Rente: Fehler im Rentenbescheid – Bestandskräftig heißt nicht für immer

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Ein Rentenbescheid wird bestandskräftig, wenn Widerspruchsfrist und Klagefrist vorbei sind. Damit ist der Bescheid aber nicht automatisch richtig.

Genau für diese Fälle gibt es den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X: Die Deutsche Rentenversicherung muss einen bestandskräftigen Bescheid erneut prüfen, wenn er von Anfang an rechtswidrig war – etwa weil Zeiten fehlten, falsch bewertet wurden oder die Berechnung auf einem unvollständigen Sachverhalt beruhte.

Der Antrag lohnt sich nicht, um „nochmal zu reden“, sondern wenn sich ein konkreter Fehler benennen und belegen lässt – und dadurch dauerhaft oder rückwirkend mehr Rente herauskommen kann.

Dann lohnt sich der Antrag trotz Bestandskraft besonders häufig

Ein Überprüfungsantrag hat in der Praxis hauptsächlich dann Substanz, wenn eine dieser Lagen vorliegt:

1) Im Versicherungsverlauf fehlen Zeiten – und genau das drückt die Rente bis heute

Fehlende oder falsch zugeordnete Zeiten sind der Klassiker, weil sie nicht nur eine Nachzahlung betreffen, sondern oft den monatlichen Betrag dauerhaft. Häufige Fehlerfelder sind Kindererziehung, Pflege, Schul-/Ausbildungszeiten, Krankengeld-/Reha-Zeiten, Arbeitslosigkeit, Minijobs bzw. Beschäftigungszeiten mit fehlenden Meldungen oder falsch erfassten Entgelten sowie Auslandszeiten.

Entscheidend ist der Kern: Die Zeit existierte damals, wurde aber im Bescheid nicht oder falsch verarbeitet. Dann war der Bescheid bereits bei Erlass rechtswidrig.

2) Es gibt neue Belege zu alten Tatsachen

Oft scheitert Rente nicht am Recht, sondern an Nachweisen. Tauchen später Unterlagen auf (Arbeitgeber-Bestätigungen, Zeugenerklärungen, Pflegekassenbestätigungen, Ausbildungsnachweise), kann § 44 SGB X die Tür wieder öffnen – weil der ursprüngliche Bescheid auf einem unvollständigen Sachverhalt beruhte.

3) Rechen- oder Rechtsanwendungsfehler im Bescheid sind plausibel darstellbar

Auch wenn alle Zeiten im Verlauf stehen, kann die Berechnung falsch sein (falsche Bewertung, falscher Zugangsfaktor, falsche Anrechnung). Ein Überprüfungsantrag lohnt sich hier vor allem, wenn sich der Fehler anhand der Bescheidanlagen sauber „greifen“ lässt: Wo genau weicht die DRV vom korrekten Rechenweg ab, und welcher Mehrbetrag ergibt sich?

4) Sonderfall Rentenrecht: BVerfG oder ständige BSG-Rechtsprechung kippen die bisherige Praxis

Bei Renten gibt es zusätzlich eine rentenrechtliche Sonderregel, die relevant werden kann, wenn eine Vorschrift im Nachhinein durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde oder das Bundessozialgericht sie in ständiger Rechtsprechung anders auslegt als die Rentenversicherung. Das ist kein Alltagsfall, aber als Begründungsanker für eine Überprüfung wichtig, wenn genau solch ein Bruch in der Auslegung vorliegt.

Die entscheidende Grenze: Nachzahlung ist meist nur vier Kalenderjahre rückwirkend möglich

Der größte Praxisfehler ist die falsche Erwartung, die DRV müsse „bis Rentenbeginn“ nachzahlen. Bei laufenden Geldleistungen wird die Rückwirkung in der Regel auf vier Jahre begrenzt, und zwar kalenderjährlich. Wer den Antrag früh stellt, sichert häufig ein zusätzliches Jahr im Rückwirkungsfenster.

Rechenbeispiel, das über Geld entscheidet

Geht der Überprüfungsantrag noch im Jahr 2025 bei der DRV ein und führt zur Rücknahme, umfasst das rückwirkende Fenster typischerweise die Jahre ab 01.01.2021. Geht der Antrag erst 2026 ein, beginnt das Fenster typischerweise ab 01.01.2022. In Fällen mit spürbarer monatlicher Differenz kann ein verlorenes Kalenderjahr schnell vierstellige Beträge kosten.

Welche Unterlagen zwingend in den Antrag müssen – damit die DRV nicht abwinkt

Formell ist ein Überprüfungsantrag zwar nicht kompliziert. Praktisch scheitert er oft daran, dass die DRV keinen konkreten Angriffspunkt erkennt. Deshalb gehören in einen tragfähigen Antrag immer drei Bausteine:

Erstens: eindeutige Bescheid-Zuordnung. Versicherungsnummer, Datum des Rentenbescheids, idealerweise Geschäftszeichen. Ohne das landet der Antrag schnell in einer allgemeinen Prüfung ohne Fokus.

