Sachbearbeiter in den Jobcentern müssen selbst Bürgergeld beziehen

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Es ist kaum zu glauben; auch Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen in den Jobcentern müssen zum Teil selbst Bürgergeld-Leistungen beantragen. Das berichtet Katharina, eine Mitarbeiterin im Jobcenter Hannover.

Katharina-Sophia Gerking (38) arbeitet als Sachbearbeiterin im Leistungsservice im Jobcenter Hannover. Seit 2011 ist sie in der Behörde tätig. In einem Interview mit der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di schildert sie ihren Arbeitsalltag.

„Ich habe Kolleg/innen, die parallel zu ihrer Arbeit selbst noch Bürgergeld beantragen müssen“, berichtet Gerking. Die Arbeitsbedingungen in den Behörden seien hart. Überstunden seien an der Tagesordnung und manche Sachbearbeiter/innen verdienen so wenig, dass sie selbst Bürgergeld beantragen müssten. Viele würden deshalb nach kurzer Zeit wieder kündigen.

Schrott-Software verursacht Fehler

Als sie angefangen habe, sei die Arbeit hart gewesen. Die Jobcenter-Sachbearbeiter/innen mussten mit einer Schrott-Software arbeiten, die unter anderem nicht einmal in der Lage war, Kontonummern zu erkennen. Alles musste von Hand eingegeben werden. Fehler in den Bescheiden waren damit quasi vorprogrammiert.

Klar war aber auch, so Gerking, dass die Software nicht weiterentwickelt werden konnte. Deshalb mussten komplizierte Umgehungslösungen geschaffen werden, die immer wieder an neue Gesetze angepasst werden mussten.

Wenn zum Beispiel Leistungsempfänger ihren Lohn mit Bürgergeld (früher Hartz IV) aufstocken müssen, sei das in der Behörde ein Problem. “Bis heute machen wir die Einkommensberechnungen teilweise in Exceltabellen, weil die Software das nicht kann”.

Immer wieder neue Gesetze

Zusätzlich habe der Gesetzgeber immer wieder neue Gesetze geschrieben. “Es gab schon 2011 viel zu wenig Personal und fünfzig bis sechzig Wochenstunden waren nicht ungewöhnlich.” Und selbst das habe damals nicht ausreicht, um die Arbeit vollständig zu erledigen.

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Als sie damals anfing, war ihre Trainerin eine längere Zeit krank. Aus diesem Grund fielen Schulungen aus. Dadurch entstand ein großes Chaos. Wer dennoch die ersten 6 Monate überstand, galt als belastbar.

Das Sozialgesetzbuch II, also die Hartz-Gesetze, seien sehr komplex. “Allein die bundesweiten Ausführungsvorschriften zum Gesetz haben rund 2000 Seiten, hinzu kommen die Anweisungen der Kommune und der Geschäftsleitung und ständige Änderungen.” Wer als Sachbearbeiter im Jobcenter arbeiten will, muss sich juristisches Fachwissen aneignen. “Verwaltungsrecht, Mietrecht, Arbeitsrecht, Familienrecht, Ausländerrecht oder von allem etwas.”

Kaum ausgebildete Verwaltungsfachangestellte in den Jobcentern

Allerdings gäbe es in den Behörden kaum ausgebildete Verwaltungsfachangestellte. Wer beim Jobcenter anfängt, braucht etwa vier Monate, um sich so etwas wie Grundkenntnisse anzueignen. Das ersetzt aber keine dreijährige Ausbildung. “Ich kenne einen Tennislehrer, der wurde vom ersten Tag an voll eingesetzt.” Das bedeutet, dass auf beiden Seiten des Schreibtisches “ein hoher Druck herrscht”.

Für die Sachbearbeiterin ist jedoch klar, dass man in der täglichen Arbeit auf Menschen in existenziellen Notlagen und Notsituationen trifft. Dabei seien die Sachbearbeiter aufgrund des Drucks oft selbst mit den Nerven am Ende.

