Schwerbehinderung: GdB plötzlich herabgesetzt – Wann Betroffene handeln müssen

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Ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg sorgt für Aufsehen: Ein früher an Leukämie erkrankter Mann verlor nach einer dreijährigen „Heilungsbewährung“ seinen Schwerbehindertenstatus. Der GdB wurde von 100 auf 30 reduziert – mit gravierenden Folgen.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie tückisch die gesetzlich vorgesehene Neubewertung verläuft. Wer seinen Schwerbehindertenausweis behalten möchte, muss gezielt reagieren – und zwar rechtzeitig.

Was bedeutet “Heilungsbewährung” – und warum endet sie so oft im GdB Absturz?

Nach schweren Erkrankungen, etwa Krebs oder neurologischen Eingriffen, wird der Grad der Behinderung (GdB) oft vorläufig sehr hoch angesetzt – meist 80 oder 100. Dieser hohe Wert gilt jedoch nur für einen befristeten Zeitraum. Juristisch nennt sich diese Phase „Heilungsbewährung“. Sie dient dazu, die langfristigen Folgen der Erkrankung abzuwarten.

Je nach Krankheitsbild dauert die Heilungsbewährung in der Regel zwischen zwei und fünf Jahren. Danach erfolgt automatisch eine Neubewertung – auch ohne Antrag der betroffenen Person. Die zuständige Behörde prüft, ob weiterhin funktionelle Einschränkungen bestehen. Fällt diese Prüfung negativ aus, sinkt der GdB – oft drastisch.

Ohne eigenes Zutun kann ein GdB von 100 auf 30 reduziert werden – mit erheblichen Nachteilen. Wer hier nicht vorbereitet ist, riskiert den Verlust steuerlicher, arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Schutzmechanismen.

Urteil des LSG Berlin-Brandenburg: Klage abgewiesen, GdB bleibt bei 30

Im entschiedenen Fall (Az. L 11 SB 107/24, Urteil vom 11. Februar 2025) hatte ein ehemals an Leukämie Erkrankter gegen die Reduzierung seines GdB auf 30 geklagt. Trotz zahlreicher Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, psychischer Belastung und Medikamentenfolgen erkannte das Gericht keine erheblichen Funktionseinbußen.

Ein wichtiges Thema war die ärztliche Begutachtung: Der Kläger forderte ein Fachgutachten eines Onkologen. Das Gericht sah das jedoch als nicht notwendig an. Die Bewertung durch einen Allgemeinmediziner reichte aus – solange keine komplexen medizinischen Fragen im Raum stehen oder grobe Fehler im Gutachten nachweisbar sind.

Gerichte sind nicht verpflichtet, für jede Diagnose Fachärzte zu beauftragen. Wer einen Gutachterwechsel fordert, muss konkrete inhaltliche Fehler aufzeigen. Die bloße Behauptung, ein Facharzt sei „geeigneter“, reicht nicht aus.

Der Unterschied zwischen Einzel GdB und Gesamt GdB: Viele Diagnosen bedeuten nicht automatisch mehr

Ein häufiger Irrtum: Wer mehrere gesundheitliche Einschränkungen hat, geht davon aus, dass sich die Einzel-GdB-Werte einfach aufsummieren. Doch das ist falsch. Der Gesamt GdB steigt nur, wenn verschiedene Beschwerden sich „wesentlich“ in unterschiedlichen Lebensbereichen auswirken.

Beispiel: Rückenprobleme mit GdB 30 und eine leichte Depression mit GdB 20 führen nicht zwangsläufig zu einem Gesamt GdB von 50. Nur wenn sich die Beschwerden unabhängig voneinander stark auswirken – etwa auf Mobilität und Kommunikation – erhöht sich der Gesamtwert.

Im Widerspruchsverfahren sollte gezielt erläutert werden, wie jede einzelne Einschränkung den Alltag behindert – z. B. beim Gehen, Arbeiten, Einkaufen oder in sozialen Situationen. Nur dann erkennt die Behörde oder das Gericht einen höheren GdB an.

Welche Rechte Sie verlieren, wenn der GdB unter 50 sinkt

Die Herabstufung des GdB auf unter 50 hat spürbare Konsequenzen:

  • Verlust des Schwerbehindertenausweises: Ab GdB 50 gilt eine Person offiziell als schwerbehindert.
  • Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes: Arbeitgeber dürfen
  • Schwerbehinderte nur mit Zustimmung des Integrationsamtes kündigen.
  • Kein Zusatzurlaub mehr: Der gesetzlich vorgesehene Mehrurlaub entfällt.
  • Kein Anspruch auf steuerliche Freibeträge: Nach § 33b EStG erhalten
  • Menschen mit GdB ≥50 jährlich mindestens 1.140 € Steuerfreibetrag.
  • Keine Fahrpreisvergünstigungen und Gebührenbefreiungen: Ermäßigungen bei Bahn, ÖPNV, Rundfunkbeitrag oder Kfz-Steuer entfallen.

Was bedeutet das konkret?
Wer wegen einer Krebserkrankung seinen GdB 100 erhält, profitiert von zahlreichen Entlastungen. Werden diese später stillschweigend gestrichen, ist das oft nicht nur ein emotionaler Rückschlag – es hat auch finanzielle Auswirkungen.

Was Sie unternehmen können, um Ihren GdB zu verteidigen

Eine Herabstufung lässt sich nicht immer verhindern – aber sie lässt sich strategisch angehen. Hier die wichtigsten Handlungsschritte:

  1. Frühzeitig aktiv werden: Sobald ein Anhörungsschreiben zur GdB-Überprüfung eingeht, sollten aktuelle Arztberichte beschafft werden.
  2. Fachärztliche Befunde sichern: Nicht die Diagnose, sondern die funktionale Einschränkung zählt. Tests zu Beweglichkeit, Lungenvolumen, Konzentration etc. sind hilfreich.
  3. Gutachten sachlich prüfen: Pauschale Ablehnung bringt nichts. Nur medizinisch belegbare Widersprüche (z. B. falsche Diagnosen, veraltete Quellen) führen zum Erfolg.
  4. Fristen einhalten: Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bescheid. Wird dieser abgelehnt, bleibt ein weiterer Monat für die Klage.
  5. Kosten klären: Sozialgerichtliche Verfahren sind oft kostenfrei, Prozesskostenhilfe oder Unterstützung durch Sozialverbände ist möglich.