Zweitens: konkrete Fehlerbehauptung. Nicht „die Rente ist zu niedrig“, sondern „Zeit X fehlt / ist falsch bewertet / Entgelt Y ist nicht berücksichtigt / Berechnungspunkt Z weicht ab“.

Drittens: Belege genau zu diesem Fehler. Keine Diagnoselisten, keine Lebensgeschichten, sondern Nachweise, die die DRV unmittelbar in den Versicherungsverlauf oder die Berechnung einarbeiten kann.

Kurzformular, das in der Praxis funktioniert

Es wird die Überprüfung des Rentenbescheids vom … nach § 44 SGB X beantragt. Der Bescheid ist rechtswidrig, weil … (konkret: fehlende Zeit/falsche Bewertung/Rechenfehler). Es wird um Neuberechnung und Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheids gebeten. Belege: … (Anlage 1–…).

Belege: Welche Nachweise passen zu welchem Fehlerbild

Fehlende Beschäftigungszeiten / falsches Entgelt: Lohnabrechnungen, SV-Nachweise, Arbeitgeberbescheinigung, gegebenenfalls Zeugenerklärungen.

Kindererziehungszeiten/Zuordnung: Geburtsurkunde(n), Nachweise zum Haushalt/Erziehung, gegebenenfalls Erklärung zur Zuordnung.

Pflegezeiten: Bestätigung/Bescheide der Pflegekasse, Zeitraum-Nachweise, Angaben zur Pflegeperson.

Schule/Studium/Ausbildung: Schul-/Immatrikulationsbescheinigungen, Zeugnisse, Ausbildungsnachweise.

Krankengeld/Reha/Übergangsgeld/Arbeitslosigkeit: Bescheide der Krankenkasse/Agentur, Reha-Unterlagen mit Zeiträumen.

Auslandszeiten: Nachweise ausländischer Träger, Beschäftigungs-/Versicherungszeiten, Formularverkehr im jeweiligen Abkommen.

Typische Ablehnungsgründe – und wie sie vorab entschärft werden

Die DRV lehnt Überprüfungsanträge häufig mit dem Tenor ab, es liege kein konkreter Anhaltspunkt für Rechtswidrigkeit vor. Das passiert hauptsächlich bei Anträgen ohne präzisen Fehlerpunkt oder ohne belastbare Belege.

Ein zweiter Klassiker ist die Enttäuschung über die Rückwirkung: Selbst bei anerkanntem Fehler wird nicht automatisch alles nachgezahlt, wenn die vier Kalenderjahre überschritten sind.

FAQ

Kann ein Überprüfungsantrag die Rente auch verschlechtern?
Theoretisch kann eine vollständige Prüfung auch Fehler zulasten des Versicherten finden. In der Rentenpraxis steht bei Anträgen auf Mehrleistung jedoch der geltend gemachte Fehler im Vordergrund; trotzdem sollte der Antrag nur mit sauberem, belegtem Angriffspunkt gestellt werden.

Gibt es für den Überprüfungsantrag eine Frist?
Der Antrag selbst ist nicht an eine klassische Monatsfrist gebunden. Die finanzielle Rückwirkung ist aber regelmäßig auf vier Kalenderjahre begrenzt.

Reicht es, „Neuberechnung“ zu verlangen?
Ein bloßer Neuberechnungswunsch ohne konkreten Fehlerpunkt ist häufig zu dünn. Erfolgsentscheidend ist die Kombination aus Fehlerbeschreibung und passenden Nachweisen.

Muss der Bescheid beigefügt werden?
Rechtlich nicht zwingend, praktisch dringend. Ohne Bescheidanlagen fehlt die Grundlage, um den Fehler schnell nachzuvollziehen.

Was ist, wenn nur Unterlagen fehlen, die DRV aber eigentlich hätte ermitteln können?
Auch dann kann § 44 SGB X greifen, wenn die Entscheidung auf einem unvollständigen Sachverhalt beruhte. Entscheidend bleibt, dass die fehlende Tatsache den Rentenanspruch tatsächlich verändert.

Spielt neue BSG-Rechtsprechung eine Rolle?
Bei Renten kann eine abweichende höchstrichterliche Auslegung in ständiger Rechtsprechung oder eine verfassungsgerichtliche Entscheidung in besonderen Konstellationen eine Überprüfung stützen.

Quellenübersicht

  • Deutsche Rentenversicherung: rvRecht (Gemeinsame Rechtliche Anweisungen) zu § 44 SGB X.
  • Deutsche Rentenversicherung: rvRecht zu § 100 SGB VI (u. a. Abs. 4 – Sonderregel bei BVerfG/ständiger BSG-Rechtsprechung).
  • Deutsche Rentenversicherung: Expertenforum zur Vier-Jahres-Rückwirkung nach § 44 SGB X.
  • Fachbeitrag zur Berechnung der Vier-Jahres-Rückwirkung nach § 44 Abs. 4 SGB X (Kalenderjahresprinzip).