Viele Antragstellende würden mit Ängsten zum Termin und im letzten Moment kommen. “Dadurch, dass viele mit ihren Anliegen so spät kommen, müssen wir sofort handeln. Wenn wir sagen: Das wird schwierig mit den Deadlines, sind viele Antragsteller überfordert und dann geht vieles schief.”

60 Prozent der von ihr zu betreuenden Menschen haben Mini- oder andere Jobs und müssen ihren Lohn mit Bürgergeld aufstocken. “Das sind viele, die einfache Sachbearbeitung machen, Hilfstätigkeiten, die arbeiten und kommen trotzdem kaum über die Runden.”

Viele Anträge sind kompliziert

Die Arbeit sei oft aufwendig und kompliziert, sagt sie. Manche Anträge seien so komplex, dass sie selbst zwei Tage daran arbeiten müsse. “Das liegt daran, dass bei uns im Jobcenter alles zusammenläuft. Menschen, die Wohngeld beantragen wollen, müssen eigentlich zum Wohngeldamt, fragen aber bei uns nach, wenn sie eh schon da sind. Das Gleiche gilt für Fragen, die die Ausländerbehörde betreffen oder oder oder … Viele Fragen liegen bei der Kommune im Fachbereich Soziales. Aber die Kommunen heben oft die Hände: Wir nicht! Also wieder wir”.

Die Entscheidungsfindungen seien oft aufwendig. Soll eine Wohnung angemietet werden, muss diese “angemessen” nach den Vorschriften sein. “Aber was ist in einer Situation, wenn zum Beispiel Kundin und Mutter, beide psychisch krank, in einer Wohnung leben und ich weiß: Wenn die beiden weiter zusammenleben, könnte es zum Suizid kommen. Der Wohnungsmarkt ist leergefegt. Die Kundin hat dann ein Mietangebot, das fast doppelt so hoch wie der Satz.”

Dann müsse sie bei den Kollegen von Markt und Intergration nachfragen, die sie laufend betreut, und es dann rechtfertigen, wie es zu der jeweiligen Entscheidung gekommen war. Sie müsse sich dann fragen, “wie rechtfertige ich eine Zusage beim Dienstherren?”. Sie müsse dann alles dahingehend prüfen, ob die Entscheidung „angemessen“ sei, so dass weder der Dienstherr noch die Leistungsbezieherin haftbar gemacht werden könnten.

Oft Konflikte in der Behörde

Mit 90 Prozent ihrer “Kunden” würde sie gut zurecht kommen. Immer wieder kommt es aber auch zu verbalen Attacken. Für sie sei klar, die Politik würde ein Klima schaffen, in dem Konflikte sehr schnell eskalieren.

Das Bürgergeld sei ihrer Meinung ein “Schnellschuss”, weil die Mitarbeiter/innen in den Behörden nicht hinterher kommen, alles korrekt umzusetzen. Auch die Umstellung der Software funktioniere wieder nicht, so dass alles per Taschenrechner und Excel ausgerechnet werden muss. Dennoch sei sie dafür, dass die Regelleistungen angehoben wurden, und auch, dass jetzt mehr Menschen mit einem niedrigen Lohn Anspruch hätten.

Sachbearbeiter müssen selbst Bürgergeld beantragen

Viele ihrer Kolleg/innen würden so schlecht bezahlt, dass sie selbst Bürgergeld beantragen müssen. “Das sind so viele, dass es extra eigene Ansprechpartner/innen im Haus für unsere Kolleg/innen gibt. Allein unter meinen engeren Arbeitskolleg/innen hatten drei Leute selbst mal Leistungen bei uns bezogen.”

Sie würde deshalb die aktuellen Forderungen der Tarifrunde von Ver.di unterstützen. “Ich möchte nicht, dass ich Kolleg/innen habe, die parallel zu ihrer Arbeit hier im Haus selbst Bürgergeld beantragen müssen. Wir brauchen eine gute Ausbildung, faire und gute Bezahlung. Es muss Aufstiegschancen geben und die Mitarbeiter/innen müssen gefördert werden.” (Das gesamte Interview ist hier zu lesen / Bild Ver.di)