Bürgergeld-Urteil: Fehlende Bewerbung rechtfertigt Sanktionen? Nicht immer!

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Ab April 2024 haben Jobcenter die Möglichkeit, Bürgergeld-Leistungsberechtigten den Regelsatz komplett zu entziehen, wenn diese ein Stellenangebot nicht annehmen.

Das Sozialgericht Speyer (Az: S 3 AS 113/20) fällte jetzt ein wichtiges Urteil: Demnach rechtfertigen fehlende Bewerbungen keine Sanktionen, wenn der Betroffene sich bei einem Haufen Stellenangeboten nicht auf alle bewirbt, aber auf die Mehrheit davon.

Was war passiert?

Der Leistungsberechtigte hatte nach 13 Vorschlägen des Jobcenters ein Vermittlungsangebot nicht angenommen.

Das Jobcenter wollte ihm deshalb den Regelsatz um 30 Prozent streichen. Das Sozialgericht führte dagegen aus: Im Gesetz gebe es nur ein Entweder-oder, und diese Regelung sei restriktiv auszulegen.

Es gilt das Mehrheitsprinzip

Keine Anwendung könne diese Regelung finden, wenn Betroffene die Mehrheit der Vermittlungsangebote annehmen würden, und eine kleinere Anzahl nicht.

Dabei käme es nicht, wie sonst beim Vermeiden von Sanktionen, auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes an.

“Pflichtwidrig nicht beworben”

Der Kläger bezog Bürgergeeld mit einem vorläufigen Bewilligungsbescheid. Vom 1. Nove,ber 2017 bis zum 31. Januar 2018 kürzte das Jobcenter die Leistungen um 30 Prozent. Die Begründung lautete, er habe sich auf auf einen Vermittlungsvorschlag pflichtwidrig nicht beworben.

Fünf von 14 Vermittlungsvorschlägen ausgeschlagen

Das DGB Rechtsschutzbüro Ludwigshafen vertrat den Betroffenen vor Gericht. Im Verfahren stellte sich heraus, dass der Kläger insgesamt fünf Vermittlungsvorschläge nicht angenommen hatte. Bein neun anderen hatte er sich hingegen beworben.

Wie lautet das Gesetz?

Im Gesetz steht zu Sanktionen Leistungsberechtigter wegen Pflichtverletzungen laut Paragraf 31

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1. sich weigern, einer Aufforderung (…) nachzukommen,

2. sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,

3. eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.

Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

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“Mehrere Pflichtverletzungen”

Eine Pflichtverletzung kann mit 30 Prozent Leistungskürzungen sanktioniert werden, wenn bereits mehrere Pflichtverletzungen festgestellt worden waren.

Warum entschied das Gericht für den Leistungsberechtigten?

Das Sozialgericht schreibt: “Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie sich (…) weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern.”

Das alles treffe hier nicht zu. Eine Weigerung, die dem zu sanktionierenden Verhalten zugrunde läge, zeige der Betroffene nicht. Der Betroffene hätte sich jedoch auf die Mehrzahl der ihm übersandten Stellenangebote beworben.

Es geht um die Gesamtbetrachtung

Das Gericht führt aus: “Würde der Leistungsempfänger 100 Offerten in Händen halten und sich auf eine davon nicht bewerben, wäre es ganz offensichtlich rechtswidrig, ihn wegen dieser einen Unterlassung mit einer Minderung zu belegen.

Im umgekehrten Fall (Bewerbung auf eines von 100 Angeboten) scheine es andererseits fernliegend, von einer Sanktion abzusehen.”

Der Kläger hätte sich tatsächlich beworben. Möglichweise sei sein Bewerbungsverhalten zwar nicht optimal, entspreche aber keiner hartleibigen Ablehnung.

Das Gericht entschied: “Es könne deshalb dahinstehen, ob es sich bei dem hier in Rede stehenden Vermittlungsvorschlag um eine zumutbare Arbeit (…) gehandelt hat (…). Auch auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes (…) komme es nicht bzw. nicht mehr an.”

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