Ein ehemaliger Jobcenter-Mitarbeiter berichtet von den Widersprüchen, die dazu führten, dass er seine Tätigkeit in der Behörde beendete. Er erzählt von Arbeitsbelastungen, fehlendem Personal, Zynismus sowie der Spannung zwischen vorgegebenen Zielen und echter Betreuung.
Dr. Utz Anhalt: Jobcenter-Mitarbeiter packt aus
Politische Entscheidungen prägen die Arbeit
Dem ehemaligen Mitarbeiter zufolge prägen politische Entscheidungen die Arbeit in den Jobcentern stark, und es würden permanent neue Aufgaben hinzukommen.
Weder würden die bestehenden Aufgaben dabei weniger, noch gäbe es mehr Personal, um die Mehrbelastung auszugliechen.
Immer höhere Arbeitsbelastungen
Hinzu kämen immer höhere Arbeitsbelastungen, zum Beispiel durch die Integration von Geflüchteten aus Nahost wie der Ukraine oder durch die Bürgergeldreform.
ls 2015 viele Flüchtlinge gekommen seien, hätten die Mitarbeiter sich in vollkommen neue Rechtsgebiete einarbeiten müssen: Anerkennung von Berufsabschlüssen, Aufenthalt und Arbeitserlaubnis.
Zu wenig Personal für angmessene Beratung
Deme ehemaligen Mitarbeiter zufolge ginge der Personalschlüssel nicht auf. Darum sei eine Beratung von allen Menschen in gleicher Qualität nicht möglich. Es frustriere, unter den eigenen Ansprüchen zu bleiben.
Widerspruch zwischen Beratung und Geschäftsführung
Für Mitarbeiter herrsche ein Spannungsfeld zwischen den vorgegebenen Zielen und Kennzahlen der Geschäftsführung einerseits und andererseits der Betreuung der Arbeitssuchenden.
Maßnahmen besetzen statt individuelle Vermittlung
So müssten geplante Plätze für Maßnahmen und Weiterbildung besetzt werden, und dadurch werde schnell am tatsächlichen Bedarf der jeweiligen Arbeitssuchenden vorbei vermittelt. Dabei seien die Mitarbeiter abhängig davon, Kennzahlen zu erreichen.
Zynismus ist die Folge
Er hätte bei sich selbst erlebt, dass er zynischer geworden sei. Die Arbeit sei psychisch anstrengend, da man resilient sein müsste, weil man sich jeden Tag mit den Problemen anderer Menschen belaste.
“Überlastung ist sehr gefährlich”
Der Insider hält die dauerhafte Überlastung der Mitarbeiter in den Jobcentern für sehr gefährlich. Dies könne zu psychischen Erkrankungen führen.
Missstände offen ausgesprochen
Katharina-Sophia Gerking vom Leistungsservice des Jobcenters Hannover hatte im März 2023 verdi gegenüber Missstände im Jobcenter mit ihrem Klarnamen offen gelegt.
Komplexe Gesetze und fehlende Ausbildung
Sie kritisierte, dass das Sozialgesetzbuch einerseits sehr komplex sei, und man sich zudem auskennen müsse mit Verwaltungsrecht, Arbeitsrecht, Mietrecht Familienrecht und Ausländerrecht.
Zum anderen gebe es im Jobcenter nur wenig ausgebildete Verwaltungsfachangestellte.
Grundkurs statt Berufsausbildung
Neue Mitarbeiter würden vier Monate Kurse belegen, und dies ersetze keine dreijährige Ausbildung. Nicht nur bei den Arbeitssuchenden, sondern auch bei den Mitarbeitern herrsche großer Druck.
Mitarbeiter des Jobcenters als Bürgergeld-Bezieher
Gerking sagt, dass es sogar nicht weniger Mitarbeiter beim Jobcenter gebe, die so miserabel bezahlt würden, dass sie selbst mit Bürgergeld aufstocken müssten. Und Überstunden seien Alltag.
Überlastung und Arbeitsaufwand
Wie der ehemalige Mitarbeiter eines Jobcenters berichtet auch Gerking von Mehrbelastungen durch Geflüchtete aus Syrien und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Da sei immer wieder alles auf den Kopf gestellt worden, und der Arbeitsaufwand hätte sich kaum bewältigen lassen.
Die Fälle würden mit jeder Krise komplexer werden, und die Auslegung der Gesetze immer komplizierter.