Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil (AZ: 6 AZR 31/22) eine Entscheidung hinsichtlich der betriebsbedingten Kündigung älterer Arbeitnehmer gefällt. Ältere Arbeitnehmer, die kurz vor der Rente stehen, sind bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses weniger geschützt, als jüngere Arbeitnehmer.
Verhandelt wurde die Wirksamkeit zweier Kündigungen, die einer 65-jährigen Arbeitnehmerin seitens des Insolvenzverwalters ausgesprochen wurden.
Hintergrund des Falls: Sozialauswahl und Rentennähe
Die Klägerin war seit 1972 bei der insolventen Arbeitgeberin beschäftigt. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte zunächst eine betriebsbedingte Kündigung zum 30.06.2020.
Der Insolvenzverwalter begründete diese Maßnahme mit der sozialen Unschutzbedürftigkeit der Klägerin im Vergleich zu ihren Kollegen. Entscheidend war dabei, dass sie als einzige die Möglichkeit hatte, kurz nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte zu beziehen.
Nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem Betriebsrat erfolgte eine erneute Kündigung zum 30.09.2020.
Altersrente als entscheidendes Kriterium: BAG bestätigt grundsätzliche Zulässigkeit
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Unwirksamkeit der ersten Kündigung, da die Auswahl der Klägerin allein aufgrund ihrer Rentennähe erfolgte und dabei andere wichtige Kriterien wie Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen außer Acht gelassen wurden. Das Gericht stellte jedoch klar, dass das Lebensalter grundsätzlich bei der Sozialauswahl berücksichtigt werden darf.
Differenzierte Bewertung: Rentennähe als ambivalentes Kriterium
Das Lebensalter als Auswahlkriterium ist jedoch ambivalent. Zwar steigt die soziale Schutzbedürftigkeit grundsätzlich mit zunehmendem Alter, da ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt oft schlechtere Vermittlungschancen haben.
Diese Schutzbedürftigkeit nimmt jedoch ab, wenn der Arbeitnehmer innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses über eine abschlagsfreie Altersrente verfügen kann, so das Bundesarbeitsgericht in seiner Begründung.
Entscheidung im Einzelfall: Erste Kündigung unwirksam, zweite wirksam
Im vorliegenden Fall wurde die erste Kündigung seitens des Gerichts als unwirksam beurteilt, da die Auswahl der Klägerin grob fehlerhaft erfolgte. Die Rentennähe wurde isoliert betrachtet, ohne andere relevante Kriterien angemessen zu berücksichtigen.
Die zweite Kündigung hingegen wurde jedoch als wirksam eingestuft und führte zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2020.
Differenzierte Betrachtung bei betriebsbedingten Kündigungen erforderlich
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verdeutlicht die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung bei betriebsbedingten Kündigungen älterer Arbeitnehmer.
Während das Lebensalter grundsätzlich in die Sozialauswahl einfließen darf, müssen auch andere relevante Faktoren wie eine zeitnahe abschlagsfreie Rente angemessen berücksichtigt werden. Arbeitgeber und Betriebsräte sind somit angehalten, bei der Auswahl von Arbeitnehmern für betriebsbedingte Kündigungen eine umfassendere Abwägung vorzunehmen, um arbeitsrechtlich einwandfreie Entscheidungen zu gewährleisten.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.