Wer sich nicht verprügeln lassen will, wird sanktioniert: Leipziger Verkehrsbetriebe und Jobcenter Leipzig setzen Hartz IV Bezieher als Sicherheitsleute ein
20.02.2013
Übergriffe in Bus und Bahn? Randalierende Fahrgäste trotz Kamera? Kaputte und beschmierte Wagen? – Alles wird besser, denn wir haben jetzt ein unerschöpfliches Arsenal an Billig-Arbeitskräften: Man nehme einen Hartz IV Bezieher und stecke ihn in einen Lehrgang. Dort lernt er unter anderem , wie man sich in der Öffentlichkeit bewegt und beruhigend auf renitente Fahrgäste einwirkt. Dass viele Fahrgäste gar nicht aufmucken würden, wenn man bürgerfreundliche Fahrpreise und überschaubare Tarife hätte, wird nicht erwähnt aber das ist auch nicht die Hauptsache. Hauptsache ist, daß ein Ventil vorhanden ist und das Ventil heißt „Mobilitäts-Service“.
Sich anpöbeln und beleidigen lassen
Diese Mitarbeiter dürfen sechs Stunden mit täglich mit Bus oder Straßenbahn fahren, sich beleidigen und anpöbeln lassen und geraten vielleicht auch mal in eine Schlägerei, wenn sie Pech haben. Und Pech haben kann man zu jeder Tageszeit. Dafür gibt es ein sogenanntes Deeskalationstraining : Abstand halten, beruhigend einwirken und immer lächeln. Wenn es wirklich eng wird, dann zückt man sein Diensthandy und ruft Hilfe, vorausgesetzt, der Angreifer lässt das arme Würstchen in Uni form auch in aller Gemütsruhe telefonieren und wartet dann ab bis die Polizei mit dem erhobenen Zeigefinger kommt.
Ich darf beruhigen , – man ist immer zu zweit, meistens eine Dame und ein Herr zusammen.Also muß man dann nicht nur auf seine eigenen Knochen achtgeben sondern auch seiner Kollegin zu Hilfe kommen, wenn es Ernst wird. Aber nicht das gleichzeitige Anrufen mit dem Diensthandy vergessen! Wer es nicht glauben möchte : einfach mal nach „Übergriffe in Bus und Bahn, Leipzig“ googeln. Von Anpöbeln, Bespucken bis zum Krankenhausreif-Schlagen, – das volle Programm. Trotz Wagenkamera und Dauerlächeln…
Hatte ich nicht vorhin eine Uniform erwähnt? Ja, die gibt es, sogar passend und eigentlich sehr schick. Wenn da nur nicht das kleine Problem mit den Schuhen wäre. Diese sollten eine dunkle Farbe haben und dürfen selbst gekauft werden wenn man leider gerade keine passenden auf Vorrat hat. Denn die Schuhe stellt die Firma nicht. Dafür werden aber Sonnenbrillen verboten, die sehen nach Auffassung des Unternehmens unseriös aus , es sei denn, man hat vom Arzt einen Attest. Was aber nicht unseriös ist: Man muß einen Dienstausweis mit Foto und vollständig ausgeschriebenen Namen gut sichtbar an der Kleidung tragen, damit jeder sofort weiß daß es sich bei dem Betreffenden um einen ALG-II-Menschen handelt und derselbige auch wie ein solcher behandelt werden darf .
Denn in Leipzig ist es üblich, daß zu dieser „Maßnahme mit Mehraufwand-Entschädigung“ nur ALG-II- Empfänger hinzugezogen werden. Ich darf aber bezweifeln ob es einer altgedienten Bürotante von Personalbüro oder Projekt-leitung gefallen würde, wenn man sie mit „ Hartz-4-Schlampe „ ansprechen würde. Eine öffentliche Herabwürdigung Arbeitsloser wird also billigend in Kauf genommen . – Noch krimineller geht es nicht ? – Doch ! – Zum Beispiel – ein zurechtgewiesener Fahrgast liest und merkt sich den Namen. Dann kann er sich ohne Weiteres per Meldeamt (unter einem Vorwand…suche alten Schulfreund…) die Anschrift erfragen. Dem Meldeamt ist nämlich der Begriff Datenschutz völlig unbekannt sofern mit einer Auskunft Geld verdient werden kann.
