Total-Sanktionen beim Bürgergeld: Ist Mundraub gleich vorprogrammiert?

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Heidi Reichinnek von der Partei Die Linke kritisierte scharf den Gesetzentwurf der Regierung, der es Jobcentern ermöglicht, Leistungsberechtigten den Bürgergeld-Regelsatz komplett zu entziehen, sie also hungern zu lassen oder zu zwingen, sich zu verschulden.

Reichinnek sprach von einer “Katastrophe” und fragte, warum sich die Bundesregierung von Union und AfD “vor sich hertreiben” lasse.

“Diebstahl und Abwärtsspirale”

Sie sagte: „Das betrifft wenige Tausend Personen, die häufig enorme psychische Probleme haben. Wem helfen diese Sanktionen? Was glauben sie passiert, wenn sie Menschen das Geld zum Essen nehmen? Noch längere Schlangen an den überfüllten Tafeln, Diebstahl, Kredite, die nicht zurückgezahlt werden können. Das ist doch eine Abwärtsspirale!“

Kein Geld zum Leben

Wer innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal ein Stellenangebot des Jobcenters ablehnt, dem kann die Behörde seit 2024 den gesamten Regelsatz für bis zu zwei Monate streichen. Lediglich Unterkunft und Heizung werden gezahlt. Die Betroffenen haben also keine Mittel mehr, das tägliche Brot zu erwerben, den Strom zu bezahlen oder sich Toilettenpapier zu kaufen.

Reichinnek hat also vollkommen Recht, wenn sie diese Totalsanktionen als Katastrophe bezeichnet. Es handelt sich um eine Katastrophe des Sozialstaates als System und um eine individuelle Katastrophe für die Sanktionierten. Die Betroffenen werden im Wortsinne ausgehungert. Es handelt sich um einen massiven Angriff auf die Grund- und Menschenrechte.

“Noch längere Schlangen an den überfüllten Tafeln”

Auch mit ihrer Einschätzung, dass die längst überforderten Tafeln mit noch mehr Bedürftigen überlastet werden, dürfte sie richtig liegen.

Es ist sowieso ein Armutszeugnis, wenn Politiker regelmäßig die Arbeit der Tafeln loben. In einem funktionierenden Sozialstaat müsste es den gemeinnützigen Dachverband Tafel Deutschland e. V. nämlich überhaupt nicht geben, da dieser Aufgaben übernimmt, bei denen der Sozialstaat versagt.

Die Arbeit der Tafeln ist wertvoll. Wenn Politiker sie loben, verschweigen sie damit zugleich ihr eigenes soziales Versagen.

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“Diebstahl durch Leistungsberechtigte?”

Reichinneks Intention ist klar. Sie kritisiert die antisoziale und menschenverachtende Wirkung der Totalsanktionen. Dies mit Diebstahl in Verbindung zu bringen, ist auch bei einer Stellungnahme für die Opfer problematisch – nicht nur während der Dauerhetze gegen Leistungsberechtigte durch Union und AfD.

Reichinnek meint, dass Menschen, die durch die Totalsanktionen ausgehungert werden, sich nur durch Diebstahl das Nötigste besorgen könnten.

Es ginge dabei um das, was bis 1975 als Mundraub ein Rechtsterminus war. Mundraub bezeichnet Diebstahl oder das Unterschlagen von Nahrungs- und Genussmitteln des hauswirtschaftlichen Verbrauchs von unbedeutendem Wert zum alsbaldigen Verzehr.

“Betteln statt stehlen”

Reichinnek wollte mit ihrer Warnung, dass Bedürftigen bei Totalsanktionen nichts bliebe als Diebstahl vor der Brutalität dieses Angriffs auf die Grundrechte warnen. Diebstahl zu erwähnen war dabei aber ein Griff ins Klo.

Die Diebstahl-Warnung kann sogar die Lügen schüren, die Leistungsberechtigte als Kriminelle darstellen.

Reichinnek wäre besser beraten gewesen, den Satz zu verinnerlichen, den ein Bedürftiger am Bahnhof Hannover auf das Schild vor seinem Sammelbecher gestellt hatte: “Betteln ist besser als stehlen.”

Sie hat zwar vollkommen Recht, dass die Totalsanktionen eine Abwärtsspirale sind. Zunehmen werden aber vermutlich nicht die, die Diebstahl begehen, sondern diejenigen, die öffentlich betteln müssen.

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