In Deutschland gibt es eine besondere Möglichkeit, vorzeitig und ohne Abschläge in die Rente zu gehen: die Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Um die Frührente nutzen zu können, müssen jedoch 45 Jahre Versicherungszeit nachgewiesen werden.
Das mag auf den ersten Blick wie eine unüberwindbare Hürde erscheinen, doch bei genauerem Hinsehen wird klar, dass weit mehr als nur Arbeitsjahre dazu zählen. Dieser Beitrag erklärt ausführlich, welche Zeiten angerechnet werden, welche Besonderheiten zu beachten sind und wie sich Lücken ausgleichen lassen.
Inhaltsverzeichnis
Wie funktioniert die abschlagsfreie Rente?
Die abschlagsfreie Rente ermöglicht es, zwei Jahre vor dem regulären Rentenbeginn in den Ruhestand zu gehen, ohne finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen.
Während eine reguläre vorgezogene Rente mit Abschlägen von 0,3 % pro Monat einhergeht, bleibt bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte die volle Rentenhöhe erhalten. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Versicherungszeit von 45 Jahren, die sorgfältig nachgewiesen werden muss.
Was zählt zu den 45 Jahren Versicherungszeit?
“Die Versicherungszeit umfasst nicht nur klassische Arbeitsjahre, sondern auch viele andere Lebensphasen, die rentenrechtlich relevant sind”, sagt der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.
Eine rein sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit über 45 Jahre hinweg ist in der heutigen Arbeitswelt kaum noch realistisch. Deshalb werden verschiedene andere Zeiträume anerkannt, um dieser Marke näherzukommen.
Ein wichtiger Faktor sind Kindererziehungszeiten, die sowohl die Rente erhöhen als auch zur Wartezeit beitragen. Eltern, die Kinder großziehen, können für jedes Kind wertvolle Jahre angerechnet bekommen.
“Ebenso spielen aber auch Zeiten der Pflege von Angehörigen eine Rolle, wenn diese mindestens 10 Stunden pro Woche umfasst und von der Pflegeversicherung berücksichtigt wird”, so Anhalt. Das wird von der Rentenversicherung oft nicht mit hinzugerechnet.
“Auch die berufliche Ausbildung kann, je nach Art, in die Wartezeit einfließen. Während schulische Ausbildungen wie das Abitur nicht angerechnet werden, zählen betriebliche Ausbildungen, bei denen ein Gehalt gezahlt und Rentenbeiträge abgeführt werden, vollständig mit”, rät der Experte.
“Selbst Nebenjobs während des Studiums können berücksichtigt werden, sofern Rentenbeiträge entrichtet wurden!”
Darüber hinaus werden Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes sowie Phasen anerkannt, in denen Arbeitslosengeld I bezogen wurde. Allerdings gibt es Einschränkungen: Arbeitslosengeld II (heute Bürgergeld) trägt nicht zur 45-jährigen Versicherungszeit bei.
Besonders kritisch ist die Phase unmittelbar vor dem geplanten Rentenbeginn, da Arbeitslosenzeiten in den letzten zwei Jahren vor der Rente nicht angerechnet werden, sofern keine zusätzliche rentenrelevante Tätigkeit ausgeübt wird.
Hier noch einmal eine Übersicht, was alles dazu gerechnet werden kann:
Die 45 Jahre setzen sich aus unterschiedlichen rentenrechtlich relevanten Zeiten zusammen. Dazu gehören unter anderem:
1. Sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten
Dies umfasst alle Beschäftigungen, bei denen Rentenbeiträge abgeführt wurden. Allerdings ist eine durchgehende Vollzeitbeschäftigung über 45 Jahre hinweg in der heutigen Arbeitswelt selten geworden.
2. Kindererziehungszeiten
Kindererziehungszeiten sind ein wichtiger Faktor. Mütter oder Väter, die Kinder betreuen, erhalten:
- Kindererziehungszeit: Diese wird direkt auf die Rente angerechnet.
- Kinderberücksichtigungszeit: Diese zählt für die Wartezeit von 45 Jahren.
Mit nur einem Kind können bereits bis zu zehn Jahre angerechnet werden, wenn keine anderen rentenrelevanten Tätigkeiten in dieser Zeit vorliegen.
