maßnahmen.

Sachverhalt: Streit um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung

Der vorliegende Fall betraf die Klage einer Versicherungssachbearbeiterin, die seit 1999 bei der beklagten Arbeitgeberin angestellt war. Aufgrund einer lang andauernden Erkrankung, die ab Dezember 2014 zu durchgehender Arbeitsunfähigkeit führte, sprach die Arbeitgeberin im Mai 2020 eine ordentliche Kündigung aus.

Im Vorfeld hatte die Beklagte zwar ein bEM angeboten, dieses jedoch von der Unterzeichnung einer spezifischen Datenschutzerklärung abhängig gemacht. Da die Arbeitnehmerin diese nicht in der vorgelegten Form akzeptierte, wurde das Verfahren nicht durchgeführt.

Keine Alternative zur Kündigung

Die Kündigung wurde unter anderem damit begründet, dass keine Alternativen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden und eine dauerhafte gesundheitliche Einschränkung die Fortsetzung der Beschäftigung unzumutbar mache.

Die Arbeitnehmerin erhob Klage und argumentierte, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, da mildere Mittel wie ein Einzelbüro oder technische Hilfsmittel nicht hinreichend geprüft worden seien.

Rechtliche Bewertung: Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung

Eine krankheitsbedingte Kündigung muss sich an den Kriterien des Kündigungsschutzgesetzes (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) messen lassen. Dabei gelten folgende Voraussetzungen:

  1. Negative Gesundheitsprognose: Es muss absehbar sein, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen auch zukünftig erhebliche Fehlzeiten aufweisen wird.
  2. Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Die Fehlzeiten müssen sich nachteilig auf den betrieblichen Ablauf oder wirtschaftliche Belange auswirken.
  3. Verhältnismäßigkeit: Mildere Mittel zur Vermeidung der Kündigung, wie ein angepasster Arbeitsplatz oder andere Maßnahmen, müssen ausgeschlossen sein.

Im vorliegenden Fall wurde insbesondere die Frage der Verhältnismäßigkeit und der Rolle des bEM bei der Ermittlung solcher milderen Mittel kontrovers diskutiert.

Bedeutung des bEM im Kündigungsschutzverfahren

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellte klar, dass die Durchführung eines bEM keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung ist. Allerdings konkretisiert das bEM den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit:

Es soll als verlaufs- und ergebnisoffener Prozess helfen, Alternativen zur Kündigung zu entwickeln. Wird ein bEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass keine milderen Mittel existieren, um die Kündigung zu vermeiden.

In diesem Fall bewertete das Gericht das Verhalten der Beklagten als fehlerhaft, da das bEM unzulässigerweise von der Unterzeichnung einer spezifischen Datenschutzerklärung abhängig gemacht wurde.

Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX ist eine schriftliche Zustimmung in die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht zwingend erforderlich. Vielmehr müssen Beschäftigte lediglich über die Ziele, Art und Umfang der Datenverarbeitung informiert werden.

Fehlerhafte Durchführung des bEM: Auswirkungen auf die Kündigung

Die Weigerung der Arbeitnehmerin, die vorformulierte Datenschutzerklärung zu unterzeichnen, wurde vom Gericht nicht als Ablehnung des bEM interpretiert. Die Arbeitnehmerin hatte explizit ihre Bereitschaft zur Teilnahme signalisiert und lediglich Anpassungen bei der Datenschutzvereinbarung gefordert.

Die Beklagte hätte daher das Verfahren fortsetzen und versuchen müssen, die bestehenden Vorbehalte auszuräumen. Alternativ hätte sie das Verfahren zumindest so weit fortführen müssen, dass eine fundierte Beurteilung möglicher Alternativen zur Kündigung erfolgen könnte.

Ein fehlerhaft durchgeführt oder unterlassenes bEM wirkt sich auf die Darlegungslast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess aus. Der Arbeitgeber muss dann umfassend darlegen, warum keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden und warum auch durch ein ordnungsgemäß durchgeführtes bEM keine Lösungen zur Vermeidung der Kündigung gefunden worden wären.

Der Stellenwert der Zustimmung des Integrationsamts

Im konkreten Fall hatte das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt. Das Gericht stellte jedoch klar, dass diese Zustimmung keine Vermutungswirkung dahingehend entfaltet, dass ein bEM keine alternativen Lösungen hätte aufzeigen können. Das bEM und das Verfahren vor dem Integrationsamt verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen.

Während das bEM darauf abzielt, individuelle Anpassungen zur Erhaltung des Arbeitsverhältnisses zu entwickeln, bewertet das Integrationsamt vorrangig die Interessenabwägung zwischen Arbeitgeber und schwerbehinderten Arbeitnehmern im Kontext einer bereits geplanten Kündigung.

Gerichtliche Entscheidung und Konsequenzen

Das Landesarbeitsgericht gab der Klage der Arbeitnehmerin statt. Es bewertete die Kündigung als sozial ungerechtfertigt, da die Beklagte nicht ausreichend dargelegt hatte, warum keine milderen Mittel zur Vermeidung der Kündigung zur Verfügung standen.

Besonders die Bereitstellung eines höhenverstellbaren Schreibtisches oder die Nutzung technischer Hilfsmittel wurden nicht hinreichend geprüft.