…Und dann steht eines Tages ein schlecht gelaunter Mensch vor der Tür und schwingt die Fäuste. Bedauerlich nur, wenn gerade kein Diensthandy in Reichweite ist und man überhaupt nicht lächeln mag…
Kommen wir nun zu etwas erfreulichem : Ein Teil der Belegschaft wird auch als Begleitservice eingesetzt. Mit einem zweitägigem Kurs in Erster Hilfe und Umgang mit Behinderten ist man in der Lage, auf Wunsch ältere und / oder behinderte Bürger zu Behörden- oder Arztgängen vor der Wohnung abzuholen und zu begleiten. Ich spreche hier ausdrücklich von dem Begriff vor der Wohnung, das ist kein Druckfehler , denn der Begleitservice darf die Wohnung nicht betreten. Wie ein Behinderter oder älterer Bürger dann aus Sessel oder Bett zu Rollstuhl, Gehhilfe oder Rollator kommt ist seine Sache und wenn er auch vor meinen Augen umkippt. Wie er in den Mantel kommt darf mich auch nichts angehen, ich muß im Treppenhaus warten!
Ist aber alles glücklich und ohne weitere Knochenbrüche abgelaufen möchte sich vielleicht der Eine oder der Andere etwas erkenntlich zeigen, aber diese freundliche Geste muß ich ablehnen, denn ich darf als Begleitservice nichts annehmen, nicht einmal unterwegs einen Kaffee oder ein Brötchen. Und weil die Obrigkeit von Haus aus mißtraisch ist werden die „ Mobil-Mitarbeiter“ auch schön kontrolliert. Das ist recht einfach, denn jeder hat seinen Dienstplan mit zugewiesener Kursnummer . Linie und Uhrzeit.
1,40 Euro pro Stunde fürs Prügeln lassen
Habe ich etwas vergessen ? – Ja, den Lohn ! Also, das ist wirklich fürstlich! Ganze 1.40 € kann man maximal pro Stunde verdienen, aber Abzüge sind auch da noch möglich. Dafür darf man sich aber auch wie schon gesagt, anpöbeln, verprügeln und auch sonst gern bevormunden lassen wo immer es auch geht. Hat man aber erst einmal das ganze perverse Spiel durchschaut und keine Lust mehr, sich unkontrollierbaren Gefahren auszusetzen dann erfolgt vom Jobcenter (in diesem Falle Leipzig) umgehend eine Sanktionsandrohung.
Hier arbeiten – wie nicht anders zu erwarten – Leistungsträger und (in meinem Falle) LVB/ LAB Hand in Hand zusammen. Nun kann man sich natürlich fragen: Warum bezahlt man die Leute nicht einfach ordentlich und stellt sie fest ein? Die Antwort ist ganz einfach: Dafür ist kein Geld da, obwohl das Jobcenter Leipzig im Jahre 2012 bewilligte sagenhafte 10 Millionen Euro, gedacht für
Arbeitsbeschaffung und Ausbildung, nicht abgerufen hatte und somit verfallen ließ. (auch bei GOOGLE zu finden und nachzulesen)
Im Übrigen ist im SGB I unter § 13 und § 14 klar und deutlich geregelt , daß auch bei einer Maßnahme mit Mehraufwandentschädigung vor Beginn dieser Maßnahme von dem zuständigen Sachbearbeiter auf mögliche Gefahren hingewiesen werden muß. Bei mir war dies nicht der Fall und ich gehe davon aus , daß die Sachbearbeiter ihre eigenen Gesetze nicht kennen. Wer kommt nun eigentlich auf die Idee , ALG-II-Empfänger als Kanonenfutter und Blitzableiter zu mißbrauchen und sie potentieller Gefahr für Leib und Leben auszusetzen? (Thomas Schirmer, Leipzig)
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