3. Betriebliche Ausbildungszeiten
Im Gegensatz zu schulischen Ausbildungen (z. B. Abitur oder Fachschule) werden betriebliche Ausbildungen angerechnet, sofern auf das Gehalt Rentenbeiträge gezahlt wurden.
4. Minijobs mit Rentenversicherungspflicht
Arbeiten Studierende beispielsweise neben dem Studium in einem Minijob und verzichten nicht auf die Rentenversicherungspflicht, zählen diese Zeiten ebenfalls mit.
5. Wehr- und Ersatzdienst
Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes werden vollständig angerechnet.
6. Pflege von Angehörigen
Pflegen Sie einen Angehörigen mindestens 10 Stunden wöchentlich, so werden diese Zeiten ebenfalls berücksichtigt, wenn die Pflegeversicherung Rentenbeiträge für Sie zahlt.
7. Arbeitslosengeld (unter bestimmten Bedingungen)
Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs können angerechnet werden – jedoch mit Einschränkungen:
- Arbeitslosengeld I: Zählt grundsätzlich mit.
- Arbeitslosengeld II (Bürgergeld): Wird nicht anerkannt.
- Besonderheit der letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn: Hier werden Arbeitslosenzeiten nicht angerechnet, es sei denn, ein Minijob mit Rentenversicherungspflicht wird ausgeübt.
Lesen Sie auch:
Wie lassen sich Lücken ausgleichen?
Trotz vielfältiger Anrechnungsmöglichkeiten ist es nicht ungewöhnlich, dass Versicherte am Ende ihrer Erwerbsbiografie noch Lücken in der Wartezeit aufweisen. Hier bietet das System die Möglichkeit, diese durch freiwillige Beiträge zu schließen.
Wer beispielsweise ein Jahr im Ausland verbracht hat oder aus anderen Gründen nicht in der Rentenversicherung präsent war, kann für diese Zeit Beiträge nachzahlen. Dies ist bis zum 31. März des Folgejahres möglich.
Die Höhe der freiwilligen Beiträge lässt sich flexibel gestalten und reicht von einem Mindestbeitrag von rund 100 Euro bis zu einem Höchstbetrag von etwa 1.400 Euro pro Monat. Eine wichtige Voraussetzung ist jedoch, dass bereits 18 Jahre mit Pflichtbeiträgen aus Beschäftigung oder anderen rentenrelevanten Tätigkeiten vorliegen.
Hier noch einmal in der Übersicht, wie sich die Lücken zum Erreichen der Rente mit 63 füllen lassen:
1. Mindestzeit von 18 Pflichtbeitragsjahren
Bevor freiwillige Beiträge anerkannt werden, müssen mindestens 18 Jahre mit Pflichtbeiträgen aus Beschäftigung oder anderen rentenrelevanten Tätigkeiten vorliegen.
2. Nachzahlungen für beitragsfreie Zeiten
Freiwillige Beiträge können für Zeiten geleistet werden, in denen keine andere rentenrechtliche Tätigkeit ausgeübt wurde – beispielsweise für Aufenthalte im Ausland. Nachzahlungen sind bis zum 31. März des Folgejahres möglich.
3. Höhe der Beiträge
Die Höhe der freiwilligen Beiträge kann flexibel gewählt werden:
- Mindestbeitrag: Rund 100 € pro Monat.
- Höchstbeitrag: Etwa 1.400 € pro Monat.
Warum ist eine frühzeitige Planung so wichtig?
Das Erreichen der 45-jährigen Wartezeit erfordert in vielen Fällen eine gezielte Planung. Vor allem in Phasen des Lebens, die nicht automatisch zur Versicherungszeit zählen, ist es entscheidend, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Wer beispielsweise längere Zeit arbeitslos war oder eine schulische Ausbildung absolviert hat, sollte prüfen, ob ergänzende Tätigkeiten wie ein rentenversicherungspflichtiger Minijob hilfreich sein könnten.
Eine regelmäßige Klärung des Rentenkontos ist ebenfalls essenziell. Sie sorgt dafür, dass alle relevanten Zeiten korrekt erfasst werden und keine Unstimmigkeiten auftreten, die später mühsam nachgewiesen werden müssen.
“Besonders vor dem geplanten Renteneintritt ist es sinnvoll, sich umfassend beraten zu lassen, um alle Optionen auszuschöpfen”, sagt Anhalt.
