Bürgergeld: Sozialgericht Berlin erklärt 100% Sanktionen für verfassungswidrig

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Laut BVerfG vom 5. November 2019, 1 BvL 7/16 – Eine Minderung des Arbeitslosengelds 2 um mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs ist rechtswidrig.

100 % Sanktionen verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat 100 % Sanktionen für verfassungswidrig erklärt. Es hat jedoch angeordnet, dass diese Rechtsfrage nur für die Zukunft wirkt und für Bescheide, die nicht bestandskräftig sind.

Bestandskraft tritt immer dann ein, wenn gegen einen Bescheid fristgerecht kein Widerspruch vom Leistungsempfänger und keine Klage erhoben wurde. Wer also gegen 100 % Sanktionsbescheide keinen Widerspruch (und keine Klage) erhob, ging also – leer – aus, da eine Überprüfung nach § 44 SGB X ausgeschlossen ist.

Rechtsmittel für Sanktionsbescheide wurde auf 1 Jahr verlängert.

Mit den Rechtsfolgenbelehrungen gab es nun aber Probleme bei den Sanktionsbescheiden,auf Grund dessen wurde die einmonatige Frist für Rechtsmittel auf ein Jahr verlängert.

Bestandskräftige Bescheide konnten nun mit Widerspruch/ Klage angegriffen werden

Jetzt war es möglich, Bescheide, die scheinbar bestandskräftig waren (die einmonatige Widerspruchsfrist war schon lange abgelaufen) noch mit Widerspruch und Klage anzugreifen und aufheben zu lassen (denn die 100 % Sanktion war ja offensichtlich rechtswidrig).

Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 16.08.2022 eine 100 % Sanktion aufgehoben, die im Dezember 2018 ausgesprochen wurde und gegen diese erst im Oktober 2019 Widerspruch erhoben worden war.

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 16. August 2022 – S 128 AS 10031/19 –

Begründung:

Der Sanktionbescheid zur Absenkung des ALG II um 100% war rechtswidrig
Trotz einer Minderung um 100 Prozent und der Minderjährigkeit der Kinder des Klägers wurde keine Erbringung von ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen geregelt.

Zur Rechtswidrigkeit eines Sanktionsbescheids, wenn das Jobcenter im Rahmen dieser Verfügung zwar eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um 100 Prozent bekannt gab, aber nicht gleichzeitig entsprechend § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II – trotz der Tatsache, dass ebenfalls minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft lebten – über die Gewährung von ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen im angemessenen Umfang entschieden hat.

Physische Existenzminimum muss gewährleistet sein

Eine derartige Verknüpfung ist notwendig, um im Wege einer Kompensation des wegfallenden Regelbedarfs zumindest das physische Existenzminimum sicher zu gewährleisten (siehe SG Berlin, Urteil vom 13. November 2012 – S 63 AS 2351/12 – ).

SG Berlin: es ist ebend kein Antrag erforderlich, wenn minderjährige Kinder im Haushalt leben – § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II nicht erforderlich (siehe nur S. Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 31a Rn. 41 )

Eine spätere und nur auf Antrag erfolgende Bewilligung ergänzender Sachleistungen würde dem Schutzzweck des § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II, nämlich die besondere Sicherung des Existenzminimums minderjähriger Bedürftiger, nicht umfassend gerecht werden, so ausdrücklich das Gericht( ebenso LSG NRW, Beschluss vom 7. September 2012 – L19 AS 1334/12 B- ).

Zum anderen ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. November 2019, 1 BvL 7/16 (Rn. 201 ff.) die Rechtswidrigkeit einer Minderung des Arbeitslosengelds 2 um mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs.

Totalsanktionen sind mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar

Vom Grundsicherungsträger nach dem SGB II bzw. Jobcenter gemäß § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II um 100 Prozent festgesetzte Leistungsminderungen sind gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16) als mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar und deshalb rechtswidrig aufzufassen.

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Dies gute Urteil erging noch zu Hartz IV Zeiten. Kommen nun bald diese Zeiten zurück? Die Ampel will das Bürgergeld weiter verschärfen, kommen Totalsanktionen wieder an die Tagesordnung?