Ein Praxisbeispiel: Wie Sabine die 45-jährige Wartezeit erreicht hat
Sabine, 64 Jahre alt, hat ihr ganzes Leben lang gearbeitet und Kinder großgezogen. Als sie sich mit dem Gedanken an ihren Ruhestand beschäftigt, stellt sie fest, dass sie mit 63 Jahren gerne in Rente gehen würde, um mehr Zeit mit ihrer Familie und ihren Hobbys zu verbringen.
Ihr Ziel: ohne Abschläge in den Ruhestand zu gehen. Doch beim Blick auf ihr Rentenkonto merkt sie, dass sie die 45-jährige Wartezeit noch nicht ganz erreicht hat. Hier ein Blick auf ihren Lebensweg und die Lösung, die sie gefunden hat.
Sabines beruflicher Werdegang und Rentenzeiten
Sabine begann nach der Schule eine dreijährige kaufmännische Ausbildung, die sie erfolgreich abschloss. Danach arbeitete sie in Vollzeit in einem mittelständischen Unternehmen. Insgesamt sammelte sie in dieser Phase 20 Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungszeit.
Mit 35 Jahren entschied sie sich, ihre beiden Kinder großzuziehen. Für die Betreuung ihrer Kinder blieb sie zehn Jahre lang zu Hause, arbeitete nur sporadisch auf 450-Euro-Basis und kümmerte sich um den Haushalt. In dieser Zeit wurden ihr auf ihrem Rentenkonto Kindererziehungszeiten angerechnet, was ihr später bei der Wartezeit von 45 Jahren zugutekam.
Im Alter von 45 Jahren kehrte Sabine in den Arbeitsmarkt zurück, diesmal jedoch in Teilzeit. Bis zu ihrem 60. Lebensjahr arbeitete sie weiter und sammelte zusätzliche Versicherungsjahre. Mit 60 Jahren verlor sie jedoch ihren Arbeitsplatz und bezog ein Jahr lang Arbeitslosengeld I.
Die Rentenkontoanalyse: 44,5 Jahre Versicherungszeit
Sabine ließ kurz vor ihrem 63. Geburtstag eine Rentenkontoanalyse durchführen und stellte fest, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt 44,5 Jahre Versicherungszeit gesammelt hatte.
Es fehlten ihr also noch sechs Monate, um die erforderlichen 45 Jahre zu erreichen. Sie wollte vermeiden, ihre Rente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen, und suchte nach einer Lösung.
Die Lösung: Freiwillige Beiträge und ein Minijob
Sabine entschied sich, die fehlenden sechs Monate durch freiwillige Beiträge auszugleichen. Da sie in dieser Zeit nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, konnte sie für die Lücke Beiträge nachzahlen. Sie wählte den Mindestbeitrag von rund 100 Euro pro Monat, was für ihre finanzielle Situation gut machbar war.
Zusätzlich nahm sie für die letzten Monate vor ihrem Renteneintritt einen Minijob an. Sie arbeitete zehn Stunden pro Woche in einem kleinen Blumenladen und ließ sich nicht von der Rentenversicherungspflicht befreien. Die daraus resultierenden Rentenbeiträge wurden ebenfalls angerechnet und trugen dazu bei, dass sie die 45 Jahre schließlich vollmachen konnte.
Das Ergebnis: Abschlagsfreie Rente mit 63
Dank der Kombination aus Kindererziehungszeiten, beruflicher Tätigkeit, einem Jahr Arbeitslosengeld und der gezielten Nachzahlung konnte Sabine die Wartezeit von 45 Jahren rechtzeitig erfüllen.
Mit 63 Jahren trat sie die Altersrente ein – ohne Abschläge und mit einer soliden Rentenhöhe. Ihre sorgfältige Planung zahlte sich aus, und Sabine konnte sich auf einen entspannten und finanziell gesicherten Ruhestand freuen.
Sabines Geschichte zeigt, dass der Weg zur abschlagsfreien Rente oft aus einer klugen Mischung verschiedener Maßnahmen besteht. Kindererziehungszeiten, berufliche Phasen, Minijobs und freiwillige Beiträge bieten viele Möglichkeiten, Lücken zu schließen und die Rentenansprüche zu optimieren.
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors
Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.